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11.1 Affine Räume

Sei \(K\) ein Körper. Wir haben gesehen, dass die Lösungsmenge eines homogenen linearen Gleichungssystems \(Ax = 0\) für \(A\in M_{m\times n}(K)\) ein Untervektorraum von \(K^n\) ist. Für inhomogene lineare Gleichungssysteme erhalten wir, sofern die Lösungsmenge nicht leer ist, eine Lösungsmenge der Form \(t + U\), wobei \(t\) irgendeine feste Lösung und \(U\) die Lösungsmenge des zugehörigen linearen Gleichungssystems ist. Wenn das Gleichungssystem nicht homogen ist, dann enthält \(t+ U\) nicht den Nullvektor, kann also kein Untervektorraum sein. Der Begriff des affinen Raums (bzw. des affinen Teilraums) erlaubt es uns, die Beschreibung von »verschobenen« Untervektorräumen, wie sie hier auftreten, zu formalisieren.

Als Kurzversion kann man definieren:

Definition. Sei \(V\) ein Vektorraum. Ein affiner Teilraum (oder affiner Unterraum) von \(V\) ist eine Teilmenge von \(V\), die entweder die leere Menge ist, oder die Form \(v+ U\) für \(v\in V\) und einen Untervektorraum \(U\subseteq V\) hat.

Dann können wir sagen, dass die Lösungsmenge eines linearen Gleichungssystems in \(n\) Unbestimmten ein affiner Unterraum von \(K^n\) ist. Ist \(Z\subseteq V\) ein nicht-leerer affiner Unterraum, so ist der zugehörige Untervektorraum (das \(U\) aus der Definition) durch \(Z\) eindeutig bestimmt. Es ist nämlich, für irgendeinen fixierten Punkt \(v\in Z\),

\[ U = \{ v-w;\ w\in Z \} . \]

Man kann dann \(Z\) auch eine Dimension (nämlich \(\dim Z:= \dim U\)) zuordnen. Man kann leicht sehen, dass der Durchschnitt von affinen Unterräumen wieder ein affiner Unterraum ist. So kann man auch vom affinen Unterraum sprechen, der von einer Teilmenge erzeugt wird.

Wir holen noch ein kleines bisschen weiter aus und definieren allgemeiner den Begriff des affinen Raums:

Definition 11.1

Ein affiner Raum unter einem \(K\)-Vektorraum \(V\) ist eine Menge \(A\) zusammen mit einer Abbildung \(t\colon V\to \operatorname{Abb}(A,A)\), \(v\mapsto t_v\), so dass gilt:

  1. Für alle \(v\in V\) ist die Abbildung \(t_v\) bijektiv, und es gilt \(t_{v+w} = t_v\circ t_w\).

  2. Für alle \(a,a^\prime \in A\) existiert ein eindeutig bestimmtes \(v\in V\) mit \(t_v(a) = a^\prime \).

Eigenschaft (a) können wir auch dadurch ausdrücken, dass wir sagen, die Abbildung \(t\) sei ein Gruppenhomomorphismus \(V\to \operatorname{Bij}(A)\). Es folgt daraus, dass \(t_0=\operatorname{id}_A\) ist. Der »ausgeartete« Fall \(A=\emptyset \) ist auch erlaubt.

Wir schreiben statt \(t_v(a)\) manchmal auch \(a+v\). Sind \(a,a^\prime \in A\), dann bezeichnen wir das eindeutig bestimmte Element \(v\in V\) in Teil (b) der Definition auch als \(a^\prime - a\).

Beispiel 11.2

Ist \(V\) ein Vektorraum, so können wir \(A:=V\) als affinen Raum unter \(V\) auffassen, indem wir \(t_v(w):= v+w\) definieren. Die Abbildung \(t_v\colon V\to V\), \(w\mapsto v+w\) heißt die Verschiebung oder Translation um den Vektor \(v\).

Wenn wir in diesem Sinne die Rollen von \(V\) und \(A\) trennen, dann sind die Elemente von \(A\) die »Punkte«, und die Elemente von \(V\) operieren durch Translation auf \(A\). Die Anwendung von \(v\) verschiebt alle Punkte um den Vektor \(v\); in diesem Modell ist es sinnvoll, sich Vektoren als Pfeile vorzustellen.

