2.6 Auflösbare Gruppen
Um die Struktur einer Gruppe zu untersuchen, liegt es nahe zu versuchen, sie »in kleinere Teile zu zerlegen«, die man dann unabhängig voneinander betrachten kann. Im einfachsten Fall eines Produkts von Gruppen \(G\times H\) kann man tatsächlich alle interessanten Eigenschaften des Produkts beschreiben, wenn man die Faktoren \(G\) und \(H\) hinreichend genau versteht.
Allgemeiner kann man, gegeben eine Gruppe \(G\), versuchen, einen Normalteiler \(H\subseteq G\) zu finden und dann \(G\) zu verstehen, indem man \(H\) und den Quotienten \(G/H\) anschaut. Der Satz von Lagrange sagt zum Beispiel, dass man die Ordnung der Gruppe \(G\) aus den Ordnungen von \(H\) und \(G/H\) (nämlich als deren Produkt) berechnen kann. Für andere Eigenschaften ist es schwieriger (zum Beispiel sind für kommutatives \(G\) natürlich stets \(H\) und \(G/H\) kommutativ; die Umkehrung gilt aber nicht, wie Sie sich an einem Beispiel überlegen sollten). Dennoch ist der Ansatz grundsätzlich nützlich. Er lässt sich weiter verfeinern, indem man mit \(H\) und \(G/H\) genauso verfährt und dort nach echten Normalteilern sucht, usw. Äquivalent dazu ist es (vergleiche Lemma 2.16), in \(G\) eine Kette von Untergruppen zu suchen, so dass jede in der nächstgrößeren ein Normalteiler ist. Diesen Ketten geben wir den Namen Normalreihe.
Sei \(G\) eine Gruppe. Eine Normalreihe in \(G\) ist eine Kette
von Untergruppen von \(G\), so dass für alle \(i\) die Untergruppe \(G_{i+1}\) ein Normalteiler von \(G_{i}\) ist.
Die Gruppenquotienten \(G_{i}/G_{i+1}\) nennt man auch die Subquotienten der Normalreihe.
Man beachte, dass die Untergruppen \(G_i\) (für \(i {\gt} 1\)) einer Normalreihe im allgemeinen keine Normalteiler von \(G\) sein werden (und suche ein Beispiel, wo das tatsächlich nicht der Fall ist – gegebenenfalls können Sie in Satz 2.65 fündig werden).
Auch wenn, wie gesagt, die Gruppe \(G\) durch die Subquotienten einer Normalreihe nicht eindeutig bestimmt ist, liefern diese doch eine gewisse Menge an Information über die Gruppe \(G\). Wenn \(G\) außer \(\{ 1\} \) und \(G\) gar keine Normalteiler besitzt, dann ist natürlich eine solche Zerlegung nicht möglich; diese Gruppen nennt man einfache Gruppen und solche Gruppen müssen mit anderen Methoden untersucht werden. Siehe Abschnitt 2.8 und speziell Ergänzung 2.70.
In diesem Abschnitt wollen wir uns mit dem verhältnismäßig einfachen Fall von Gruppen befassen, die eine Normalreihe besitzen, deren Subquotienten sämtlich kommutative Gruppen sind.
Offenbar ist jede abelsche Gruppe auflösbar, aber zum Beispiel auch die Gruppen \(S_3\) (das ist recht leicht zu sehen) und \(S_4\) (siehe Satz 2.65).
Ein nützliches Werkzeug zum Studium dieser Eigenschaft ist die sogenannte Kommutatoruntergruppe, die wir als nächstes einführen.
Sei \(G\) eine Gruppe.
Für Elemente \(g,h\in G\) heißt
\[ [g,h] := ghg^{-1}h^{-1} \]Für Untergruppen \(H, H'\subseteq G\) bezeichnen wir mit \([H, H']\) die von allen Elementen der Form \([h, h']\), \(h\in H\), \(h'\in H'\) erzeugte Untergruppe von \(G\).
Die Untergruppe \([G, G]\subseteq G\), also die von allen Elementen der Form \([g,h]\), \(g,h\in G\), erzeugte Untergruppe von \(G\), heißt die Kommutatoruntergruppe von \(G\).
