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3.3 Beweise – einige Klassiker *

In diesem Abschnitt gehen wir einige “klassische” Beweise durch. Einige der Ergebnisse sind Ihnen sicher bekannt, vielleicht sogar die meisten.

Die Beweise sind alle einfach in dem Sinne, dass sie nur Schulmathematik benötigen. Das heißt aber nicht, dass man leicht darauf kommen kann. Trotzdem ist es eine gute Idee, über die Behauptungen, die unten aufgestellt werden, ein bisschen nachzudenken, bevor man den Beweis liest. Vielleicht finden Sie einen eigenen Beweis? Und wenn nicht, dann ist es oft leichter, einen Beweis zu verstehen (und zu würdigen), wenn man sich vorher schon einmal selbst daran versucht hat. Für Ihre Vorlesung(en) empfehle ich dasselbe!

3.3.1 Der Satz des Pythagoras

Sei \(\Delta \) ein rechtwinkliges Dreieck. Wie üblich nennen wir die beiden Seiten von \(\Delta \), die an dem rechten Winkel anliegen, die Katheten, und die Seite, die dem rechten Winkel gegenüberliegt, die Hypotenuse des Dreiecks.

Satz 3.2 Pythagoras

Sei \(\Delta \) ein rechtwinkliges Dreieck. Seien \(a\) und \(b\) die Längen der beiden Katheten, und sei \(c\) die Länge der Hypotenuse von \(\Delta \). Dann gilt

\[ a^2 + b^2 = c^2. \]
\includegraphics[width=6.9cm]{figures/rechtwinkligesdreieck}

Bemerkung 3.3

Auch wenn der Satz traditionell Pythagoras (ca. 550 v. Chr.) zugeschrieben wird, war er mit ziemlicher Sicherheit schon vorher bekannt.

Beweis

Es gibt viele Beweise für den Satz des Pythagoras. Der folgende ist wohl einer der einfachsten.

Wir betrachten die nebenstehende Figur, in der das gegebene rechtwinklige Dreieck mit Kathetenlängen \(a\) und \(b\) viermal vorkommt. Wir können die Fläche des großen Quadrats auf zweierlei Arten berechnen: Die Seitenlänge des Quadrats ist \(a+b\), also ist die Fläche
\[ (a+b)^2 = a^2 + 2ab + b^2. \]
Andererseits ist die Fläche die Summe der Teilflächen: viermal die Fläche des Dreiecks, also zweimal die Fläche des Rechtecks mit Kantenlängen \(a\) und \(b\); und die Fläche des Quadrats in der Mitte, das Seitenlänge \(c\) hat. Damit ergibt sich für die Fläche
\[ 2ab + c^2. \]
\begin{tikzpicture} [scale=0.6] \draw (0,0) -- (10,0) -- (10,10) -- (0,10) -- (0,0); \draw (3,0) -- (10,3) -- (7,10) -- (0,7) -- (3,0); \node at (-.3, 3) {$b$}; \node at (1.5, -.3) {$a$}; \node at (6.5, -.3) {$b$}; \node at (2.1, 3) {$c$}; \node at (10.3, 1.5) {$a$}; \node at (10.3, 6.5) {$b$}; \node at (3.5, 10.3) {$b$}; \node at (8.5, 10.3) {$a$}; \node at (-.3, 8.5) {$a$}; \node at (7, 2.1) {$c$}; \node at (7.9, 7) {$c$}; \node at (3, 7.9) {$c$}; \end{tikzpicture}

Wir erhalten also

\[ a^2 + 2ab + b^2 = 2ab + c^2, \]

und indem wir auf beiden Seiten \(2ab\) abziehen, das gewünschte Ergebnis

\[ a^2 + b^2 = c^2. \]

Eine Bemerkung zum Schluss: Prüfen Sie noch einmal genau, dass die geometrische Figur wirklich alle Eigenschaften hat, die wir im weiteren Beweis ausgenutzt haben. Ist der Bereich in der Mitte wirklich ein Quadrat, oder könnte es ein Viereck mit vier gleichlangen Seiten (eine Raute) sein, das aber kein Quadrat ist?

In  [ Ho ]  Kapitel 19 wird der Beweis noch ausführlicher aufgedröselt.

