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6.4 Auflösbarkeit von Gleichungen durch Radikale

Wir wollen jetzt die Galois-Theorie auf die Frage anwenden, für welche Polynome sich die Nullstellen als ein Ausdruck hinschreiben lassen, in dem neben den Grundrechenarten (plus, minus, mal, geteilt) nur \(n\)-te Wurzeln gezogen werden. Dass es typischerweise mehrere verschiedene \(n\)-te Wurzeln eines Elements gibt, berücksichtigen wir dadurch, dass wir auch Einheitswurzeln in dem Ausdruck erlauben. (Man darf also sozusagen immer eine »geeignete« \(n\)-te Wurzel verwenden.)

Um die Diskussion etwas zu vereinfachen, betrachten wir in diesem Abschnitt nur Körper der Charakteristik \(0\). Um die Ergebnisse in der »richtigen« Art und Weise auf Körper positiver Charakteristik zu übertragen, ist zu berücksichtigen, dass es über diesen im Allgemeinen auch zyklische Erweiterungen gibt, für die kein primitives Element mit Minimalpolynom der Form \(X^n - c\) existiert (vergleiche Satz 6.27, der diese Fälle nicht abdeckt, weil es niemals eine primitive \(n\)-te Einheitswurzel gibt, wenn \(n\) ein Vielfaches der Charakteristik ist).

Für die Charakterisierung solcher Erweiterungen müssen wir im Grunde nur noch zusammensetzen, was wir bereits wissen:

  • Körpererweiterungen, die durch Adjunktion von Einheitswurzel entstehen, sind abelsch, Satz 6.21,

  • Körpererweiterungen der Form \(\left.K(\sqrt[n]{a})\middle /K\right.\), wo \(K\) eine primitive \(n\)-te Einheiswurzel enthält sind zyklisch, und (in geeignetem Sinne, in Charakteristik \(0\)) umgekehrt, Satz 6.27,

  • Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine endliche Galois-Erweiterung. Die Galois-Gruppe \(\operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\) ist genau dann auflösbar, wenn es eine Kette

    \[ K= K_0 \subset K_1\subset \cdots \subset K_r = L \]

    von Zwischenkörpern gibt, so dass alle Erweiterungen \(\left.K_i\middle /K_{i-1}\right.\) zyklisch sind. (Theorem 5.49, Lemma 2.64).

Um das weiter auszuarbeiten, machen wir zunächst die folgenden Definitionen. Wir fixieren hier einen algebraischen Abschluss \(\overline{K}\) von \(K\) und setzen ohne Einschränkung voraus, dass alle im Folgenden betrachteten Erweiterungskörper von \(K\) Teilkörper von \(\overline{K}\) sind.

Definition 6.36

Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine endliche Körpererweiterung.

  1. Wir sagen, die Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) sei auflösbar durch Radikale, wenn eine Kette

    \[ K= K_0 \subset K_1\subset \cdots \subset K_r \]

    endlicher Körpererweiterungen mit \(L\subseteq K_r\) existiert, so dass jede der Erweiterungen \(\left.K_{i+1}\middle /K_i\right.\) von einer der folgenden Formen ist:

    • \(K_{i+1}\) entsteht aus \(K_i\) durch Adjunktion einer Einheitswurzel,

    • \(K_{i+1} = K_i(\alpha )\) für ein Element \(\alpha \) aus \(K_{i+1}\), so dass eine positive Potenz von \(\alpha \) in \(K_i\) liegt.

  2. Wir sagen, die Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) sei auflösbar, wenn ein Erweiterungskörper \(E\) von \(L\) existiert, so dass \(\left.E\middle /K\right.\) eine endliche Galois-Erweiterung mit auflösbarer Galois-Gruppe ist.

  3. Ist \(f\in K[X]\), so sagen wir die Gleichung \(f(x)=0\) (oder: das Polynom \(f\)) sei auflösbar durch Radikale bzw. auflösbar, wenn der Zerfällungskörper von \(f\) die entsprechende Eigenschaft hat.