Sei \(G\) eine Gruppe. Dann ist \([G, G]\) ein Normalteiler von \(G\) und der Quotient \(G_{{\rm ab}} = G/[G, G]\) ist eine abelsche Gruppe und hat die folgende universelle Eigenschaft (und heißt deshalb der maximale abelsche Quotient der Gruppe \(G\)):
Ist \(H\) eine abelsche Gruppe und \(f\colon G\to H\) ein Gruppenhomomorphismus, so faktorisiert \(f\) eindeutig über \(G_{{\rm ab}}\), d.h. es existiert ein eindeutig bestimmter Gruppenhomomorphismus \(\varphi \colon G_{{\rm ab}}\to H\), so dass \(f\) mit der Verkettung von \(\varphi \) und der kanonischen Projektion \(G\to G_{{\rm ab}}\) übereinstimmt.
Für \(g, h, x\in G\) gilt
Es folgt \(x[G, G]x^{-1} \subseteq [G, G]\) und (mit derselben Rechnung für \(x^{-1}\) anstelle von \(x\)) sogar \(x[G, G]x^{-1} = [G, G]\). Weil das Argument für alle \(x\in G\) gültig ist, sehen wir, dass \([G, G]\) ein Normalteiler in \(G\) ist. Ist \(\pi \colon G\to G/[G, G]\) die kanonische Projektion, so gilt \(\pi ([g,h]) = 1\), also \(\pi (g)\pi (h) = \pi (h)\pi (g)\) für alle \(g,h\in G\). Weil \(\pi \) surjektiv ist, folgt, dass \(G_{{\rm ab}} = G/[G, G]\) abelsch ist.
Ist \(H\) abelsch, so bildet jeder Gruppenhomomorphismus \(f\colon G\to H\) Elemente der Form \([g,h]\) auf das neutrale Element in \(H\) ab. Nach dem Homomorphiesatz faktorisiert \(f\) über einen eindeutig bestimmten Gruppenhomomorphismus \(G_{{\rm ab}}\to H\).
Die Kommutatoruntergruppe einer Gruppe \(G\) ist genau dann die triviale Gruppe, wenn \(G\) kommutativ ist.
Sei \(K\) ein Körper und \(n\in \mathbb N\). Weil der Quotient \(GL_n(K)/SL_n(K)\cong K^\times \) abelsch ist, liegt die Kommutatoruntergruppe von \(GL_n(K)\) in der speziellen linearen Gruppe \(SL_n(K)\). Man kann zeigen (vergleiche LA1, WS20/21, Hausaufgabe 11.4), dass sogar \([GL_n(K), GL_n(K)] = SL_n(K)\) gilt, es sei denn es ist \(K=\mathbb F_2\) und \(n=2\) (in diesem Fall ist \(SL_2(\mathbb F_2) = GL_2(\mathbb F_2) \cong S_3\), und die Kommutatoruntergruppe hat \(3\) Elemente).
Man kann weiterhin zeigen, dass die Gruppe \(GL_n(K)\) genau dann auflösbar ist, wenn \(n=1\) oder wenn \(n=2\) und \(\# K \le 3\) ist.
Sei \(G\) eine Gruppe. Sei \(D^0G = G\), \(D^1G := [G, G]\), und allgemein \(D^iG = [D^{i-1}G, D^{i-1}G]\) für \(i \ge 1\). Dann sind äquivalent:
Die Gruppe \(G\) ist auflösbar.
Es existiert \(n\in \mathbb N\), so dass \(D^nG\) die triviale Gruppe ist.
Sei zunächst \(G\) auflösbar und
eine Normalreihe mit abelschen Subquotienten. Weil \(G_0/G_1\) abelsch ist, folgt \(DG \subseteq G_1\). Induktiv sehen wir dann \(D^i\subseteq G_i\) für alle \(i\) und insbesondere \(D^rG=1\).
Ist andererseits \(D^nG = 1\), so ist
eine Normalreihe mit abelschen Quotienten.
Sei \(G\) eine auflösbare Gruppe. Dann ist jede Untergruppe \(H\subseteq G\) auflösbar.
