Inhalt

5.3 Rein inseparable Körpererweiterungen *

Wir hatten definiert:

Definition 5.28

Eine algebraische Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) heißt rein inseparabel, wenn jedes Element \(\alpha \in L\setminus K\) über \(K\) inseparabel ist.

Wir hatten auch schon gesehen (vergleiche Satz 5.9), dass es nicht-triviale rein inseparable Erweiterungen eines Körpers \(K\) nur geben kann, wenn \(K\) positive Charakteristik hat.

Satz 5.29

Sei \(K\) ein Körper von positiver Charakteristik \(p\) und sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine rein inseparable Körpererweiterung. Dann gibt es für jedes \(\alpha \in L\) eine Zahl \(r\in \mathbb N\) mit \(\alpha ^{p^r}\in K\). Ist \(r\) mit dieser Eigenschaft minimal gewählt, so gilt \([K(\alpha ):K] = p^r\) und \(\operatorname{minpol}_{\alpha , K} = X^{p^r}-\alpha ^{p^r}\).

Beweis

Sei \(\alpha \in L\), \(f=\operatorname{minpol}_{\alpha , K}\) und \(g\) das im Sinne von Satz 5.10 zu \(f\) gehörige Polynom, etwa \(f = g(X^{p^r})\). Dann ist \(\alpha ^{p^r}\in L\) eine Nullstelle des separablen Polynoms \(g\in K[X]\), ist also separabel über \(K\) und liegt demnach angesichts unserer Voraussetzung in \(K\). Es folgt \(\alpha ^{p^r}\in K\) und auch \(\deg (g) = 1\), also ist \([K(\alpha ):K] = \deg (f) = p^r\) und \(f = X^{p^r}-\alpha ^{p^r}\). Weil kein normiertes Polynom in \(K[X]\) vom Grad \({\lt} p^r\) existiert, das \(\alpha \) als Nullstelle hat, ist klar, dass \(r\) minimal ist mit der Eigenschaft \(\alpha ^{p^r}\in K\).

Satz 5.30

Sei \(K\) ein Körper von positiver Charakteristik \(p\). Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine algebraische Körpererweiterung. Dann sind äquivalent:

  1. Die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) ist rein inseparabel.

  2. Für jedes \(\alpha \in L\) existiert \(r\ge 0\) mit \(\alpha ^{p^r}\in K\).

  3. Es gilt \([L:K]_s = 1\).

Beweis

Die Implikation (i) \(\Rightarrow \) (ii) haben wir bereits gezeigt. Nun gelte (ii) und sei \(\sigma \colon L\to \overline{K}\) ein \(K\)-Homomorphismus von \(L\) in einen algebraischen Abschluss von \(K\). Sei \(\alpha \in L\) und \(r\) so gewählt, dass \(\alpha ^{p^r}\in K\) gilt. Dann teilt \(\operatorname{minpol}_{\alpha , K}\) das Polynom \(X^{p^r}-\alpha ^{p^r} = (X-\alpha )^{p^r}\), das nur eine einzige Nullstelle hat. Unter \(\sigma \) muss daher \(\alpha \) auf die eindeutig bestimmte Nullstelle dieses Polynoms in \(\overline{K}\) abgebildet werden, oder mit anderen Worten: auf die eindeutig bestimmte \(p^r\)-te Wurzel von \(\alpha ^{p^r}\) in \(\overline{K}\). Da für jedes \(\alpha \in L\) das Bild unter \(\sigma \) eindeutig bestimmt ist, gibt es nur genau einen \(K\)-Homomorphismus von \(L\) nach \(\overline{K}\). Das bedeutet genau, dass \([L:K]_s=1\) ist.

Gilt schließlich (iii) und ist \(\alpha \in L\) separabel über \(K\), dann folgt aus der Multiplikativität des Separabilitätsgrads, dass \([K(\alpha ):K]_s = 1\) ist. Weil \(\alpha \) separabel über \(K\) ist, gilt andererseits \([K(\alpha ):K]_s = [K(\alpha ):K]\). Es folgt \(\alpha \in K\).

Korollar 5.31

Seien \(\left.M\middle /L\right.\) und \(\left.L\middle /K\right.\) algebraische Körpererweiterungen. Dann ist äquivalent:

  1. Die Erweiterungen \(\left.M\middle /L\right.\) und \(\left.L\middle /K\right.\) sind rein inseparabel.

  2. Die Erweiterung \(\left.M\middle /K\right.\) ist rein inseparabel.

Beweis

Das folgt aus dem vorherigen Satz und der Multiplikativität des Separabilitätsgrads (Lemma 5.19).