In Teil (1) ist der erste Typ der erlaubten Erweiterungen ein Spezialfall des zweiten Typs, aber es ist nützlich, die Adjunktion von Einheitswurzeln separat zu betrachten.

Wir werden sehen, dass es (beispielsweise über \(K=\mathbb Q\)) Polynome mit der Eigenschaft gibt, dass für jede Nullstelle \(\alpha \) des Polynoms die Erweiterung \(\left.K(\alpha )\middle /K\right.\) nicht durch Radikale auflösbar ist. Das bedeutet, dass sich \(\alpha \) nicht durch Elemente aus \(K\), die Grundrechenarten, Einheitswurzeln und \(n\)-te Wurzeln ausdrücken lässt, denn sonst könnte man eine Kette wie oben mit \(\alpha \in K_r\) und damit \(K(\alpha )\subseteq K_r\) finden.

Lemma 6.37
  1. Eine Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) ist genau dann auflösbar durch Radikale, wenn die normale Hülle von \(L\) über \(K\) diese Eigenschaft hat.

  2. Eine Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) ist genau dann auflösbar, wenn die normale Hülle von \(L\) über \(K\) eine Galois-Erweiterung mit auflösbarer Galois-Gruppe ist.

  3. Sind \(\left.L\middle /K\right.\) und \(\left.E\middle /K\right.\) algebraische Körpererweiterungen (in \(\overline{K}\)) und ist \(\left.L\middle /K\right.\) auflösbar durch Radikale bzw. auflösbar, so hat auch die Erweiterung \(\left.LE\middle /E\right.\) diese Eigenschaft.

  4. Die Eigenschaften auflösbar durch Radikale und auflösbar verhalten sich transitiv in einem Turm \(K\subset L\subset M\) von Körpererweiterungen, d.h. es gilt: \(\left.M\middle /K\right.\) hat die entsprechende Eigenschaft genau dann, wenn sowohl \(\left.M\middle /L\right.\) als auf \(\left.L\middle /K\right.\) sie haben.

Beweis

Zu (1). Dies ist nicht schwierig und wird im Folgenden nicht benötigt, daher lassen wir den Beweis aus.

Zu (2). Wenn die normale Hülle von \(L\) über \(K\) galoissch mit auflösbarer Galois-Gruppe ist, dann ist \(\left.L\middle /K\right.\) nach Definition auflösbar. Ist andererseits \(\left.L\middle /K\right.\) auflösbar, und etwa \(E\) ein Erweiterungskörper von \(K\), so dass \(\left.E\middle /K\right.\) eine endliche Galois-Erweiterung mit auflösbarer Galois-Gruppe ist, dann ist die normale Hülle \(L'\) von \(L\) über \(K\) in \(E\) enthalten und die Gruppe \(\operatorname{Gal}(\left.L'\middle /K\right.)\) als Quotient der auflösbaren Gruppe \(\operatorname{Gal}(\left.E\middle /K\right.)\) auch selbst auflösbar (Lemma 2.63).

Zu (3). Sei zunächst \(\left.L\middle /K\right.\) durch Radikale auflösbar. Indem wir gegebenenfalls \(L\) vergrößern können wir annehmen, dass eine Kette von Teilkörpern der Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) besteht, so dass die einzelnen Schritte die oben genannten Typen haben. Indem wir für jeden dieser Schritte das Kompositum mit \(E\) bilden, erhalten wir eine entsprechende Kette von Teilkörpern der Erweiterung \(\left.LE\middle /E\right.\).

Ist \(\left.L\middle /K\right.\) auflösbar, so können wir, indem wir \(L\) durch seine normale Hülle über \(K\) ersetzen, annehmen, dass die Erweiterung eine Galois-Erweiterung mit auflösbarer Galois-Gruppe ist. Insbesondere ist \(L\) Zerfällungskörper einer Familie von separablen Polynomen, und wir erhalten \(LE\) als Zerfällungskörper derselben Familie über \(E\). Also ist auch \(\left.LE\middle /E\right.\) eine Galois-Erweiterung. Wir erhalten durch Einschränkung einen Homomorphismus

\[ \operatorname{Gal}(\left.LE\middle /E\right.)\longrightarrow \operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.),\quad \sigma \mapsto \sigma _{|L}, \]

der injektiv ist, weil \(LE\) über \(E\) von den Elementen von \(L\) erzeugt wird. Da nach Voraussetzung \(\operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\) auflösbar ist, gilt das nach Lemma 2.63 auch für \(\operatorname{Gal}(\left.LE\middle /E\right.)\).