Sei \(G\) eine Gruppe und sei \(H\subseteq G\) ein Normalteiler. Sei \(\pi \colon G\to G/H\) die kanonische Projektion auf den Quotienten. Dann sind äquivalent:
Die Gruppe \(G\) ist auflösbar.
Die Gruppen \(H\) und \(G/H\) sind auflösbar.
Seien \(G_1, \dots , G_n\) Gruppen. Das Produkt \(\prod _{i=1}^n G_i\) ist genau dann auflösbar, wenn alle \(G_i\), \(i=1,\dots , n\), auflösbar sind.
Teil (1) folgt aus dem vorherigem Lemma, weil \(D^iH \subseteq D^iG\) für alle \(i\) gilt.
In Teil (2) ist für die Implikation (i) \(\Rightarrow \) (ii) nun nur noch die Auflösbarkeit von \(G/H\) zu zeigen. Das folgt daraus, dass \(\pi (D^iG)=D^i(G/H)\) gilt, wie man leicht per Induktion nach \(i\) zeigt. (Alternativ kann man Lemma 2.16 (6) und Korollar 2.25 benutzen, um zu sehen, dass eine Normalreihe von \(G\) mit abelschen Subquotienten unter \(\pi \) auf eine Normalreihe von \(G/H\) mit abelschen Subquotienten abgebildet wird.)
Zur Umkehrung (ii) \(\Rightarrow \) (i) betrachten wir Normalreihen
und
mit abelschen Subquotienten. Dann ist
eine Normalreihe von \(G\) (Lemma 2.16 (6)) mit abelschen Subquotienten, denn aus dem Homomorphiesatz (oder alternativ aus Korollar 2.25, denn \(\pi ^{-1}(\bar{G}_i)/H = \bar{G}_i\)) folgt
für alle \(i\). (Alternativ kann man auch hier mit den iterierten Kommutatoruntergruppen argumentieren.)
Teil (3) folgt für ein Produkt mit zwei Faktoren aus Teil (2) (denn \(H\) ist ein Normalteiler von \(H\times H'\)) und im Allgemeinen dann per Induktion.
Sei \(G\) eine endliche Gruppe. Dann sind äquivalent:
Die Gruppe \(G\) ist auflösbar.
Es existiert eine Kette
\[ G = G_0 \supset G_1 \supset \cdots \supset G_r = \{ 1\} \]von Untergruppen von \(G\), so dass für alle \(i\) die Untergruppe \(G_i\) ein Normalteiler von \(G_{i+1}\) ist und der Quotient \(G_{i}/G_{i+1}\) eine zyklische Gruppe ist.
Die Implikation (ii) \(\Rightarrow \) (i) ist trivial und für die Richtung (i) \(\Rightarrow \) (ii) können wir eine Normalreihe von \(G\) mit abelschen Subquotienten verfeinern, indem wir zusätzliche Untergruppen so hinzufügen, dass die Normalreiheneigenschaft erhalten bleibt und nach diesem Prozess alle Subquotienten zyklisch sind.
Das bedeutet, dass es genügt zu zeigen, dass jede abelsche Gruppe eine Normalreihe mit zyklischen Subquotienten besitzt. Das zeigen wir durch Induktion nach der Gruppenordnung. Der Induktionsanfang ist klar. Im allgemeinen betrachten wir für gegebenes \(G\ne 1\) irgendein Element \(g\in G\), das vom neutralen Element verschieden ist. Dann ist \(\langle g\rangle \subseteq G\) ein Normalteiler und eine zyklische Gruppe. Nach Induktionsvoraussetzung existiert eine Normalreihe von \(G/\langle g\rangle \) mit zyklischen Subquotienten, und durch Zusammensetzen wie im Beweis von Lemma 2.63 erhalten wir eine Normalreihe von \(G\) mit zyklischen Subquotienten.
Der folgende Satz liefert uns einige nicht-triviale Beispiele für auflösbare und (vor allem) für nicht auflösbare Gruppen, und er wird am Ende der Vorlesung bei der Anwendung der Galois-Theorie auf die Frage der Auflösbarkeit von Gleichungen durch Radikale noch einmal nützlich sein.
