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18.3 Der Quotient einer Gruppe nach einem Normalteiler

Die Quotientenkonstruktion kann man nicht nur für Vektorräume durchführen, sondern zum Beispiel auch im Kontext von Gruppen und von Ringen. In diesem Abschnitt behandeln wir Quotienten von Gruppen, danach kommen wir kurz zu Quotienten von Ringen. In beiden Fällen ist zunächst zu überlegen, nach welcher Art von Objekten man Quotienten konstruieren möchte. Jedenfalls soll es wieder einen surjektiven Homomorphismus (d.h. Gruppenhomomorphismus bzw. Ringhomomorphismus, je nachdem, in welchem Kontext wir arbeiten) geben soll, dessen Kern das »Objekt« ist, nach dem wir den Quotienten bilden. Wir haben gesehen, dass der Kern eines Ringhomomorphismus immer ein Ideal (aber im allgemeinen kein Unterring) ist. Deswegen werden wir im Fall von Ringen Quotienten nach Idealen betrachten.

Im Fall von Gruppen wissen wir, dass der Kern eines Gruppenhomomorphismus eine Untergruppe ist. Wir werden unten sehen, dass nicht jede Untergruppe wirklich als Kern auftreten kann, aber wir beginnen unsere Betrachtungen, indem wir die Überlegungen aus dem Vektorraumfall auf Gruppen und Untergruppen übertragen. Wenn nichts anderes gesagt wird, schreiben wir alle auftretenden Gruppen multiplikativ.

Die Definition von Nebenklassen \(v+U\) eines Untervektorraums \(U\subseteq V\) können wir leicht übertragen, indem wir die Vektorraumaddition durch die Gruppenverknüpfung ersetzen. Weil wir nicht voraussetzen, dass diese kommutativ ist, erhalten wir aber zwei (in der Regel unterschiedliche) Begriffe von Nebenklassen.

Definition 18.20
  1. Für \(g\in G\) heißt

    \[ gH = \{ gh;\ h\in H\} \]

    die Linksnebenklasse von \(g\) bezüglich \(H\), und \(Hg: = \{ hg;\ h\in H\} \) die Rechtsnebenklasse von \(g\) bezüglich \(H\).

  2. Die Menge der Linksnebenklassen von \(H\) in \(G\) wird mit \(\left.G\middle /H\right.\) bezeichnet. Die Menge der Rechtsnebenklassen bezeichnen wir mit \(H\backslash G\).

Die Linksnebenklassen von \(H\) in \(G\) sind genau die Äquivalenzklassen bezüglich der Äquivalenzrelation

\[ g\sim g^\prime \quad \Longleftrightarrow \quad g^{-1}g^\prime \in H. \]

Insbesondere gilt für \(g,g^\prime \in G\) entweder \(gH = g^\prime H\) oder \(gH\cap g^\prime H=\emptyset \). Sind \(gH\), \(g^\prime H\) Linksnebenklassen, so ist die Abbildung \(x\mapsto g^\prime g^{-1} x\) eine Bijektion \(gH\to g^\prime H\) (mit Umkehrabbildung \(y\mapsto (g^\prime )^{-1} gy\)). Entsprechende Aussagen gelten für Rechtsnebenklassen. Als Folgerung erhalten wir:

Satz 18.21 Lagrange

Sei \(G\) eine endliche Gruppe und \(H\subseteq G\) eine Untergruppe. Dann gilt

\[ \# G = \# H\, \cdot \, \# (\left.G\middle /H\right.). \]

Insbesondere ist \(\# H\) ein Teiler von \(\# G\).

Beweis

Wir zählen die Elemente von \(G\), indem wir die Anzahl \(\# (\left.G\middle /H\right.)\) der Nebenklassen multiplizieren mit der Anzahl der Elemente jeder Nebenklasse (diese Anzahl ist, wie wir soeben bemerkt haben, von der Nebenklasse unabhängig und ist gleich \(\# H\), denn \(H = 1\, H\) ist ja eine der Nebenklassen).

Als nützliches Korollar des Satzes von Lagrange halten wir noch die folgende Aussage fest. Siehe Abschnitt LA1.8.5.1 für einige Anwendungen in der elementaren Zahlentheorie.

Korollar 18.22

Sei \(G\) eine (multiplikativ geschriebene) endliche Gruppe mit \(n\) Elementen und neutralem Element \(e\), und sei \(g\in G\). Dann gilt \(g^n = e\).

Beweis

Sei

\[ H:=\langle g\rangle = \{ g^i;\ i\in \mathbb Z\} \]

die von \(g\) erzeugte Untergruppe. Nach dem Satz von Lagrange ist \(m:=\# H\) ein Teiler von \(G\). Es ist leicht zu sehen, dass dann \(H = \{ 1, g, g^2, \dots , g^{m-1}\} \) und \(g^m=1\) gilt. Damit folgt die Behauptung.