Zu (4). Es ist leicht zu sehen, dass \(\left.M\middle /L\right.\) und \(\left.L\middle /K\right.\) auflösbar durch Radikale (bzw. auflösbar) sind, wenn dies für \(\left.M\middle /K\right.\) gilt.

Seien nun \(\left.M\middle /L\right.\) und \(\left.L\middle /K\right.\) auflösbar durch Radikale. Wir finden dann \(\left.L'\middle /L\right.\), so dass die Erweiterung \(\left.L'\middle /K\right.\) eine Kette von Zwischenkörpern besitzt, deren einzelne Schritte Erweiterungen der oben genannten Typen sind. Nach Teil (3) ist auch \(\left.ML'\middle /L'\right.\) auflösbar durch Radikale. Dann ist aber auch \(\left.ML'\middle /K\right.\) und erst recht \(\left.M\middle /K\right.\) durch Radikale auflösbar.

Seien schließlich die Erweiterungen \(\left.M\middle /L\right.\) und \(\left.L\middle /K\right.\) auflösbar. Durch Übergang zu den normalen Hüllen und mit Teil (3) können wir annehmen, dass beide Erweiterungen galoissch mit auflösbarer Galois-Gruppe sind. Ist dann die Erweiterung \(\left.M\middle /K\right.\) galoissch, dann folgt direkt, dass ihre Galois-Gruppe auflösbar ist, und wir sind fertig; im allgemeinen wird das aber nicht der Fall sein.

Sei \(M'\) die normale Hülle von \(M\) über \(K\). Dann ist \(\left.M'\middle /K\right.\) eine Galois-Erweiterung, denn \(\left.M\middle /K\right.\) ist separabel (Satz 5.24) und \(M'\) ist der Zerfällungskörper der Minimalpolynome \(\operatorname{minpol}_{\alpha , K}\) für \(\alpha \in M\). Wir müssen zeigen, dass \(\operatorname{Gal}(\left.M'\middle /K\right.)\) auflösbar ist. Die Einschränkungsabbildung \(R\colon \operatorname{Gal}(\left.M'\middle /K\right.)\to \operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\) ist surjektiv, und \(\operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\) ist auflösbar. Nach Lemma 2.63 genügt es daher zu zeigen, dass \(\operatorname{Ker}(R) = \operatorname{Gal}(\left.M'\middle /L\right.)\) auflösbar ist. Aber \(M'\) ist das Kompositum der Erweiterungskörper \(\sigma (M)\) für \(\sigma \in \operatorname{Hom}_K(M,\overline{K})\) (vergleiche Satz 5.7 über die normale Hülle). Alle Erweiterungen \(\left.\sigma (M)\middle /\sigma (L)\right.\) sind Galois-Erweiterungen, weil das für \(\left.L\middle /K\right.\) gilt: Ist etwas \(M=L(\alpha )\), so ist \(\sigma (M) = \sigma (L)(\sigma (\alpha )) \subseteq \overline{K}\), und \(\operatorname{minpol}_{\sigma (\alpha ), \sigma (L)} = \sigma (\operatorname{minpol}_{\alpha , L})\); also ist \(\operatorname{minpol}_{\sigma (\alpha ), \sigma (L)}\) separabel und zerfällt über \(\sigma (M)\) vollständig in Linearfaktoren. Die Abbildung \(\tau \mapsto \sigma \circ \tau \circ \sigma ^{-1}\) ist ein Isomorphismus \(\operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}\operatorname{Gal}(\left.\sigma (M)\middle /\sigma (L)\right.)\). Weil \(\left.L\middle /K\right.\) eine Galois-Erweiterung ist, gilt zudem \(\sigma (L)=L\) für alle \(\sigma \).