Für alle \(n\ge 2\) gilt \([S_n, S_n] = A_n\).
Für \(n\le 4\) sind \(S_n\) und \(A_n\) auflösbar.
Für \(n {\gt} 4\) sind weder \(S_n\) noch \(A_n\) auflösbar.
zu (1). Weil der Quotient \(S_n/A_n \cong \{ 1, -1\} \) abelsch ist, faktorisiert die Signum-Abbildung über \((S_n)_{{\rm ab}}\), also ist \(A_n\subseteq [S_n, S_n]\). Für \(n=2\) ist auch die Gleichheit klar. Sei nun \(n\ge 3\) und \(\sigma \in A_n\). Die Aussage in (1) folgt dann aus den folgenden beiden Behauptungen:
Behauptung 1. Jedes Element von \(A_n\) ist Produkt von \(3\)-Zykeln.
Begründung. Es genügt zu zeigen, dass das Produkt von zwei verschiedenen Transpositionen stets ein Produkt von \(3\)-Zykeln ist, weil sich jedes Element von \(A_n\) als ein Produkt einer geraden Anzahl von Transpositionen schreiben lässt. Nun können wir für paarweise verschiedene Elemente \(a,b,c\) bzw. \(a,b,c,d\) von \(\{ 1,\dots , n\} \) schreiben:
Behauptung 2. Jeder 3-Zykel ist ein Kommutator von Elementen von \(S_n\).
Begründung. Seien \(a, b, c\in \{ 1, \dots , n\} \) paarweise verschieden. Dann gilt
zu (2). Es ist leicht zu sehen, dass \(S_1\), \(S_2\) und \(S_3\) auflösbar sind. (Prüfen Sie das nach!) Wir betrachten nun die symmetrische Gruppe \(S_4\), eine Gruppe mit \(24\) Elementen. Die Untergruppe \(A_4\) hat also \(12\) Elemente, und nach Teil (1) genügt es zu zeigen, dass \(A_4\) auflösbar ist.
Behauptung. \([A_4, A_4] = \{ \operatorname{id}, (12)(34), (13)(24), (14)(23)\} \cong \left.\mathbb Z\middle /2\right.\times \left.\mathbb Z\middle /2\right.\).
Begründung. Wir schreiben \(V = \{ \operatorname{id}, (12)(34), (13)(24), (14)(23)\} \). Dies ist offenbar eine Untergruppe von \(A_4\), und isomorph zu \(\left.\mathbb Z\middle /2\right.\times \left.\mathbb Z\middle /2\right.\). Man rechnet nun direkt nach, dass \(V\) ein Normalteiler ist. Daraus folgt, dass \([A_4, A_4] \subseteq V\) ist, weil der Quotient \(A_4/V\) als Gruppe mit \(3\) Elementen jedenfalls abelsch ist. Die Inklusion \(V\subseteq [A_4, A_4]\) kann man wiederum direkt nachrechnen, zum Beispiel gilt, weil alle \(3\)-Zykel in der alternierenden Gruppe liegen,
Weil \(V\) abelsch ist, folgt aus der Behauptung sofort die Auflösbarkeit von \(A_4\).
zu (3). Sei nun \(n\ge 5\). Wir haben im Beweis von Teil (1) gesehen, dass jedes Element von \(A_n\) ein Produkt von \(3\)-Zykeln ist. Es genügt also zu zeigen, dass jeder \(3\)-Zykel sich als Kommutator von \(3\)-Zykeln ausdrücken lässt. Seien \(a,b,c\in \{ 1,\dots , n\} \) paarweise verschieden. Weil \(n\ge 5\) ist, können wir Elemente \(d\ne e\) wählen, die von \(a\), \(b\) und \(c\) verschieden sind und haben dann
Mit ähnlichen Methoden (aber etwas mehr Arbeit …) kann man die Verschärfung von Teil (3) dieses Satzes zeigen, dass für \(n\ge 5\) die Gruppe \(A_n\) einfach ist, also überhaupt keine nicht-trivialen Normalteiler besitzt.
