6.1 Lineare Unabhängigkeit von Charakteren *
Ist \(G\) eine Gruppe und \(K\) ein Körper, so nennt man einen Gruppenhomomorphismus \(G\to K^\times \) auch einen (multiplikativen) Charakter von \(G\) mit Werten in \(K\) (auch wenn die Werte in der Einheitengruppe \(K^\times \) liegen!).
Sei \(G\) eine Gruppe, sei \(K\) ein Körper und seien \(\sigma _1,\dots , \sigma _r\colon G\to K^\times \) paarweise verschiedene Charaktere.
Dann sind \(\sigma _1,\dots , \sigma _r\) als Elemente des \(K\)-Vektorraums \(\operatorname{Abb}(G, K)\) linear unabhängig, das heißt: Sind \(a_1, \dots , a_r\in K\) mit
so gilt \(a_1= \cdots = a_r = 0\).
Angenommen, der Satz wäre falsch. Wir betrachten eine Gleichung \(\sum _{i=1}^r a_i\sigma _i = 0\) mit \(a_i\in K^\times \) mit minimalem \(r\). Weil ein Charakter Werte in \(K^\times \) hat, kann ein Charakter nicht die Nullabbildung sein, also gilt \(r {\gt} 1\).
Es gilt also
für alle \(g\in G\). Wir können auch statt eines Elements \(g\) ein Produkt \(gh\) einsetzen. Aus der Multiplikativität der \(\sigma _i\) folgt dann
für alle \(g,h\in G\). Weil \(\sigma _1\ne \sigma _2\) gilt, gibt es ein Element \(h\in G\) mit \(\sigma _1(h)\ne \sigma _2(h)\), das wir nun fixieren wollen.
Damit haben wir
und andererseits, wenn wir die ursprüngliche Relation mit \(\sigma _1(h)\) multiplizieren,
Ziehen wir diese Gleichungen voneinander ab, erhalten wir mit
eine Relation, die weniger als \(r\) Summanden hat, aber wegen \(\sigma _2(h) \ne \sigma _1(h)\) nicht trivial ist. Das ist ein Widerspruch zur Wahl von \(r\) als der Länge einer minimalen solchen Relation.
Ist \(L\) ein Körper, so erhalten wir daraus, indem wir \(G=L^\times \) setzen und ausnutzen, dass jeder Körperhomomorphismus \(L\to L\) sich zu einem Gruppenhomomorphismus \(L^\times \to L^\times \) einschränkt, das folgende Korollar. Denn aus der linearen Unabhängigkeit in \(\operatorname{Abb}(L^\times , L)\) folgt erst recht die in \(\operatorname{Abb}(L, L)\).
Sei \(L\) ein Körper und seien \(\sigma _1,\dots , \sigma _r\in \operatorname{Aut}(L)\) paarweise verschiedene Automorphismen von \(L\). Dann sind \(\sigma _1,\dots , \sigma _r\) als Elemente des \(L\)-Vektorraums \(\operatorname{Abb}(L, L)\) linear unabhängig.
Eine relative einfache Folgerung daraus ist das folgende wichtige Ergebnis der »fortgeschrittenen« Galois-Theorie. Eine Basis der dort angegebenen Form nennt man eine Normalbasis der Galois-Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\).
Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine Galois-Erweiterung vom Grad \(n\) mit Galois-Gruppe \(G = \{ \sigma _1,\dots , \sigma _n\} \). Dann existiert ein Element \(\alpha \in L\), derart dass die Elemente \(\sigma _1(\alpha ),\dots , \sigma _n(\alpha )\) eine Basis des \(K\)-Vektorraums \(L\) bilden.
Für einen Beweis und eine ausführlichere Diskussion siehe [ Lo ] 12.3 oder [ JS ] Satz VI.3.5.
(Die Gruppenalgebra) Sei \(G\) eine endliche Gruppe und sei \(K\) ein Körper. Wir bezeichnen mit \(K[G]\) die Gruppenalgebra von \(G\) über \(K\). Dies ist eine Algebra über \(K\) in dem Sinne, dass \(K[G]\) ein \(K\)-Vektorraum ist, der mit der Vektorraumaddition und einer Multiplikation \(K[G]\times K[G]\to K[G]\) ein Ring ist, und so dass die Multiplikation mit Skalaren aus \(K\) mit der Ringmultiplikation kompatibel ist. Im allgemeinen ist dabei \(K[G]\) ein nicht-kommutativer Ring (so dass diese Situation durch den von uns früher eingeführten Begriff einer \(K\)-Algebra nicht abgedeckt wird). Wir können diese Struktur auch so beschreiben, dass \(K[G]\) ein Ring ist und die Abbildung \(K\to K[G]\), \(\alpha \mapsto \alpha \cdot 1\) ein Ringhomomorphismus ist, so dass die Elemente im Bild mit allen Elementen aus \(K[G]\) kommutieren.
Wir konstruieren \(K[G]\) wie folgt: Die Elemente von \(G\) bilden eine \(K\)-Vektorraumbasis von \(K[G]\), wir können also jedes Element von \(K[G]\) in der Form \(\sum _{g\in G} \alpha _g [g]\) mit eindeutig bestimmten Koeffizienten \(\alpha _g\in K\) schreiben. (Wir schreiben hier \([g]\) statt \(g\) für das durch \(g\in G\) gegebene Basiselement, um den Unterschied in der Notation sichtbar zu machen, ob \(g\) als Element von \(G\) oder als Element von \(K[G]\) aufgefasst wird. Hier sind auch andere Schreibweisen üblich; oft schreibt man einfach in beiden Situationen \(g\).) Die Ringstruktur ist durch die folgende Multiplikation gegeben. Wir setzen
\[ [g] \cdot [h] := [gh] \]und setzen dies bilinear fort, das heißt
\[ \left( \sum _{g\in G}\alpha _g[g] \right)\cdot \left( \sum _{g\in G}\beta _g[g] \right) = \sum _{g\in G}\left(\sum _{h, h'\in G,\ hh' = g}\alpha _h\beta _{h'}\right) [g]. \]Es ist nicht schwer zu überprüfen, dass es sich hierbei um einen (im allgemeinen nicht-kommutativen) Ring handelt. Wenn \(G\) kommutativ ist, dann ist auch \(K[G]\) kommutativ (und umgekehrt); vergleiche Bemerkung 3.32.
Sei nun \(\left.L\middle /K\right.\) eine endliche Galois-Erweiterung mit Galois-Gruppe \(G\). Wir können dann \(L\) als »(Links-)Modul« über der Algebra \(K[G]\) betrachten (vergleiche Abschnitt LA2.18.7.1), d.h. wir haben eine Skalarmultiplikation
\[ K[G]\times L\longrightarrow L,\quad \left(\sum _{\sigma \in G} a_\sigma [\sigma ]\right) \cdot \alpha = \sum _{\sigma \in G} a_\sigma \sigma (\alpha ). \]Ist \(\alpha \in L\) wie im Satz von der Existenz einer Normalbasis, dann ist die Abbildung
\[ \Phi \colon K[G]\longrightarrow L,\quad \left(\sum _{\sigma \in G} a_\sigma [\sigma ]\right) \mapsto \sum _{\sigma \in G} a_\sigma \sigma (\alpha ), \]ein Isomorphismus von \(K[G]\)-Moduln. Umgekehrt gilt: Ist für \(\alpha \in L\) die durch die obige Vorschrift gegebene Abbildung bijektiv, dann bildet die Familie \((\sigma (\alpha ))_{\sigma \in G}\) eine \(K\)-Basis von \(L\).