Wir erhalten damit einen injektiven Gruppenhomomorphismus

\[ \operatorname{Gal}(\left.M'\middle /L\right.)\longrightarrow \prod _{\sigma \in \operatorname{Hom}_K(M,\overline{K})} \operatorname{Gal}(\left.\sigma (M)\middle /L\right.),\quad \tau \mapsto (\tau _{|\sigma (M)})_\sigma . \]

Mit Lemma 2.63 sehen wir zunächst, dass der Wertebereich auflösbar ist und sodann, dass das auch für den Definitionsbereich gilt.

Satz 6.38

Eine Körpererweiterung ist genau dann auflösbar durch Radikale, wenn sie auflösbar ist.

Beweis

Sei zunächst \(\left.L\middle /K\right.\) auflösbar. Wir können wegen Lemma 6.37 (2) \(L\) durch seine normale Hülle ersetzen und daher annehmen, dass die Erweiterung galoissch mit auflösbarer Galois-Gruppe ist. Ist \(\zeta \in \overline{K}\) irgendeine Einheitswurzel, so ist \(L(\zeta ) = LK(\zeta )\) und daher nach Satz 5.55 und Lemma 6.37 (3) die Erweiterung \(\left.L(\zeta )\middle /K(\zeta )\right.\) ebenfalls galoissch mit auflösbarer Galois-Gruppe. Weil die Erweiterung \(\left.K(\zeta )\middle /K\right.\) nach Definition durch Radikale auflösbar ist, genügt es (nun wegen Lemma 6.37 (4)) zu zeigen, dass \(\left.L(\zeta )\middle /K(\zeta )\right.\) durch Radikale auflösbar ist. Indem wir \(K\) durch \(K(\zeta )\) ersetzen für eine \([L:K]!\)-te Einheitswurzel \(\zeta \), können wir also voraussetzen, dass \(K\) alle \(d\)-ten Einheitswurzeln für alle Teiler \(d\) von \([L:K]\) enthält. Wir können (mit Lemma 2.64 und Theorem 5.49) eine Kette

\[ K= K_0 \subset K_1\subset \cdots \subset K_r = L \]

finden, so dass jede der Erweiterungen \(\left.K_i\middle /K_{-1}\right.\) zyklisch ist. Nach Satz 6.27 hat dann jede dieser Erweiterungen die Form \(K_i = K_{i-1}(\sqrt[n]{a})\) für \(n\in \mathbb N\), \(a\in K_{i-1}\). Also ist \(\left.L\middle /K\right.\) auflösbar durch Radikale.

Sei nun \(\left.L\middle /K\right.\) eine Körpererweiterung, die durch Radikale auflösbar ist. Sei

\[ K= K_0 \subset K_1\subset \cdots \subset K_r \]

eine Kette von Körpererweiterungen wie in Definition 6.36 (1) mit \(L\subseteq K_r\). Wir können \(L\) durch einen Erweiterungskörper ersetzen und daher \(L=K_r\) annehmen. Dann genügt es (wegen Lemma 6.37 (4)) zu zeigen, dass jede der Erweiterungen \(\left.K_{i}\middle /K_{i-1}\right.\) auflösbar ist. Das aber ist klar für Erweiterungen vom Typ (1) (Adjunktion einer Einheitswurzel), denn es handelt sich ja sogar um abelsche Galois-Erweiterungen. Ist \(\left.L\middle /K\right.\) eine Erweiterung vom Typ (2), d.h. \(L=K(\alpha )\) und etwas \(\alpha ^n\in K\), so ist die Erweiterung ebenfalls auflösbar. Denn ist \(\zeta \) eine \(n\)-te Einheitswurzel, dann ist die Erweiterung \(\left.L(\zeta )\middle /K(\zeta )\right.\) nach Satz 5.55 zyklisch, die Kette \(K\subset K(\zeta )\subset L(\zeta )\) besteht also aus abelschen Galois-Erweiterungen und wir sehen, dass \(\left.L(\zeta )\middle /K\right.\) galoisch ist (denn \(L\) ist der Zerfällungskörper von \(\operatorname{minpol}_{\alpha , K}\) und \(X^n-1\)) und zwar mit auflösbarer Galois-Gruppe.

