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3.10 Kartesisches Produkt, Abbildungen

3.10.1 Produkte

Definition 3.21
  1. Sind \(X\) und \(Y\) Mengen, so bezeichnen wir mit \(X\times Y\) die Menge aller Paare \((x, y)\) mit \(x\in X\) und \(y\in Y\). Wir nennen \(X\times Y\) das (kartesische) Produkt der Mengen \(X\) und \(Y\).

  2. Analog können wir das Produkt von mehr als zwei Mengen bilden: Sind \(X_1\), \(X_2\), …, \(X_n\) Mengen, so ist

    \[ \prod _{i=1}^n X_i = X_1 \times \cdots \times X_n = \{ (x_1, \dots , x_n) ; \forall i = 1,\dots n: x_i\in X_i \} \]

    die Menge aller »Listen« \((x_1, \dots , x_n)\) von Elementen der Mengen \(X_i\). Die Elemente des Produkts nennen wir \(n\)-Tupel.

    Im Fall, dass \(X_1 = \cdots = X_n = X\) für eine Menge \(X\) ist, so schreiben wir \(X^n\) statt \(X\times X \times \cdots \times X\) für das \(n\)-fache Produkt.

  3. Noch allgemeiner ist für eine Menge \(I\) und Mengen \(X_i\) für alle \(i\in I\) das Produkt

    \[ \prod _{i\in I} X_i = \{ (x_i)_{i\in I};\ \forall i\in I: x_i\in X_i \} \]

    definiert. Man nennt \(I\) die Indexmenge des Produkts.

    Für den Spezialfall, dass \(I=\emptyset \) die leere Menge ist (und daher gar kein \(X_i\) gegeben ist) hat sich die Konvention bewährt, dass das Produkt genau ein Element hat. Man spricht dann vom leeren Produkt (aber leer ist die Indexmenge, nicht die Produktmenge selbst).

    Ist \(X_i = X\) für eine Menge \(X\) und alle \(i\), so schreiben wir manchmal \(X^I = \prod _{i\in I} X\).

\includegraphics[width=15cm]{figures/descartes-geometrie}
Abbildung 3.1 Drei Seiten aus dem Buch über Geometrie von René Descartes (erschienen 1637). Descartes hat die Verwendung eines Koordinatensystems eingeführt, um die Lage von Punkten anzugeben. Koordinaten eines Punktes in der Ebene bilden ein Paar \((x,y)\) von reellen Zahlen, also ein Element des Produkts \(\mathbb R\times \mathbb R\). Deshalb nennt man das Produkt auch das kartesische Produkt. Quelle: Wikimedia

Bei den Elementen des Produkts \(X\times Y\) kommt es auf die Reihenfolge an, auch wenn \(X = Y\) ist. Zum Beispiel hat \(\{ 1, 2\} \times \{ 1, 2\} \) die vier verschiedenen Elemente \((1, 1)\), \((1,2)\), \((2,1)\), \((2,2)\). Ein \(3\)-Tupel nennt man meist Tripel, ein \(4\)-Tupel manchmal Quadrupel, ein \(5\)-Tupel manchmal Quintupel.

Wie Descartes veranschaulichen wir das Produkt \(\mathbb R^2 = \mathbb R\times \mathbb R\) als die Ebene, in der wir die Lage eines Punkts durch seine beiden Koordinaten angeben können. Zum Beispiel hat der rot markierte Punkt in der Abbildung die Koordinaten \((2,\ 1,5)\). Die waagerechte Koordinatenachse, deren Koordinate als erste angegeben wird, heißt üblicherweise die \(x\)-Achse, die senkrechte Achse ist die \(y\)-Achse. Je nachdem kann man natürlich auch andere Namen verwenden; wird zum Beispiel ein zeitlicher Verlauf dargestellt, verwendet man oft den Parameter \(t\) (für lateinisch tempus) und stellt diesen auf der waagerechten Achse dar.
\begin{tikzpicture}  \begin{axis} [axis x line=middle, axis y line=middle, xmin=-2.5, xmax=4.5, ymin=-2.5, ymax=3.5, xtick={-2, -1, ..., 4}, ytick={-2, -1, ..., 3}] \draw [dashed] (2,0) -- (2, 1.5); \draw [dashed] (0, 1.5) -- (2, 1.5); \fill [red] (2, 1.5) circle[radius=1mm]; \end{axis} \end{tikzpicture}

3.10.2 Abbildungen

Wir kommen nun zum Begriff der Abbildung; neben dem Begriff der Menge der grundlegendste Begriff aus diesem Kapitel.

Definition 3.22
  1. Seien \(X\), \(Y\) Mengen. Eine Abbildung \(f\) von \(X\) nach \(Y\), geschrieben \(f\colon X\rightarrow Y\), ist eine Zuordnung, die jedem Element \(x\in X\) genau ein Element \(f(x)\in Y\) zuordnet. Man schreibt \(x \mapsto f(x)\) und nennt \(f(x)\) das Bild von \(x\) unter \(f\) oder den Wert der Abbildung \(f\) bei \(x\).