Man nennt \(\# \langle g\rangle \) auch die Ordnung des Elements \(g\) (dies ist entweder eine natürliche Zahl \(\ge 1\) oder \(\infty \)). Eine andere Charakterisierung der Ordnung ist, dass es sich um die kleinste natürliche Zahl \(m\) handelt, für die \(g^m = 1\) gilt (bzw. \(infty\), wenn eine solche Zahl nicht existiert).

Bemerkung 18.23

Unser Ziel ist nun, analog zum Vektorraumfall, die Menge \(\left.G\middle /H\right.\) mit einer Gruppenstruktur zu versehen, so dass die kanonische Projektion \(\pi \colon G\to \left.G\middle /H\right.\), \(g\mapsto gH\) ein Gruppenhomomorphismus mit Kern \(H\) ist. Damit das gelingen kann, müssen wir aber eine weitere Bedingung an \(H\) stellen! Denn dass \(\pi \) ein Gruppenhomomorphismus sein soll, bedeutet, dass die Multiplikation auf \(\left.G\middle /H\right.\) durch

\[ (g_1H)(g_2 H) := (g_1g_2) H \]

definiert werden müsste. Damit das wohldefiniert ist, muss aus \(g_1H=g_1^\prime H\) und \(g_2H=g_2^\prime H\) folgen, dass \((g_1g_2)H=g_1^\prime g_2^\prime H\) ist, mit anderen Worten muss gelten

\[ g_i^{-1}g_i^\prime \in H,\ i=1,2\quad \Longrightarrow (g_1g_2)^{-1}g_1^\prime g_2^\prime \in H. \]

Es ist leicht zu sehen, dass das dazu äquivalent ist, dass für alle \(h\in H\) und \(g\in G\) auch \(ghg^{-1}\in H\) gilt. In der Tat ist klar, dass jeder Kern eines Gruppenhomomorphismus diese Eigenschaft hat. Es ist nicht schwierig Beispiele von Gruppen \(G\) und Untergruppen \(H\) zu finden, für die diese Bedingung nicht gilt (schon in der symmetrischen Gruppe \(G=S_3\) gibt es Beispiele). In kommutativen Gruppen tritt dieses Problem natürlich nicht auf; daher haben wir es auch beim Vektorraumquotienten nicht gesehen.

Aufgrund der Überlegungen in der vorherigen Bemerkung treffen wir die folgende Definition.

Definition 18.24

Sei \(G\) eine Gruppe. Eine Untergruppe \(H\subseteq G\) heißt Normalteiler, wenn die folgenden äquivalenten Bedingungen erfüllt sind:

  1. für alle \(h\in H\) und \(g\in G\) gilt \(ghg^{-1}\in H\),

  2. für alle \(g\in G\) gilt

    \[ H = gHg^{-1} := \{ ghg^{-1}; h\in H\} . \]
  3. für alle \(g\in H\) gilt \(gH=Hg\).

Die Äquivalenz dieser Bedingungen ist nicht schwer zu zeigen. Dass die Normalteilereigenschaft eine notwendige Bedingung an \(H\) ist, um einen Gruppenhomomorphismus mit Kern \(H\) zu konstruieren, halten wir noch einmal explizit fest.

Lemma 18.25

Ist \(f\colon G\to G^\prime \) ein Gruppenhomomorphismus, dann ist \(\operatorname{Ker}(f)\) ein Normalteiler von \(G\).

Beweis

Sind \(h\in \operatorname{Ker}(f)\) und \(g\in G\), so gilt

\[ f(ghg^{-1}) = f(g) f(h) f(g)^{-1} = 1, \]

also haben wir \(ghg^{-1}\in \operatorname{Ker}(f)\).

Beispiel 18.26
  1. Sei \(G=S_3\) die symmetrische Gruppe der Permutationen der Menge \(\{ 1, 2, 3\} \). Dann sind die Untergruppen von \(G\) mit \(2\) Elementen (die also aus der identischen Permutation und einer Transposition bestehen) keine Normalteiler von \(G\). Die Untergruppe \(\{ id, (123), (132)\} \) ist ein Normalteiler.

  2. Seien \(K\) ein Körper, \(n\ge 2\) und \(G=GL_n(K)\). Dann ist die Teilmenge \(B\subset GL_n(K)\) aller oberen Dreiecksmatrizen eine Untergruppe von \(G\), die kein Normalteiler ist. (Denn es gibt Matrizen, die zu einer oberen Dreiecksmatrix konjugiert sind, aber selbst keine obere Dreiecksmatrix sind.)

    Die Teilmenge \(U\subseteq B\) aller oberen Dreiecksmatrizen, deren Diagonaleinträge alle \(=1\) sind, ist eine Untergruppe von \(B\) (und damit auch von \(G\)). Es ist \(U\) ein Normalteiler von \(B\), aber kein Normalteiler von \(G\).