Korollar 6.39

Es gibt Gleichungen (zum Beispiel vom Grad \(5\) über \(\mathbb Q\)), die nicht durch Radikale auflösbar sind.

Beweis

Wir haben gesehen (Satz 2.65), dass die Gruppe \(S_5\) nicht auflösbar ist, es genügt also, ein Polynom \(f\in \mathbb Q[X]\) vom Grad \(5\) mit Galois-Gruppe \(S_5\) zu finden. Wenn \(f\) irreduzibel vom Grad \(5\) ist und \(L\) der Zerfällungskörper von \(f\) (in \(\overline{\mathbb Q}\subset \mathbb C\)) ist, dann operiert \(G:=\operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\) transitiv auf der Menge der Nullstellen von \(f\) in \(\overline{\mathbb Q}\) und wir erhalten so einen injektiven Gruppenhomomorphismus \(G\to S_5\), so dass wir \(G\) im folgenden als Untergruppe von \(S_5\) betrachten können.

Wir wollen nun Polynome \(f\) finden, für die sogar die Gleichheit \(G=S_5\) gilt. Dafür gibt es viele Möglichkeiten (siehe auch  [ Bo-A ] Abschnitt 6.1). Man kann auch zeigen, dass in einem geeigneten Sinne »die meisten« Polynome vom Grad \(\ge 5\) eine nicht-auflösbare Galois-Gruppe haben. Eine Möglichkeit, um konkrete Beispiele angeben zu können, ist, die folgenden drei Aussagen zu zeigen. (Man könnte hier auch allgemeiner irgendeine Primzahl \(\ge 5\) betrachten.)

  1. Weil \(G\) transitiv auf der Menge der Nullstellen operiert, enthält \(G\) einen \(5\)-Zykel.

  2. Wenn \(f\) so gewählt ist, dass \(G\) eine Transposition enthält, dann ist \(G=S_5\).

  3. Wenn \(f\) genau zwei nicht-reelle Nullstellen hat, dann enthält \(G\) eine Transposition, also ist die Gleichung \(f\) nicht durch Radikale auflösbar.

Zu (1). Weil \(G\) eine Bahn mit \(5\) Elementen hat, folgt aus Lemma 2.32, dass \(5\) ein Teiler von \(\# G\) ist. Weil \(5^2\) aber nicht \(\# S_5\) teilt, hat jede \(5\)-Sylow-Untergruppe von \(G\) genau \(5\) Elemente, ist also zyklisch von Ordnung \(5\). Also enthält \(G\) ein Element der Ordnung \(5\), d.h. einen \(5\)-Zykel.

Zu (2). Nach Umnummerieren können wir annehmen, dass \((12)\in G\). Indem wir von dem in \(G\) enthaltenen \(5\)-Zykel gegebenenfalls zu einer Potenz übergehen, können wir annehmen, dass dieser Zykel \(1\) auf \(2\) abbildet, und nach einer weiteren Umnummerierung annehmen, dass \((12345)\in G\) ist. Dann sehen wir, dass \(G\) auch die Transpositionen \((23)\), \((34)\) und \((45)\) enthält, und diese erzeugen die Gruppe \(S_5\).

Zu (3). Wenn \(f\) genau zwei Nullstellen in \(\mathbb C\setminus \mathbb R\) enthält, dann sind diese zueinander konjugiert, die Einschränkung der komplexen Konjugation auf \(L\) ist daher ein Automorphismus von \(L\), der auf der Nullstellenmenge von \(f\) durch eine Transposition operiert.