3.3.2 \(\sqrt{2}\) ist keine rationale Zahl

Mit \(\mathbb Z= \{ \dots , -2, -1, 0, 1, 2, 3, \dots \} \) bezeichnen wir wie üblich die Menge der ganzen Zahlen und mit \(\mathbb Q\) die Menge der rationalen Zahlen (also aller Bruchzahlen von ganzen Zahlen).

Satz 3.4

Die Menge \(\mathbb Q\) der rationalen Zahlen enthält kein Element, dessen Quadrat gleich \(2\) ist.

Zum Beweis benutzen wir das folgende Lemma. Wir nennen dabei wie üblich eine ganze Zahl \(a\in \mathbb Z\) gerade, wenn sie durch \(2\) teilbar ist (also wenn \(b\in \mathbb Z\) existiert mit \(a=2b\)) und andernfalls ungerade.

Lemma 3.5
  1. Eine ganze Zahl \(a\in \mathbb Z\) ist genau dann gerade, wenn ihr Quadrat \(a^2\) gerade ist.

  2. Ist \(a\) eine ungerade ganze Zahl, so ist \(2a\) nicht durch \(4\) teilbar.

Beweis

Versuchen Sie, bevor Sie den Beweis lesen, erst einmal, einen eigenen Beweis zu finden und aufzuschreiben!

zu (1). Ist \(a\) gerade, etwa \(a=2b\), dann ist \(a^2 = 4b^2\) ebenfalls ein Vielfaches von \(2\), also gerade. Wenn \(a\) ungerade ist, dann ist \(a-1\) gerade, also existiert eine ganze Zahl \(b\) mit \(a = 2b+1\).

\[ a^2 = (2b+1)^2 = 4b^2 + 4b + 1 = 2(2b^2 + 2b) + 1 \]

und dies ist eine ungerade Zahl, da sie sich um \(1\) von der geraden Zahl \(2(2b^2+2b)\) unterscheidet.

zu (2). Da \(a\) nach Voraussetzung ungerade ist, können wir wie im vorherigen Teil \(a=2b+1\) für eine geeignete ganze Zahl \(b\) schreiben. Dann ist \(2a = 4b + 2\). Wäre diese Zahl durch \(4\) teilbar, so könnten wir auch \(2a = 4c\) für eine ganze Zahl \(c\) schreiben, und würden dann erhalten, dass \(4c = 4b + 2\), also \(2 = 4(c-b)\). Dies ist offenbar nicht möglich.

Beweis des Satzes

Angenommen, es gäbe eine Bruchzahl, deren Quadrat gleich \(2\) ist. Wir schreiben diese Zahl als gekürzten Bruch \(\frac ab\), d.h. \(a\) und \(b\) sind ganze Zahlen, \(b\ne 0\), und \(a\) und \(b\) haben keinen gemeinsamen Teiler \({\gt}1\). Und es gilt \(\left(\frac ab\right)^2 = 2\), also

\[ a^2 = 2 b^2. \]

Damit sehen wir zunächst, dass \(a^2\) gerade ist, denn offenbar ist \(2b^2\) gerade. Nach dem Lemma (Teil (1)) folgt, dass \(a\) eine gerade Zahl ist, wir können also \(a=2c\) für eine ganze Zahl \(c\) schreiben. Deshalb ist \(a^2 = (2c)^2 = 4c^2\) sogar durch \(4\) teilbar.

Weil \(a\) gerade und der Bruch \(\frac ab\) gekürzt ist, ist andererseits \(b\) ungerade. Teil (2) des Lemmas zeigt dann, dass \(2b^2\) nicht durch \(4\) teilbar ist – ein Widerspruch zu der Gleichheit \(a^2 = 2b^2\), denn wir haben gezeigt, dass die linke Seite durch \(4\) teilbar ist, die rechte jedoch nicht.

Dieser Beweis wird meist, wie wir es auch getan haben, als »Widerspruchsbeweis« aufgeschrieben: Man macht eine Annahme (dass eben doch eine rationale Zahl mit Quadrat gleich \(2\) existiert) und leitet daraus durch gültige logische Schlüsse eine Aussage ab, die offensichtlich falsch ist. Der einzige Teil dieser Ableitung, der falsch sein könnte, ist die ursprüngliche Annahme. Man hat also bewiesen, dass die Annahme falsch ist. Oft lassen sich Widerspruchsbeweise auch ersetzen durch »direkte« Beweise. Versuchen Sie einmal direkt zu zeigen, dass für jede rationale Zahl \(x\) gilt, dass \(x^2 \ne 2\).

