1.3 Wie denkt man über ein mathematisches Problem nach? *
… oder umformuliert: Wie löst man ein mathematisches Problem? (In Ihrem Fall heißt das erstmal: Wie löse ich eine Übungsaufgabe? Und in einigen Monaten dann: Wie löse ich eine Klausuraufgabe?)
Dies ist offenbar eine entscheidende Frage, um erfolgreich das Mathematik-Studium zu absolvieren (und auch, um darüberhinaus Mathematik zu erforschen).
Leider kennt niemand eine einfache Antwort darauf. Allerdings sind sich alle einig, dass man diese Fertigkeit trainieren und weiterentwickeln kann. Deshalb werden wir das Problemlösen ausführlich üben.
Einige allgemeingültige Hinweise kann man aber trotzdem geben, hier gemünzt auf die Bearbeitung einer Übungsaufgabe:
Stellen Sie sicher, dass Sie die Aufgabenstellung verstehen. Vergegenwärtigen Sie sich die Definitionen aller Fachbegriffe, die in dieser Aufgabe vorkommen, oder schlagen Sie sie gegebenenfalls nach. Machen Sie sich klar, was zu tun ist: eine Rechnung, der Beweis einer Gleichheit oder einer Folgerung, das Finden eines Beispiels, …
Erinnern Sie sich an Ergebnisse, die zu den in der Aufgabe vorkommenden Begriffen in der Vorlesung behandelt wurden. Gibt es eine äquivalente Charakterisierung? Gab es Beispiele?
Überlegen Sie sich, ob die Aussage, die Sie zeigen sollen, für Sie plausibel ist. Können Sie Beispiele angeben, in denen sie richtig ist? Oder versuchen Sie, ein Gegenbeispiel zu finden. (Wenn Sie zeigen können, dass das nicht geht, sind Sie auch fertig …)
Welche Standardverfahren könnte man anwenden, um die Aufgabe zu lösen? Das kann ein Rechenverfahren (Gauß-Algorithmus) oder ein Beweisverfahren (Beweis durch vollständige Induktion, Widerspruchsbeweis, …) sein, das Sie schon kennengelernt haben.
Natürlich wird es viele Aufgaben geben, wo Sie diese Schritte nicht alle durchgehen müssen, weil Sie direkt sehen, was zu tun ist. Und manchmal wird es auch eine Aufgabe geben, die Sie auch mit dieser »Anleitung« noch nicht lösen können.
In diesem Fall: Stellen Sie Fragen! Sie sollten versuchen, viele Fragen zu stellen. Nicht nur zu den Übungsaufgaben, die Sie im Moment nicht lösen können, sondern auch zu Schritten im Skript oder den Videos, die Sie nicht verstanden haben, und ganz allgemein zu den Begriffen, die Sie in der Vorlesung kennenlernen.
Wieso, weshalb, warum?
Manchmal ist es nicht so einfach, gute Fragen zu stellen. Arbeiten Sie daran, Ihre Fragen zu konkretisieren (vielleicht, indem Sie sie aufschreiben) und stellen Sie sie – sich selbst, anderen Studierenden, Ihrer Übungsleiter∗in , in der Fragestunde.
Nehmen Sie sich Zeit, gute Fragen zu finden. Je mehr Sie sich in Übungs und Fragestunde aktiv beteiligen statt nur zuzuhören, desto mehr werden Sie profitieren. Es lohnt sich, Zeit zur Vorbereitung zu investieren.
Sie werden sehen, dass es einem selbst hilft, etwas zu erklären, das man schon verstanden hat (oder glaubt, verstanden zu haben). Deshalb können Sie grundsätzlich davon ausgehen, dass jede∗r gerne bereit sein wird, sich Ihre Fragen anzuhören und Ihnen zu helfen.
Gute Fragen zu finden ist nicht leicht! Sie zu stellen, kostet vielleicht Überwindung; in der Corona-Zeit kann man nicht direkt in der Vorlesung, und nicht so leicht in der Vorlesungspause/auf dem Flur/im LuDi anderen Studierenden eine Frage stellen. Machen Sie sich bewusst, dass es trotzdem den Aufwand wert ist, Ihre Fragen zu stellen und anderen mit deren Fragen zu helfen.
Versuchen Sie, Ihre Arbeitszeit sinnvoll zu nutzen: Reservieren Sie sich genügend Qualitätszeit, in der Sie ausgeruht und ungestört sind, für das Studium. Dass man die richtige Idee hat, muss man vorbereiten – es bringt nichts, stundenlang auf ein leeres Blatt zu starren, wenn man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Versuchen Sie dann, die oben genannten Schritte durchzuführen (Definitionen und verwandte Sätze nachschauen, Beispiele finden, Fragen formulieren). Wenn nichts hilft, dann gehen Sie zur nächsten Aufgabe.
Es gibt viele Bücher zu dem Thema »Wie löse ich ein mathematisches Problem« (oder eine Aufgabe), siehe Anhang D.3 für eine kleine Auswahl.