Ein konkretes Beispiel für ein irreduzibles Polynom in \(\mathbb Q[X]\), das genau zwei nicht-reelle Nullstellen hat, ist \(X^5-6X+3\) (irreduzibel nach dem Eisenstein-Kriterium), wie man leicht mittels »Kurvendiskussion« beweist.

Insbesondere bedeutet das natürlich, dass es für Polynome von Grad \(\ge 5\) keine allgemeine Lösungsformel für die Nullstellen in Termen der hier betrachteten Rechenoperationen geben kann.

Andererseits erhalten wir wegen der Auflösbarkeit der Gruppen \(S_n\) für \(n\le 4\) (und demzufolge aller ihrer Untergruppen) das folgende Ergebnis.

Korollar 6.40

Jede Gleichung vom Grad \(\le 4\) ist durch Radikale auflösbar.

Die Methoden der Galois-Theorie ermöglichen es auch, für Gleichungen vom Grad \(3\) und \(4\) konkrete Lösungsformeln aufzustellen, ähnlich der bekannten Lösungsformel für quadratische Gleichungen. Naturgemäß ist die Sache in Grad \(3\) und \(4\) etwas komplizierter, auch deshalb, weil man dabei auch dritte (und gegebenenfalls vierte) Einheitswurzeln verwenden muss. Siehe  [ Bo-A ] Abschnitt 6.2.

Ergänzung 6.41 Der Satz von Rost über den Radikalabschluss von \(\mathbb Q\) in \(\mathbb R\)

Die reelle Zahl \(\cos (\frac{2\pi }{7})\) ist ein Element von \(\mathbb Q(\zeta )\) für \(\zeta = e^{\frac{2\pi i}{7}}\), denn \(\cos (\frac{2\pi }{7}) = \text{Re}(\zeta ) = \frac12 (\zeta +\zeta ^{-1})\). Insbesondere ist diese reelle Zahl »durch Radikale darstellbar« in dem Sinne, dass die Erweiterung \(\left.\mathbb Q(\cos (\frac{2\pi }{7})\middle /\mathbb Q\right.\) durch Radikale auflösbar ist. Die hier gegebene Darstellung verwendet aber nicht-reelle komplexe Zahlen. Interessanterweise kann man zeigen, dass das auch nicht vermeidbar ist, das heißt, man kann \(\cos (\frac{2\pi }{7})\) nicht durch die Grundrechenarten und das Ziehen von \(n\)-ten Wurzeln aus positiven reellen Zahlen darstellen (etwas formaler: \(\cos (\frac{2\pi }{7})\) liegt nicht in dem kleinsten Teilkörper \(K\) von \(\mathbb R\) mit der Eigenschaft, dass für alle \(x\in \mathbb R\), \(n\in \mathbb N_{{\gt} 0}\) mit \(x^n\in K\) auch \(x\) in \(K\) liegt). Der Beweis ist (mit dem, was wir schon wissen) nicht schwer zu verstehen, siehe  [ Soe-AZT ] Abschnitt 4.8.

Ergänzung 6.42 Arnolds Beweis, dass die allgemeine Gleichung vom Grad \(5\) nicht durch Radikale auflösbar ist

Der russische Mathematiker V. Arnold (1937–2010) hat einen ganz anderen Beweis gegeben, dass es keine Lösungsformel für Gleichungen fünften Grades gibt, der keine Galois-Theorie verwendet, sondern auf topologischen Argumenten beruht. Damit erhält man sogar die noch stärkere Aussage, dass es keine Lösungsformel gibt, die nur die Grundrechenarten, die trigonometrischen Funktionen \(\sin \) und \(\cos \) und die Exponentialfunktion \(\exp \) verwendet. (Das Wurzelziehen kann man dann mit der Exponentialfunktion ausdrücken.) Andererseits erhält man nicht die genauen Informationen über die Struktur der Körpererweiterung (zum Beispiel ihre Zwischenkörper), die die Galois-Theorie liefert. Siehe https://web.williams.edu/Mathematics/lg5/394/ArnoldQuintic.pdf für eine gut lesbare Darstellung des Beweises von Arnold.