Wir geben zum Schluss als Ergänzungen noch einige Ergebnisse über nicht notwendig auflösbare Gruppen an, von denen der folgende Satz von Jordan-Hölder recht einfach, der Satz von Feit und Thompson und vor allem die Klassifikation der endlichen einfachen Gruppen aber extrem schwierig zu beweisen sind.
Ist \(G\) eine endliche Gruppe, so kann man offenbar jede Normalreihe zu einer Kompositionsreihe verfeinern, indem man gegebenenfalls zusätzliche Untergruppen einfügt (vergleiche Lemma 2.16). Weil \(G\) endlich ist, muss dieser Prozess irgendwann abbrechen. Insbesondere besitzt jede endliche Gruppe eine Kompositionsreihe.
Sei \(G\) eine endliche Gruppe. Je zwei Kompositionsreihen einer endlichen Gruppe haben die gleiche Länge und die Subquotienten einer Kompositionsreihe sind bis auf Reihenfolge und Isomorphie eindeutig bestimmt.
Explizit ausgeschrieben bedeutet der Satz also, dass für Kompositionsreihen
von \(G\) gelten muss, dass \(r=s\) ist, und dass es eine Permutation \(\sigma \in S_r\) sowie Isomorphismen \(G_{i-1}/G_{i}\cong G'\! _{\sigma (i)-1}/G'\! _{\sigma (i)}\) für alle \(i=1, \dots , r\) gibt.
Wir führen zum Beweis Induktion nach \(\# G\). Für die triviale Gruppe ist nichts zu zeigen.
Ist \(G_1\! ' \subseteq G_1\), so muss sogar die Gleichheit gelten, denn sonst wäre das Bild von \(G_1\) unter der kanonischen Projektion nach \(G/G_1\! '\) ein nicht-trivialer Normalteiler. Wenn tatsächlich \(G_1 = G_1\! '\) gilt, so folgt die Aussage direkt aus der Induktionsvoraussetzung.
Wir betrachten nun den Fall, dass \(G_1 \not\subseteq G_1\! '\) und \(G_1\! ' \not\subseteq G_1\) gilt. Dann ist das Bild \(H\) von \(G_1\) unter der kanonischen Projektion \(G\to G/G_1\! '\) ein Normalteiler der einfachen Gruppe \(G/G_1\! '\), der nicht die triviale Gruppe ist, wegen der Einfachheit also gleich \(G/G_1\! '\). Mit anderen Worten: Die Abbildung \(G_1 \to G/G_1\! '\) ist surjektiv, und sie induziert nach dem Homomorphiesatz einen Isomorphismus \(G_1/G_1\cap G_1\! ' \cong G/G_1\! '\). Genauso erhalten wir einen Isomorphismus \(G_1\! '/G_1\cap G_1\! ' \cong G/G_1\).
Sei nun
irgendeine Kompositionsreihe von \(H:= G_1\cap G_1\! '\). Das oben Gesagte impliziert, dass die beiden Kompositionsreihen
bis auf Reihenfolge und Isomorphie dieselben Subquotienten haben. Offenbar haben sie auch dieselbe Länge. Andererseits haben auch die beiden Kompositionsreihen
einerseits (Induktionsvoraussetzung angewandt auf \(G_1\)) und
andererseits (Induktionsvoraussetzung angewandt auf \(G_1\! '\)) dieselben Längen und bis auf Reihenfolge und Isomorphie dieselben Subquotienten. Indem wir alles zusammensetzen, erhalten wir die Behauptung.
Wie man am Beweis sieht, lässt sich das Prinzip des Satzes von Jordan-Hölder auf andere Situationen übertragen, in denen ein ähnlicher Formalismus von Unterobjekten, Quotienten und dem Homomorphiesatz zur Verfügung steht.
