6.7 Ergänzungen *
Sei \(V=\mathbb R\), betrachtet als \(\mathbb Q\)-Vektorraum. Dieser Vektorraum ist nicht endlich erzeugt. Am einfachsten ist es, das mit einem Mächtigkeitsargument zu sehen, vergleiche Abschnitt 3.15.
Es ist nämlich \(\mathbb Q\) eine abzählbar unendliche Menge, und es ist nicht sehr schwer zu sehen, dass dann auch alle Mengen der Form \(\mathbb Q^n\) abzählbar sind. Deshalb kann keine dieser Mengen in Bijektion zu der überabzählbaren Menge \(\mathbb R\) stehen.
Genauer zeigt ein ähnliches Argument sogar, dass für jede Basis \((b_i)_{i\in I}\) von \(\mathbb R\) als \(\mathbb Q\)-Vektorraum die Indexmenge \(I\) selbst überabzählbar sein muss, weil ein \(\mathbb Q\)-Vektorraum mit abzählbarer Basis ebenfalls eine abzählbare Menge ist.
Wir können nun den folgenden Satz beweisen, den wir als Satz 5.35 als ein Beispiel für eine Aussage über Matrizen formuliert hatten, deren Beweis eine Weiterentwicklung der Theorie erfordert. In der Linearen Algebra 2 werden wir sehen, wie sich der Satz in die allgemeine Theorie der Eigenwerte einer Matrix einfügt.
Seien \(K\) ein Körper, \(n\ge 1\), \(A\in M_{n\times n}(K)\). Wenn eine natürliche Zahl \(N\) existiert mit \(A^N = 0\), dann gilt \(A^n = 0\).
Um zu zeigen, dass \(A^n=0\), zeigen wir \(\operatorname{Ker}(A^n) = K^n\). Das impliziert \(A^n=0\), sonst würde für mindestens ein \(i\) gelten, dass \(A^ne_i\ne 0\). Wir betrachten \(U_i := \operatorname{Ker}(A^i)\). Dann ist \(U_i\subset K^n\) ein Untervektorraum, und nach Voraussetzung gilt \(U_N=K^n\). Wenn \(A^i v = 0\), dann gilt erst recht \(A^{i+1}v = AA^iv = 0\), die \(U_i\) sind also jeweils ineinander enthalten:
Behauptung. Gilt \(U_i = U_{i+1}\), so gilt \(U_i = U_j\) für alle \(j\ge i\).
Begründung. Es genügt zu zeigen, dass aus \(U_i = U_{i+1}\) auch \(U_{i+1} = U_{i+2}\) folgt. Danach kann man induktiv fortfahren. Wir wissen bereits, dass \(U_{i+1} \subseteq U_{i+2}\). Sei nun \(v\in U_{i+2}\), also \(A^{i+2}v = 0\). Das bedeutet \(Av\in U_{i+1} = U_i\), also \(A^i(Av)=0\). Wir sehen, dass \(v\in U_{i+1}\), wie behauptet.
Um den Beweis abzuschließen, zeigen wir, dass aus der Behauptung die Gleichheit \(U_n=K^n\) folgt. Weil \(U_N=K^n\) gilt, zeigt die Behauptung, dass \(U_i = U_{i+1}\) nur gelten kann, wenn \(U_i=K^n\) gilt. Im Fall einer echten Inklusion \(U_i \subsetneq U_{i+1}\) gilt \(\dim (U_i) {\lt} \dim (U_{i+1})\) (Satz 6.44). Solange wir in der Kette der \(U_i\) nicht bei \(K^n\) »angekommen« sind, muss also in jedem Schritt die Dimension um mindestens Eins ansteigen. Deshalb gilt \(\dim U_i \ge i\) für alle \(i = 0, \dots n\). Aus \(\dim U_n \ge n = \dim K^n\) folgt \(U_n=K^n\), wobei wir wieder Satz 6.44 anwenden.
Sei \(K\) ein endlicher Körper. Wir haben in Abschnitt 4.2.2 gesehen, dass die Charakteristik von \(K\) eine Primzahl \(p\) ist. Es gilt dann \(p_K = 1+ \cdots +1 = 0\) in \(K\) (mit \(p\) Summanden in der Summe), und für alle \(1\le n {\lt} p\) ist \(n_K \ne 0\).
Der Körper \(K\) wird durch die Körperaddition auf \(K\) und die Skalarmultiplikation
zu einem \(\mathbb F_p\)-Vektorraum.
Das ist eine leichte Rechnung. Genauer kann man sagen, dass die Abbildung \(\mathbb F_p\to K\), \(n_{\mathbb F_p} \mapsto n_K\), den Körper \(K\) zu einem Erweiterungskörper von \(\mathbb F_p\) macht (und wir hatten in Beispiel 6.2 angemerkt, dass dann der Erweiterungskörper auch ein Vektorraum über dem kleineren Körper ist).