Umgekehrt ist auch jeder Normalteiler \(H\subseteq \) der Kern eines geeigneten Gruppenhomomorphismus, wie die Konstruktion des Quotienten \(\left.G\middle /H\right.\) zeigt.

Definition 18.27 Quotient einer Gruppe nach einem Normalteiler

Seien \(G\) eine Gruppe und \(H\subseteq G\) ein Normalteiler. Dann ist die Abbildung

\[ \left.G\middle /H\right.\times \left.G\middle /H\right.\to \left.G\middle /H\right.,\quad (g_1H, g_2 H)\mapsto g_1 g_2 H) \]

wohldefiniert und definiert auf \(\left.G\middle /H\right.\) die Struktur einer Gruppe, die man als den Quotienten von \(G\) nach \(H\) bezeichnet.

Die Abbildung \(\pi \colon G\to \left.G\middle /H\right.\) ist ein surjektiver Gruppenhomomorphismus mit Kern \(H\), der als die kanonische Projektion bezeichnet wird.

Das Bild \(\pi (g)\) eines Elements \(g\in G\) unter der kanonischen Projektion nennt man auch die Restklasse des Elements \(g\) in \(\left.G\middle /H\right.\).

Beweis

Zum Beweis der Wohldefiniertheit seien \(g_1, g_1^\prime , g_2, g_2^\prime \in G\) mit \(g_iH=g_i^\prime H\), \(i=1,2\) gegeben, also \(g_1^{-1}g_1^\prime , g_2^{-1}g_2^\prime \in H\). Wir wollen zeigen, dass \(g_1 g_2 H = g_1^\prime g_2^\prime H\) ist, also dass \(g_2^{-1} g_1^{-1} g_1^\prime g_2^\prime \in H\) gilt. Aber es ist

\[ g_2^{-1} g_1^{-1} g_1^\prime g_2^\prime = g_2^{-1} (g_1^{-1} g_1^\prime ) g_2 \, \cdot \, g_2^{-1} g_2^\prime \in H, \]

weil \(H\) ein Normalteiler ist.

Alternativ kann man sich davon überzeugen, dass die folgende Gleichheit von Teilmengen von \(G\) gilt (wobei die Schreibweise \(gH\) in naheliegender Weise verallgemeinert wird):

\[ (g_1 H) (g_2 H) = g_1 (H g_2) H = g_1 (g_2H) H = (g_1g_2)H, \]

und dass auch daraus die Wohldefiniertheit folgt.

Dass die Gruppenaxiome gelten, ist dann eine einfache Folgerung. Für das Assoziativgesetz haben wir

\[ ((g_1 H)(g_2H)) (g_3 H) = (g_1 g_2 H)(g_3 H) = (g_1g_2g_3 H) = (g_1 H)((g_2H)(g_3 H)). \]

Das neutrale Element ist \(H = 1, H\), das inverse Element von \(gH\) ist \(g^{-1} H\).

Es ist eine direkte Folge der Definitionen, dass \(\pi \) ein surjektiver Gruppenhomomorphismus ist. Es gilt \(\pi (g) = 1_{\left.G\middle /H\right.} = H\) genau dann, wenn \(gH=H\) ist, also wenn \(g\) in \(H\) liegt.

Satz 18.28 Homomorphiesatz für Gruppen

Sei \(G\) eine Gruppe und \(H\subseteq G\) ein Normalteiler. Sei \(\pi \colon G\to \left.G\middle /H\right.\) die kanonische Projektion auf den Quotienten.

Sei \(T\) eine Gruppe und \(f\colon G\to T\) ein Gruppenhomomorphismus.

  1. (Universelle Eigenschaft des Quotienten) Wenn \(H\subseteq \operatorname{Ker}f\) gilt, dann existiert ein eindeutig bestimmter Homomorphismus \(\varphi \colon \left.G\middle /H\right.\rightarrow T\) mit \(\varphi \circ \pi = f\).

  2. Existiert \(\varphi \) mit \(\varphi \circ \pi = f\), so folgt \(H\subseteq \operatorname{Ker}f\). Sind \(f\) mit \(H\subseteq \operatorname{Ker}f\) und \(\varphi \) wie in (1), so gilt: \(\operatorname{Im}\varphi = \operatorname{Im}f\). Die Abbildung \(\varphi \) ist genau dann injektiv wenn \(H=\operatorname{Ker}f\) gilt, genauer gilt stets \(\operatorname{Ker}\varphi = \left.\operatorname{Ker}(f)\middle /H\right.\).

Beweis

Den Beweis führt man genau wie im Vektorraumfall (siehe Satz 18.16).

Bemerkung 18.29

In dem Fall, dass \(G\) abelsch ist, ist jede Untergruppe \(H\) von \(G\) ein Normalteiler. Der Quotient \(\left.G\middle /H\right.\) ist dann auch eine abelsche Gruppe.