Wie oben bemerkt, können wir für jede endliche Gruppe eine Kompositionsreihe finden, also eine Normalreihe, die nicht weiter verfeinert werden kann. Nach dem Satz von Jordan-Hölder sind sogar die Länge einer solchen Kompositionsreihe und die einfachen Gruppen, die dort als Subquotienten auftreten, mit den jeweiligen Vielfachheiten bis auf Isomorphismus eindeutig bestimmt. Andererseits liefern diese Ergebnisse keinerlei Aussagen über einfache Gruppen selbst, also über Gruppen, die keine nicht-trivialen Normalteiler besitzen.
Es ist eine naheliegende Frage, ob man diese einfachen Gruppen besser verstehen kann, zum Beispiel ob man sie »auflisten« kann, genauer, ob man eine vollständige Liste der endlichen einfachen Gruppen bis auf Isomorphie angeben kann, also eine Liste, so dass jede endliche Gruppe zu genau einer der Gruppen auf der Liste isomorph ist (vergleiche Beispiel 2.6), wo wir entsprechende Listen für Gruppen der Ordnung \(\le 6\) angegeben haben.
Das ist tatsächlich möglich (wenn auch nicht einfach). Der folgende Satz beantwortet die Frage im wesentlichen; in der dort angegebenen Liste gibt es einige Überschneidungen, d.h. einige der genannten Gruppen sind zueinander isomorph, aber diese sind gut verstanden. Wir werden aber die Gruppen unter (3), (4) und (5) hier nicht definieren.
Sei \(G\) eine endliche einfache Gruppe, d.h. eine endliche Gruppe, die außer \(G\) und \(\{ 1\} \) keine Normalteiler besitzt. Dann ist \(G\) isomorph zu einer der Gruppen der folgenden Liste:
Zyklische Gruppen \(\left.\mathbb Z\middle /p\right.\) für eine Primzahl \(p\),
Alternierende Gruppen \(A_n\) für \(n\ge 5\),
Gruppen »vom Lie-Typ«,
die Tits-Gruppe,
eine der 26 sporadischen endlichen einfachen Gruppen.
Von den Gruppen dieser Liste haben wir die zyklischen Gruppen von Primzahlordnung (dies sind genau die abelschen Gruppen auf der Liste) und die alternierenden Gruppen bereits kennengelernt.
Die (einfachen) endlichen Gruppen vom Lie-Typ (benannt nach Sophus Lie) hängen eng mit Matrix-Gruppen zusammen. Zum Beispiel liefert die folgende Konstruktion eine unendliche Familie endlicher einfacher Gruppen. Wir betrachten einen endlichen Körper \(K\) und \(n\in \mathbb N\), \(n {\gt} 1\). Die Gruppe \(SL_n(K)\) ist im Allgemeinen nicht einfach, denn ihr Zentrum
ist im Allgemeinen nicht-trivial. Der Quotient \(PSL_n(K):=SL_n(K)/Z_{SL_n(K)}\) ist eine einfache Gruppe, es sei denn es ist \(n=2\) und \(\# K \le 3\). Die Gruppen \(PSL_n(K)\) sind Gruppen vom Lie-Typ, und die anderen solchen Gruppen entstehen, grob gesprochen, durch ähnliche Matrix-Konstruktionen.
Die ersten drei Punkte auf der Liste umfassen jeweils unendlich viele Gruppen (jeweils mit »ähnlicher Struktur« bzw. ähnlichen Konstruktionsmethoden). Der vierte Punkt umfasst nur eine einzige Gruppe, die nach Jacques Tits benannte Tits-Gruppe, die eng mit den endlichen Gruppen vom Lie-Typ verwandt ist (und daher manchmal auch zu diesen hinzugerechnet wird; von anderen Autoren wird sie zu den sporadischen Gruppen hinzugefügt, so dass diese von 27 sporadischen Gruppen sprechen).
