3.5 Offene Fragen *
Manchmal hört man, dass in der Mathematik ja wohl seit langem alles erforscht sei. Dabei ist das Gegenteil der Fall. In der Mathematik und auch in der linearen Algebra gibt es viele noch offene Fragen. Der Stoff der Vorlesungen über Lineare Algebra ist allerdings so grundlegend und so stark »optimiert«, dass uns in der Vorlesung solche offene Fragen kaum begegnen werden.
Besonders in der Zahlentheorie gibt es aber Vermutungen, die ganz leicht zu formulieren sind, die aber seit Jahrzehnten (oder teilweise seit Jahrhunderten) offen sind. Hier zwei Beispiele:
Es ist bekannt, dass die Vermutung für alle geraden Zahlen bis \(4\, 000\, 000\, 000\, 000\, 000\, 000\) richtig ist. Man weiß auch, dass jede ungerade Zahl sich als Summe von höchstens \(3\) Primzahlen schreiben lässt (dies ist die sogenannte schwache Goldbachsche Vermutung, die 2013 von Helfgott bewiesen wurde).
Um die nächste Vermutung zu formulieren, brauchen wir eine kleine Vorbereitung. Wir nennen natürliche Zahlen teilerfremd, wenn sie keinen gemeinsamen Teiler \({\gt}1\) besitzen – zum Beispiel sind \(12\) und \(55\) teilerfremd, \(15\) und \(55\) jedoch nicht. Das Radikal einer natürlichen Zahl \(n\) ist das Produkt aller Primzahlen, die \(n\) teilen. (Der Unterschied zwischen der Zahl \(n\) und ihrem Radikal ist also, dass in \(n\) einige Primfaktoren mit einer höheren Potenz auftreten können.) Das Radikal von \(1152 = 2^7 \cdot 3^2\) ist \(2\cdot 3 = 6\).
Zum Beispiel sind \(a = 3\), \(b=125\), \(c=128\) teilerfremd und es gilt \(a+b=c\). Die Primzahlen, die eine der drei Zahlen teilen, sind \(2\), \(3\) und \(5\), also gilt \(\operatorname{rad}(abc) = 2\cdot 3\cdot 5 = 30\). Es gilt also \(c {\gt} \operatorname{rad}(abc)\) (und es ist nicht so schwer zu sehen, dass die obige Aussage falsch würde, wenn man einfach \(\varepsilon \) durch \(0\) ersetzt). Man kennt aber kein einziges Beispiel für teilerfremde Zahlen \(a\), \(b\), \(c\) mit \(a+b=c\) und \(c {\gt} \operatorname{rad}(abc)^2\).
Die Millennium-Probleme sind sieben Probleme, für deren Lösung das Clay Institute im Jahr 2000 ein Preisgeld von jeweils \(1\) Million Dollar ausgelobt hat. Von diesen Problemen konnte bisher nur die Poincaré-Vermutung bewiesen werden (G. Perelman, 2002; der Preis wurde ihm 2010 zugesprochen, aber Perelman hat den Preis abgelehnt).