    Formaler können wir den Begriff folgendermaßen definieren: Die Zuordnung ist gegeben als Teilmenge \(F \subset X\times Y\) mit der Eigenschaft, dass zu jedem \(x\in X\) genau ein \(y \in Y\) existiert mit \((x,y)\in F\). Dieses Element \(y\) wird dann als \(f(x)\) bezeichnet.

  2. Ist \(f\colon X\to Y\) eine Abbildung, so nennen wir \(X\) den Definitionsbereich und \(Y\) den Wertebereich (oder manchmal das Ziel) der Abbildung \(f\).

Eine Funktion ist nichts anderes als eine Abbildung (und der Funktionswert an einer Stelle ist dann der Wert an dem entsprechenden Element des Definitionsbereichs), allerdings wird der Begriff Funktion vor allem in spezielleren Situationen verwendet, beispielsweise spricht man in der Analysis oft von Funktionen \(\mathbb R\to \mathbb R\). In der Linearen Algebra wird er kaum benutzt.

Auch wenn es von der Wortherkunft etwas miteinander zu tun hat, ist der hier definierte mathematische Begriff der Abbildung natürlich zu trennen vom Begriff einer Abbildung (im Sinne von Zeichnung, Foto, …) der Alltagssprache.

\includegraphics[width=8cm]{figures/abbildung}
Schematische Darstellung einer Abbildung. Die Elemente von \(X\) und \(Y\) sind durch Punkte dargestellt, die Zuordnung durch Pfeile. Die Abbildungseigenschaft besteht darin, dass bei jedem Punkt in \(X\) genau ein Pfeil startet, und alle Pfeile in \(Y\) enden.

Beispiel 3.23
  1. Beispiele für Funktionen sind

    1. \(f\colon \mathbb R\to \mathbb R\), \(x\mapsto x^2\),

    2. \(g\colon \mathbb Z\to \mathbb Z\), \(x\mapsto 2x-3\),

    3. \(g\colon \mathbb R\to \mathbb R\), \(x\mapsto \begin{cases} x & x\ge 0 \\ -x & x {\lt} 0 \end{cases}\).

    Die folgenden »Vorschriften« definieren keine Funktionen:

    1. \(f\colon \mathbb N\to \mathbb N\), \(x\mapsto 2x-3\) (denn der Wert liegt nicht immer in dem angegebenen Wertebereich),

    2. \(g\colon \mathbb R\to \mathbb R\), \(x\mapsto \begin{cases} x & x\ge 0 \\ -x & x \le 1 \end{cases}\)
      (denn für \(x\) zwischen \(0\) und \(1\) ist kein eindeutiger Funktionswert definiert),

    3. \(h\colon \mathbb Q\to \mathbb Q\), \(x\mapsto \frac1x\)
      (denn für \(x=0\) ist kein Funktionswert definiert, weil \(\frac10\) keine rationale Zahl ist).

  2. Eine Abbildung muss nicht durch eine »Formel« gegeben sein. Zum Beispiel ist \(f\colon \{ 0\} \to \{ 0, 1\} \) mit

    \[ f(0) = \begin{cases} 0 & \text{wenn die Goldbachsche Vermutung wahr ist},\\ 1 & \text{wenn die Goldbachsche Vermutung falsch ist},\\ \end{cases} \]

    eine Abbildung. Allerdings kennt niemand den Wert \(f(0)\).

  3. Es gibt ziemlich »erstaunliche« Abbildungen. Zum Beispiel kann man zeigen, dass eine Abbildung \(f\colon \mathbb R\to \mathbb R^2\) existiert, so dass jedes Element von \(\mathbb R^2\) als Wert \(f(x)\) auftritt.

  4. Zu einer Abbildung \(X\to Y\) (oder Funktion) können wir den Funktionsgraph betrachten, das ist die Teilmenge

    \[ \{ (x, f(x));\ x\in X \} \]

    von \(X\times Y\) (also gerade die Teilmenge \(F\) in Definition 3.22 (1); eine Funktion ist aus dieser Sichtweise dasselbe wie ihr Funktionsgraph). Da wir in der linearen Algebra meist Abbildungen zwischen »höherdimensionalen« Räumen betrachten, ist es meistens nicht möglich, den Funktionsgraph zu zeichnen; daher spielt er für uns eigentlich, anders als in der Analysis, keine Rolle.

Statt vom Wertebereich einer Abbildung \(f\) spricht man manchmal auch vom Bildbereich von \(f\). Diese Sprechweise ist aber weniger günstig, weil man unter dem Bild von \(f\) etwas anderes versteht (siehe Definition 3.25).

Die Menge aller Abbildungen von \(X\) nach \(Y\) bezeichnen wir mit \(\operatorname{Abb}(X, Y)\).

Bemerkung 3.24

Überlegen Sie sich, dass wir für Mengen \(X\) und \(Y\) die Menge \(\operatorname{Abb}(X, Y)\) mit dem Produkt \(Y^X (=\prod _{x\in X}Y)\) identifizieren können. Wir können also eine Abbildung von \(X\) nach \(Y\) auch als ein Element des Produkts \(Y^X\) auffassen.