Häufig wird dieser Satz formuliert als: \(\sqrt{2}\) ist nicht rational. Um das zu tun, muss man aber erst einmal wissen, dass in einem größeren Zahlbereich – in diesem Fall in den reellen Zahlen \(\mathbb R\) – eine (positive) Zahl mit Quadrat \(2\) existiert; diese bezeichnet man dann mit \(\sqrt{2}\). Das ist, wie Sie wissen, richtig. Es zu beweisen, ist aber nicht so einfach, schon deshalb, weil man zuerst präzisieren muss, was genau man eigentlich unter den reellen Zahlen versteht. Diese Aufgabe überlassen wir der Analysis-Vorlesung.

Schließlich nutze ich noch die Gelegenheit, auf das Büchlein  [ Go ] hinzuweisen, wo (in Kapitel 3) noch genauer hinterfragt wird, ob unser Beweis wirklich vollständig und schlüssig ist. Die anderen Teile des Buchs sind auch empfehlenswert!

3.3.3 Es gibt unendlich viele Primzahlen

Für den nächsten Satz brauchen wir den Begriff der Primzahl: Eine Primzahl ist eine ganze Zahl \({\gt}1\), die keine Teiler außer \(1\) und sich selbst hat. Zum Beispiel sind \(2, 3, 61\) Primzahlen, \(57\) jedoch nicht, da \(57\) durch \(3\) teilbar ist.

(Etwas ausführlicher befassen wir uns in Ergänzung 3.44 mit dem Begriff des Teilers.)

Satz 3.6

Es gibt unendlich viele Primzahlen.

Beweis (nach Euklid)

Wir zeigen, dass zu jeder endlichen Liste \(p_1, \dots , p_n\) von Primzahlen noch mindestens eine weitere existiert.

Als Vorüberlegung zeigen wir, dass jede ganze Zahl \(a{\gt}1\) durch irgendeine Primzahl teilbar ist. In der Tat, ist \(a\) selbst eine Primzahl, so ist diese Behauptung richtig, denn \(a\) ist durch sich selbst teilbar. Ist \(a\) keine Primzahl, so besitzt \(a\) einen Teiler \(b\) mit \(1 {\lt} b {\lt} a\). Ist \(b\) eine Primzahl, so sind wir fertig, denn \(b\) ist ein Teiler von \(a\). Sonst finden wir einen Teiler von \(b\), der noch kleiner ist; und jeder Teiler von \(b\) ist auch ein Teiler von \(a\). Dieser Prozess muss irgendwann enden, weil wir in jedem Schritt zu einer kleineren Zahl übergehen. (Siehe auch Beispiel 3.42.)

Nun definieren wir

\[ a = p_1 p_2 \cdots p_n + 1, \]

d.h. wir bilden das Produkt aller gegebenen Primzahlen und addieren dann noch \(1\). Nach der Vorüberlegung ist \(a\) teilbar durch eine Primzahl \(p\). Andererseits ist \(a\) nicht durch irgendeine der Primzahlen \(p_1\), …, \(p_n\) teilbar, denn der Rest bei Division von \(a\) durch eine von diesen Zahlen ist \(1\).

Also ist \(p\) eine Primzahl, die von \(p_1\), \(p_2\), …, \(p_n\) verschieden ist.

Probieren Sie das Verfahren im Satz einmal aus, indem Sie mit der Liste \(2\), \(3\) von Primzahlen starten und nach und nach eine weitere konstruieren. Sie sehen schon im ersten Schritt, dass nicht alle Primzahlen der Größe nach auftreten, und nach wenigen Schritten, dass die Zahl \(a\), die im Beweis konstruiert wird, nicht unbedingt selbst eine Primzahl ist.

Die Tatsache, dass jede natürliche Zahl \({\gt}1\) als Produkt von Primzahlen geschrieben werden kann, und dass diese Zerlegung eindeutig ist bis auf die Reihenfolge der Faktoren (eindeutige Primfaktorzerlegung in \(\mathbb Z\)) ist übrigens etwas schwieriger zu zeigen. Siehe Satz 3.56.