Korollar 5.32

Sei \(K\) ein Körper der Charakteristik \(p {\gt} 0\) und sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine endliche rein inseparable Körpererweiterung. Dann ist \([L:K]\) eine Potenz von \(p\).

Beweis

Wir führen Induktion nach dem Grad \([L:K]\). Im Fall \([L:K]=1\) ist nichts zu zeigen. Andernfalls sei \(\alpha \in L\setminus K\). In Satz 5.29 haben wir bereits gesehen, dass \([K(\alpha ):K]\) eine Potenz von \(p\) ist. Nach Korollar 5.32 ist die Erweiterung \(\left.L\middle /K(\alpha )\right.\) rein inseparabel. Nach Induktionsvoraussetzung ist ihr Grad eine Potenz von \(p\). Aus der Gradformel folgt nun die Behauptung.

Satz 5.33

Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine algebraische Körpererweiterung. Dann heißt

\[ E := \{ \alpha \in L;\ \alpha \ \text{ist separabel über}\ K\} \]

der separable Abschluss von \(K\) in \(L\). Es ist \(E\) ein Teilkörper von \(L\), die Erweiterung \(\left.E\middle /K\right.\) ist separabel, die Erweiterung \(\left.L\middle /E\right.\) ist rein inseparabel und es gilt (wenn \([L:K]\) endlich ist):

\[ [L:K] = [L:K]_s\, \cdot \, [L:E]. \]

Beweis

Der Teilkörper \(K(E)\) von \(L\), der von \(E\) über \(K\) erzeugt wird, ist separabel über \(K\), weil er von separablen Elementen erzeugt wird (vergleiche Satz 5.21). Das bedeutet aber \(K(E)=E\), also ist \(E\) tatsächlich ein Körper. Es ist dann klar, dass \(\left.E\middle /K\right.\) separabel ist.

Es ist auch klar, dass \(\left.L\middle /E\right.\) rein inseparabel ist, denn ist \(\alpha \in L\) separabel über \(E\), dann ist \(\alpha \) auch separabel über \(K\) (nach Korollar 5.24), liegt also in \(E\).

Für die Behauptung am Schluss genügt es, \([L:K]_s = [E:K]\) zu zeigen, oder äquivalent \([L:K]_s = [E:K]_s\). Aber \(L\) ist, wie gerade bemerkt, rein inseparabel über \(E\), also zeigt Satz 5.30, dass \([L:E]_s=1\) gilt. Die Gleichheit \([L:K]_s = [E:K]_s\) folgt daher aus der Multiplikativität des Separabilitätsgrads (Lemma 5.19).

Man kann auch zeigen, dass der im obigen Satz beschriebene separable Abschluss von \(K\) in \(L\) der eindeutig bestimmte Zwischenkörper \(E\) von \(\left.L\middle /K\right.\) ist, so dass \(\left.E\middle /K\right.\) separabel und \(\left.L\middle /K\right.\) rein inseparabel ist. Wenn \(L\) über \(K\) normal ist, dann ist auch der separable Abschluss von \(K\) in \(L\) normal über \(K\).

Bemerkung 5.34

Für eine normale Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) existiert andererseits ein (eindeutig bestimmter) Zwischenkörper \(E'\), so dass \(\left.E'\middle /K\right.\) rein inseparabel und \(\left.L\middle /E'\right.\) separabel ist. Und zwar besteht \(E'\) genau aus denjenigen Elementen von \(L\), die unter jedem \(K\)-Homomorphismus \(L\to L\) auf sich selbst abgebildet werden. Es ist nicht schwer zu zeigen, dass der so definierte Körper \(E'\) über \(K\) rein inseparabel ist. Um zu zeigen, dass \(\left.L\middle /E'\right.\) separabel ist, kann man Satz 5.44 aus dem nächsten Kapitel benutzen. Es ist \(E'\) normal über \(K\).

Definition 5.35

Man nennt einen Körper \(K\) separabel abgeschlossen, wenn jede algebraische Erweiterung von \(K\) rein inseparabel ist.

Sei \(K\) ein Körper. Wir können nun zeigen, dass der im Beweis von Theorem 4.31 konstruierte Erweiterungskörper \(C(K)\) algebraisch abgeschlossen ist. Das heißt, dass man bei der Konstruktion eines algebraischen Abschlusses von \(K\) darauf verzichten kann, diese Konstruktion zu iterieren und dann die Vereinigung zu bilden. Es gilt nämlich:

Satz 5.36

Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine algebraische Körpererweiterung, so dass jedes Polynom in \(K[X]\) eine Nullstelle in \(L\) hat. Dann ist \(L\) algebraisch abgeschlossen.