Hier zeigt sich, dass die Konvention, dass \(Y^\emptyset \) genau ein Element haben soll, sinnvoll ist, denn die Menge \(\operatorname{Abb}(\emptyset , Y)\) hat nach unserer Definition für jedes \(Y\) genau ein Element.

Ist \(X\) eine Menge, so bezeichnen wir mit \(\operatorname{id}_X\colon X\to X\) die Abbildung, die jedes \(x\in X\) auf sich selbst abbildet: \(x\mapsto x\) für alle \(x\in X\). Diese Abbildung heißt die identische Abbildung oder Identitätsabbildung von \(X\) (oder manchmal einfach die Identität von/auf \(X\)).

Definition 3.25

Sei \(f\colon X\to Y\) eine Abbildung.

  1. Das Bild von \(f\) ist

    \[ \operatorname{Im}(f) = \{ y\in Y;\ \text{es existiert\ } x\in X\ \text{mit}\ f(x) = y \} . \]
  2. Ist \(Z \subseteq X\) eine Teilmenge, so nennt man

    \[ f(Z) = \{ f(z);\ z\in Z \} \]

    das Bild von \(Z\) unter \(f\). Es gilt also \(\operatorname{Im}(f) = f(X)\).

  3. Ist \(Z\subseteq Y\) eine Teilmenge, so heißt

    \[ f^{-1}(Z) = \{ x\in X; \ f(x) \in Z \} \]

    das Urbild von \(Z\) unter \(f\).

Für jede Abbildung \(f\colon X\to Y\) gilt, dass \(f^{-1}(Y) = X\), deshalb gibt es für das Urbild des gesamten Wertebereichs kein eigenes Symbol.

Wir nennen eine Abbildung \(f\) konstant, wenn alle Funktionswerte unter \(f\) gleich sind, mit anderen Worten, wenn \(\operatorname{Im}(f)\) nur ein einziges Element enthält (oder, in dem Fall, dass der Definitionsbereich von \(f\) die leere Menge ist, leer ist).

Definition 3.26

Seien \(X\), \(Y\), \(Z\) Mengen und seien \(f\colon X\to Y\) und \(g\colon Y\to Z\) Abbildungen. Wir definieren eine Abbildung \(g\circ f\colon X\to Z\) durch

\[ (g\circ f)(x) = g(f(x)). \]

(Diese Definition ist sinnvoll, da \(f(x)\in Y\), so dass wir die Abbildung \(g\) auf dieses Element anwenden können.)

Die Abbildung \(g\circ f\) heißt die Verkettung, Verknüpfung oder manchmal die Komposition der Abbildungen \(f\) und \(g\). Das Symbol \(g\circ f\) liest man auch als \(g\) nach \(f\).

Achtung: Wenn man die Abbildungen \(f\) und \(g\) als Pfeile schreibt:

\begin{tikzcd} 
    X \arrow{r}{f} &Y\arrow{r}{g} & Z \\
\end{tikzcd}

so steht \(f\) links und \(g\) rechts, aber die Verkettung der beiden Abbildungen ist \(g\circ f\).

Ist \(f\colon X\to Y\) eine Abbildung und \(U\subseteq X\) eine Teilmenge, so bezeichnen wir mit \(f_{|U}\) die Abbildung \(U\to Y\), \(x\mapsto f(x)\). Wir behalten also die Zuordnungsvorschrift unverändert bei und verkleinern lediglich den Definitionsbereich. Wir nennen \(f_{|U}\) die Einschränkung der Abbildung \(f\) auf \(U\).

Oftmals möchten wir Objekte »auflisten«, zum Beispiel, indem wir sie durchnummerieren (»Seien \(x_1, x_2, x_3\) reelle Zahlen.«), je nach Situation kann es dabei um endlich viele oder unendlich viele Objekte gehen. Dabei möchten wir erlauben, dass Elemente mehrfach vorkommen (es wäre in dem gerade genannten Beispiel erlaubt, dass \(x_1=x_2\) ist), und ihre Reihenfolge festhalten. Daher ist der Mengenbegriff für diese Zwecke nicht ausreichend. Mithilfe des Abbildungsbegriffs können wir aber eine geeignete Definition machen:

Definition 3.27

Sei \(X\) eine Menge. Eine Familie (oder: ein System) von Elementen aus \(X\) (mit Indexmenge \(I\)) ist gegeben durch eine Menge \(I\) und für jedes Element \(i\in I\) ein Element \(x_i\in X\). Formal kann man eine solche Familie als Abbildung \(I\rightarrow X\), \(i\mapsto x_i\), oder als ein Element des Produkts \(X^I\) betrachten bzw. definieren. Wir schreiben eine durch \(I\) indizierte Familie oft in der Form \((x_i)_{i\in I}\).

Der häufigste Fall wird sein, dass \(I = \{ 1, \dots , n\} \) für eine natürliche Zahl \(n\), oder dass \(I=\mathbb N\) ist.