Wir können dann allgemein den Begriff des affinen Teilraums definieren. Im Fall \(A=V\) des Beispiels erhalten wir die provisorische Definition vom Anfang dieses Abschnitts zurück.

Definition 11.3

Sei \(A\) ein affiner Raum über dem Vektorraum \(V\). Eine Teilmenge \(B\subseteq A\) ist ein affiner Teilraum (oder: affiner Unterraum), wenn \(B=\emptyset \) ist, oder ein \(b\in B\) existiert, so dass \(\{ b^\prime - b;\ b^\prime \in B\} \) ein Untervektorraum von \(V\) ist.

Ist \(B\subseteq A\) ein Teilraum, dann ist für jedes \(b\in B\) die Menge \(\{ b^\prime - b;\ b^\prime \in B\} \) ein Untervektorraum von \(V\). Andererseits ist für jeden Untervektorraum \(U\subseteq V\) und \(a\in A\) die Teilmenge \(a+ U = \{ t_u(a);\ u\in U\} \) ein affiner Teilraum von \(A\).

Die natürlichen Abbildungen zwischen affinen Räumen sind die affin-linearen Abbildungen:

Definition 11.4

Seien \(A\) und \(B\) affine Räume über dem Körper \(K\), mit zugrundeliegenden Vektorräumen \(V\) und \(W\). Eine affin-lineare Abbildung zwischen \(A\) und \(B\) ist eine Abbildung \(f\colon A\to B\), so dass für \(a\in A\) die Abbildung

\[ g\colon V\to W,\quad v\mapsto f(t_v(a)) - f(a), \]

eine lineare Abbildung ist und so dass diese Abbildung unabhängig von \(a\) ist, d.h. für alle \(a,a^\prime \in A\), \(v\in V\) gilt \(f(t_v(a)) - f(a) = f(t_v(a^\prime )) - f(a^\prime )\).

Es gilt dann also \(f(a^\prime ) = f(a) + g(a^\prime -a)\) für alle \(a,a^\prime \in A\).

Beispiel 11.5

Sind \(V\) und \(W\) Vektorräume über \(K\) und betrachten wir \(V\) und \(W\) jeweils als affinen Raum über sich selbst, dann ist eine affin-lineare Abbildung \(f\colon V\to W\) eine Abbildung von der Form \(v\mapsto g(v)+w\) für eine lineare Abbildung \(g\colon V\to W\) und ein Element \(w\in W\).

Eine Gerade in einem affinen Raum ist ein eindimensionaler affiner Teilraum. Es ist leicht zu überprüfen, dass das Bild einer Geraden unter einer affin-linearen Abbildung eine Gerade oder ein einziger Punkt ist. Umgekehrt gilt das folgende Theorem, das aber nicht ganz einfach zu beweisen ist:

Theorem 11.6 Fundamentalsatz der affinen Geometrie

Seien \(A\) und \(B\) affine Räume derselben Dimension über \(K=\mathbb R\) und sei \(f\colon A\to B\) eine bijektive Abbildung, die jede Gerade in \(A\) auf eine Gerade in \(B\) abbildet. Dann ist \(f\) eine affin-lineare Abbildung.

Siehe  [ Fi-AG ]  1.3.4. Über anderen Körpern als den reellen Zahlen ist die Lage etwas komplizierter. Das wird auch in der angegebenen Quelle diskutiert. Der Punkt ist, dass die reellen Zahlen nur einen einzigen »Körperautomorphismus« haben (nämlich die Identität).

Wir erhalten auch das folgende Korollar. Mit Geraden sind in Teil (b) alle Geraden (nicht nur Ursprungsgeraden) gemeint, also alle affinen Teilräume der Form \(v+U\) für eindimensionale Untervektorräume \(U\).

Korollar 11.7

Sei \(f\colon V\to W\) eine bijektive Abbildung zwischen \(\mathbb R\)-Vektorräumen derselben Dimension, die die folgenden Eigenschaften hat:

  1. \(f(0)=0\) und

  2. \(f\) bildet jede Gerade in \(V\) auf eine Gerade in \(W\) ab.

Dann ist \(f\) eine lineare Abbildung.

Bekannte Sätze, die man in diesem Kontext zeigen kann sind der Satz von Pappos und der Satz von Desargues.