Als die sporadischen Gruppen werden die endlich vielen verbleibenden Gruppen genannt, die nicht in natürlicher Weise in eine der unendlichen Familien aus den Punkten (1) bis (3) eingeordnet werden können und für die jeweils ad hoc eine Konstruktion angegeben werden muss. Die kleinste der sporadischen Gruppen ist die sogenannte Mathieu-Gruppe \(M_{11}\) mit 7920 Elementen, die größte ist die Monster-Gruppe mit
Elementen. Das Problem dabei, mit dieser Gruppe zu arbeiten und sie zu verstehen ist dabei nicht einmal so sehr die Größe der Gruppe. Die Gruppe \(A_{50}\) hat beispielsweise noch mehr Elemente, aber wenn zwei Elemente (als Permutationen von \(\{ 1,\dots , 50\} \) mit Signum \(1\)) gegeben sind, könnte man diese notfalls sogar per Hand multiplizieren. Für die Elemente der Monstergruppe gibt es aber, wie man weiß, keine derart einfache »Realisierung« durch Permutationen (oder durch Matrizen). Der Satz von Cayley besagt zwar, dass man auch diese Gruppe mit einer Untergruppe einer symmetrischen Gruppe \(S_n\) identifizieren kann. Aber hier muss \(n\) mindestens \(97,239,461,142,009,186,000\) sein! Möchte man die Monstergruppe als Untergruppe einer Gruppe der Form \(GL_n(K)\), \(K\) ein Körper, realisieren (also einen Isomorphismus mit so einer Untergruppe finden), muss \(n \ge 196,882\) gelten.
Übersichtsartikel zur Klassifikation der endlichen einfachen Gruppen:
M. Aschbacher, The Status of the Classification of the Finite Simple Groups, Notices of the A. M. S. 51, no. 7 (2004), 736–740,
https://www.ams.org//notices/200407/fea-aschbacher.pdf
R. Solomon, A brief history of the classification of the finite simple groups, Bull. A. M. S. 38, no. 3 (2001), 315–352,
https://www.ams.org/journals/bull/2001-38-03/S0273-0979-01-00909-0/
Ein spektakulärer Zusammenhang zwischen Monstergruppe und sogenannten Modulformen, die in der Zahlentheorie auftreten, wurde Ende der 1980er Jahre von Conway und Norton vermutet (monstrous moonshine conjecture) und 1992 von Borcherd bewiesen, der unter anderem dafür mit der Fields-Medaille ausgezeichnet wurde.
R. Borcherds, What is … the Monster?
http://www.ams.org/notices/200209/what-is.pdf
M. Ronan, Symmetry and the Monster, Oxford University Press 2006.
Der Beweis des Klassifikationstheorems ist sehr lang – von der Wikipedia-Seite: »The proof of the theorem consists of tens of thousands of pages in several hundred journal articles written by about 100 authors, …«
Eine konkrete Aussage, die man mithilfe der Klassifikation der einfachen endlichen Gruppen beweisen konnte, für die aber kein direkter Beweis bekannt ist, ist Teil (2) des folgenden Satzes. Teil (1) wurde schon 1903 von Frobenius bewiesen, und Teil (2) wurde von ihm als Vermutung formuliert.
Sei \(G\) eine endliche Gruppe und sei \(n\) ein Teiler von \(\# G\).
Die Anzahl der Elemente \(x\in G\) mit \(x^n = 1\) ist ein Vielfaches von \(n\).
Wenn es genau \(n\) Elemente \(x\in G\) mit \(x^n = 1\) gibt, dann bilden diese Elemente einen Normalteiler von \(G\).
Der Satz von Feit und Thompson ist der folgende einfach zu formulierende und zunächst überraschende Satz.
Sei \(G\) eine endliche Gruppe, für die \(\# G\) ungerade ist. Dann ist \(G\) auflösbar.
Der Beweis von Feit und Thompson wurde 1963 veröffentlich und umfasst 250 Seiten. Nach wie vor sind keine wesentlich kürzeren Beweise bekannt. Der Beweis konnte 2012 (nach mehrjähriger Arbeit daran) soweit formalisiert werden, dass er von dem System Coq verifiziert werden konnte.
Man kann den Satz in äquivalenter Weise so formulieren: Sei \(G\) eine endliche einfache Gruppe, die nicht abelsch ist. Dann ist \(\# G\) eine gerade Zahl. Insofern ist (mehr oder weniger…) klar, dass man den Satz von Feit und Thompson auch als Korollar zur Klassifikation der endlichen einfachen Gruppen erhalten könnten – aber das wäre sozusagen mit Kanonen auf Spatzen geschossen.