Es gibt \(r\in \mathbb N_{\ge 1}\) mit \(\# K = p^r\).
Da \(K\) nach Voraussetzung endlich ist, ist \(K\) als \(\mathbb F_p\)-Vektorraum endlich erzeugt. Daher besitzt \(K\) eine Basis \(b_1, \dots , b_r\), \(r\in \mathbb N\). Weil \(K\) als Körper mehr als ein Element haben muss, kann nicht \(r=0\) gelten.
Wir können jedes Element von \(K\) in eindeutiger Weise als \(\sum _{i=1}^r a_i b_i\) mit \(a_i\in \mathbb F_p\) schreiben. Die Abbildung
ist also eine Bijektion, und wir sehen \(\# K = \# \mathbb F_p^r = p^r\).
In dieser Ergänzung beweisen wir die folgende Formel für die \(n\)-te Fibonacci-Zahl (vgl. Frage 2.1, Beispiel 5.60). Siehe auch Beispiel 10.19 für einen ganz anderen Beweis für diese Formel. Der Beweis, den wir hier geben, lässt sich auch auf andere, in ähnlicher Weise rekursiv definierte Folgen anpassen.
Sei \((F_n)_n\) die Folge der Fibonacci-Zahlen. Dann gilt
Auch wenn die Formel nicht nützlich ist, um \(F_n\) auszurechnen, handelt es sich dennoch um ein interessantes Ergebnis. Es ist ja nicht einmal völlig offensichtlich, dass es sich bei der rechten Seite der Formel überhaupt um eine ganze Zahl handelt.
Wir betrachten den \(\mathbb R\)-Vektorraum \(\mathbb R^\mathbb N= \prod _{n\in \mathbb N} \mathbb R\). Als Menge ist dies die Menge aller Folgen \((a_n)_{n\in \mathbb N}\) von reellen Zahlen \(a_n\), und wir versehen diese Menge mit der komponentenweisen Addition und Skalarmultiplikation:
Es ist klar, dass wir so einen Vektorraum erhalten. (In der Sprechweise von Abschnitt 6.6 handelt es sich einfach um das Produkt des Vektorraums \(\mathbb R\) mit sich selbst mit Indexmenge \(\mathbb N\).)
Sei \(W\) der Untervektorraum von \(V\), der aus denjenigen Folgen \((a_n)_n\) besteht, für die \(a_{n+2} = a_{n+1} + a_n\) für alle \(n\in \mathbb N\) gilt. Die Fibonacci-Folge ist ein Element von \(W\). Ein anderes Element ist die Folge
Weil ein Element aus \(W\) durch seine ersten beiden Einträge vollständig bestimmt ist, bilden \((F_n)_n\) und \((G_n)_n\) ein Erzeugendensystem von \(W\). Da sie nicht Vielfache von einander sind, handelt es sich sogar um eine Basis, und wir sehen, dass \(\dim W= 2\).
Um den gesuchten Ausdruck für \(F_n\) zu finden, betrachten wir noch eine andere Basis von \(W\), und zwar eine von einer besonders einfachen Form. Der Raum \(W\) enthält genau zwei Elemente der Form
mit \(\varphi \in \mathbb R^\times \). Denn die Folge aller Potenzen der reellen Zahl \(\varphi \ne 0\) ist genau dann in \(W\), wenn für alle \(n\)
gilt, äquivalent:
Die beiden Lösungen dieser quadratischen Gleichung in \(\mathbb R\) sind
Wir schreiben
Dann bilden auch \(w_1\) und \(w_2\) eine Basis von \(W\), weil diese beiden Elemente offenbar linear unabhängig sind.
Es gilt dann \((F_n)_n = \frac{1}{\sqrt{5}}w_1 - \frac{1}{\sqrt{5}}w_2\), denn es genügt, das für die ersten beiden Einträge zu überprüfen. Es folgt daraus, dass
für alle \(n\in \mathbb N\) – genau die Formel, die wir zeigen wollten.
Für den Grenzwert des Verhältnisses \(F_{n+1}/F_n\) im Sinne der Analysis erhalten wir damit das folgende Ergebnis:
Es gilt
Wir benutzen die Notation \(\varphi _1\), \(\varphi _2\) wie im Beweis des Satzes und die grundlegenden Rechenregeln für Grenzwerte. Dann gilt \(\left| \varphi _2 / \varphi _1 \right|= (\sqrt{5}-1)^2/4 {\lt} 1\), also
und daher
Wir können nun Frage 2.2 beantworten:
Gegeben seien eine natürliche Zahl \(n\ge 1\) und \(n\) verschiedene Primzahlen \(p_1\), …, \(p_n\). Wenn \(a_1\), …, \(a_{n+1}\) natürliche Zahlen \({\gt}1\) sind, in deren Primfaktorzerlegungen nur die Primzahlen \(p_1\), …, \(p_n\) vorkommen, dann gibt es eine Möglichkeit, einige der Zahlen \(a_i\) so auszuwählen, dass ihr Produkt eine Quadratzahl ist.