Beweisskizze

Es genügt zu zeigen, dass \(L\) perfekt und separabel abgeschlossen ist, denn dann ist jede algebraische Körpererweiterung von \(L\) sowohl separabel als auch rein inseparabel, also trivial. Ist \(E\) ein perfekter Körper und \(\left.E'\middle /E\right.\) eine algebraische Erweiterung, dann ist auch \(E'\) perfekt (Übung). Die entsprechende Aussage gilt auch für die Eigenschaft separabel abgeschlossen. Es genügt also zu zeigen, dass die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) einerseits einen perfekten und andererseits einen separabel abgeschlossenen Zwischenkörper enthält. Das folgt aus den folgenden beiden Behauptungen. (Im Fall, dass \(K\) und damit auch \(L\) Charakteristik \(0\) hat, ist \(L\) »automatisch« perfekt, und es genügt, die erste Behauptung zu zeigen.)

Behauptung. Sei \(K_s\subseteq L\) der separable Abschluss von \(K\) in \(L\). Dann ist \(K_s\) separabel abgeschlossen.

Begründung. Es genügt zu zeigen, dass \(K_s\) keine nicht-trivialen einfachen separablen Erweiterungen hat. Sei eine einfache separable Erweiterung \(\left.K_s(\alpha )\middle /K\right.\) gegeben. Dann ist \(\alpha \) auch separabel über \(K\) (weil \(\left.K_s\middle /K\right.\) separabel ist, folgt das aus Korollar 5.24). Ist \(E\) ein Zerfällungskörper von \(\operatorname{minpol}_{\alpha , K}\) über \(K\), dann ist \(E\) ebenfalls endlich und separabel über \(K\). Nach dem Satz vom primitiven Element (Satz 5.25) handelt es sich also um eine einfache Erweiterung, etwa \(E=K(\gamma )\), \(\gamma \in E\). Nach Voraussetzung hat \(\operatorname{minpol}_{\gamma , K}\) eine Nullstelle \(\beta \) in \(L\). Die Zuordnung \(\gamma \mapsto \beta \) gibt uns dann einen \(K\)-Homomorphismus \(K(\gamma )\to L\) (vergleiche Satz 4.25), also zerfällt \(\operatorname{minpol}_{\alpha , K}\) über \(L\) vollständig in Linearfaktoren. Dies gilt sogar über \(K_s\), weil \(\operatorname{minpol}_{\alpha , K}\) separabel ist. Weil \(\operatorname{minpol}_{\alpha , K_s}\) ein irreduzibler Teiler von \(\operatorname{minpol}_{\alpha , K}\) in \(K_s[X]\) ist, folgt \(\deg (\operatorname{minpol}_{\alpha , K_s})=1\), also \(\alpha \in K_s\).

Behauptung. Wir betrachten nun den Fall positiver Charakteristik \(p\). Sei \(K_i\subseteq L\) definiert durch

\[ K_i = \{ \alpha \in L; \text{es existiert}\ r\ge 0\ \text{mit}\ \alpha ^{p^r}\in K\} . \]

Dann ist \(K_i\) ein perfekter Teilkörper von \(K\).

Begründung. Man rechnet leicht direkt nach, dass \(K_i\) ein Teilkörper von \(L\) ist. Angenommen, \(K_i\) wäre nicht perfekt. Nach Satz 5.15 ist die Abbildung \(K_i\to K_i\), \(x\mapsto x^p\) nicht surjektiv. Sei \(\alpha \in K_i\) ein Element, das nicht im Bild liegt. Nach Definition von \(K_i\) existiert dann \(r\ge 0\) mit \(\alpha ^{p^{r}}\in K\). Sei nun \(\beta \in L\) eine Nullstelle des Polynoms \(X^{p^{r+1}}- \alpha ^{p^{r}} \in K[X]\), es gilt also \(\beta ^{p^{r+1}} =\alpha ^{p^{r}}\). Insbesondere ist \(\beta \) ein Element von \(K_i\). Darüber hinaus folgt \(\beta ^p = \alpha \in K_i\). Dann besitzt aber \(\alpha \) in \(K_i\) die \(p\)-te Wurzel \(\beta \), im Widerspruch dazu, dass wir \(\alpha \) als ein Element gewählt hatten, dass nicht im Bild des Frobenius-Homomorphismus liegt.