Wir betrachten zu jedem \(a_i\) die eindeutige Primfaktorzerlegung, in der nach Voraussetzung nur die Primzahlen \(p_1\), …, \(p_n\) vorkommen, etwa
Die Primfaktorzerlegung eines Produkts von Zahlen \(a_i\) erhalten wir dann, indem wir die Exponenten addieren. Wir möchten ein Produkt von \(a_i\)’s finden, in dem alle Exponenten in der Primfaktorzerlegung gerade sind, denn das bedeutet gerade, dass es sich um eine Quadratzahl handelt.
Wir können das auch folgendermaßen ausdrücken: Setze
(es ist also \(v_{ij}\) die Restklasse von \(a_{ij}\) in \(\mathbb F_2\)) und sei \(v_i = (v_{i1},\dots , v_{in})^t \in \mathbb F_2^n\).
Aus den \(n+1\) Zahlen \(a_1\), …, \(a_{n+1}\) erhalten wir so \(n+1\) Vektoren \(v_1\), …, \(v_{n+1}\) in dem \(n\)-dimensionalen \(\mathbb F_2\)-Vektorraum \(\mathbb F_2^n\). Diese Vektoren müssen also linear abhängig sein. Da die einzigen Elemente von \(\mathbb F_2\) die \(0\) und \(1\) sind, hat eine nicht-triviale Linearkombination die Form
für eine nicht-leere Teilmenge \(\{ i_1, \dots , i_r\} \subseteq \{ 1, \dots , n+1\} \).
Das bedeutet aber gerade, dass die Summen der entsprechenden Zahlen \(a_{i_\nu j}\) gerade sind, also dass das Produkt \(a_{i_1}\cdot \cdots \cdot a_{i_r}\) eine Quadratzahl ist.
Wir hatten in Ergänzung 4.9 den Begriff des Schiefkörpers und der Divisionsalgebra definiert. Für den Begriff der Divisionsalgebra lässt sich äquivalent die folgende Definition geben: Eine Divisionsalgebra über einem Körper \(K\) ist ein Schiefkörper \(D\), der zugleich ein \(K\)-Vektorraum ist, und so dass die Schiefkörperaddition und die Vektorraumaddition übereinstimmen und die Multiplikation des Schiefkörpers \(D\) und die Skalarmultiplikation \(K\times D\to D\) im folgenden Sinne kompatibel sind: \(a(xy) = (ax)y = x(ay)\) für alle \(a\in K\), \(x,y\in D\).
Dann ist die Abbildung \(K\to D\), \(a\mapsto a\cdot 1_D\), eine injektive Abbildung (warum?), so dass wir \(K\) mit einer Teilmenge von \(D\) identifizieren können. Es ist dann nicht schwierig, die Äquivalenz der beiden Definitionen zu überprüfen.
Wir können nun mithilfe des Dimensionsbegriffs die folgenden Sätze formulieren. Dabei nennen wir eine Divisionsalgebra endlich-dimensional, wenn sie als Vektorraum betrachtet endliche Dimension hat.
Es gibt keine endlich-dimensionale Divisionsalgebra über dem Körper \(\mathbb R\), die als Vektorraum ungerade Dimension \({\gt}1\) hat.
Wir werden diesen Satz in Ergänzung 10.20 beweisen. Genauer kann man zeigen, dass die einzigen möglichen Dimensionen für eine Divisionsalgebra über \(\mathbb R\) die Zahlen \(1\), \(2\) und \(4\) sind. (Dass es für diese Dimensionen tatsächlich eine Divisionsalgebra gibt, ist mit dem, was wir wissen, klar: \(\mathbb R\), die komplexen Zahlen \(\mathbb C\) und die Hamiltonschen Quaternionen \(\mathbb H\).)
Es gibt keine endlich-dimensionale Divisionsalgebra über den komplexen Zahlen \(\mathbb C\) von Vektorraum-Dimension \({\gt}1\).
Auch diesen Satz werden wir in Ergänzung 10.20 beweisen. (Allerdings müssen wir benutzen, dass jede nicht-konstante Polynomfunktion über den komplexen Zahlen eine Nullstelle besitzt. Dieses Ergebnis nennt man den Fundamentalsatz der Algebra.)