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4.3 Polynomfunktionen

4.3.1 Summe und Produkt von Abbildungen in einen Körper

Sei \(K\) ein Körper. Wir bezeichnen mit \(\operatorname{Abb}(X, K)\) die Menge aller Abbildungen \(X\to K\). Indem wir die Addition und Multiplikation auf \(K\) benutzen, können wir die Summe und das Produkt von zwei Abbildungen \(f, g\in \operatorname{Abb}(X, K)\) definieren:

\[ f+g\colon X\to K, \quad x\mapsto f(x)+g(x), \]

und

\[ f\cdot g\colon X\to K, \quad x\mapsto f(x)g(x). \]

Wir erhalten so eine Addition \(+\) und eine Multiplikation \(\cdot \) auf \(\operatorname{Abb}(X, K)\).

Zwar ist \(\operatorname{Abb}(X,K)\) kein Körper (es sei denn, \(X\) hat genau ein Element), aber das soll uns an dieser Stelle nicht stören.

4.3.2 Polynomfunktionen auf einem Körper

Sei \(K\) weiter ein Körper.

Definition 4.24

Eine Abbildung \(f\colon K\to K\) heißt Polynomfunktion, wenn eine natürliche Zahl \(n\ge 0\) und Elemente \(a_i\in K\), \(i=0, \dots , n\), existieren, so dass für alle \(x\in K\) gilt:

\[ f(x) = a_nx^n + a_{n-1}x^{n-1} + \cdots + a_1x + a_0 = \sum _{i=0}^n a_i x^i. \]

Die Elemente \(a_i\) nennt man die Koeffizienten von \(f\). (Aber siehe Bemerkung 4.29: Ist \(K\) endlich, so sind die Koeffizienten einer solchen Darstellung nicht eindeutig durch die Abbildung \(f\) bestimmt!) Der Koeffizient \(a_0\) heißt der Absolutterm oder das absolute Glied. Dies ist gleichzeitig der Wert von \(f\) an der Stelle \(0\): \(f(0)=a_0\).

Es ist oft nützlich, den Fall, dass \(f\) die konstante Funktion mit Wert \(0\) ist, separat zu behandeln. Wenn wir diesen Fall ausschließen, brauchen wir nur noch Polynomfunktionen zu betrachten, bei denen mindestens ein Koeffizient \(\ne 0\) ist. Dann können wir auch direkt annehmen, dass der Koeffizient mit dem höchsten Index nicht verschwindet, weil wir die Terme mit verschwindenden Koeffizienten weglassen können.

Ist \(f\colon K\to K\) eine Abbildung, dann nennen wir die Elemente \(a\) von \(K\) mit \(f(a) = 0\) die Nullstellen der Funktion \(f\). Eine einfache aber wichtige Beobachtung ist die folgende: Ist \(f\) das Produkt von Polynomfunktionen \(g, h\colon K\to K\) (im Sinne von Abschnitt 4.3.1, das heißt also einfach, dass \(f(x)=g(x)h(x)\) für alle \(x\in K\) gilt), dann ist \(f\) wieder eine Polynomfunktion, und für \(a\in K\) gilt \(f(a) = 0\) genau dann, wenn \(g(a)=0\) oder \(h(a)=0\) ist.

Satz 4.25

Sei \(f\colon K\to K\) eine Polynomfunktion. Gilt

\[ f(x) = a_nx^n + a_{n-1}x^{n-1} + \cdots + a_1x + a_0 = \sum _{i=0}^n a_i x^i. \]

(siehe Definition 4.24) und sind nicht alle \(a_i=0\), dann gibt es höchstens \(n\) verschiedene Nullstellen von \(f\) in \(K\).

Zumindest in Spezialfällen ist Ihnen der Satz bekannt; zum Beispiel kann eine quadratische Gleichung nicht mehr als zwei Lösungen haben. In diesem Semester werden die Polynomfunktionen keine zentrale Rolle spielen, sondern nur gelegentlich als Beispielmaterial dienen. Das wird sich in der Linearen Algebra 2 ändern und wir werden dann noch einmal systematischer auf diesen Begriff zurückkommen. Daher können Sie, wenn Sie möchten, den Beweis des Satzes erstmal überspringen.

Beweis

Ähnlich wie wir die Division mit Rest für ganze Zahlen haben, können wir auch Polynomfunktionen (für die wir eine Darstellung wie in der Definition gewählt haben) mit Rest durcheinander dividieren. Wir nennen das Polynomdivision.

Lemma 4.26 Polynomdivision

Seien \(f\), \(g\) Polynomfunktionen mit \(f(x) = \sum _{i=0}^na_ix^i\), \(g(x) = \sum _{i=0}^m b_ix^i\) und es gelte \(a_n\ne 0\), \(b_m\ne 0\) und \(0 {\lt} m\le n\). Dann existieren eine Polynomfunktion \(q\) mit \(q(x)= \sum _{i=0}^{n-m} c_ix^i\) und eine Polynomfunktion \(r\) mit \(r(x) = \sum _{i=0}^l d_ix^i\), so dass

\[ f = qg + r,\qquad \text{und}\ \ l {\lt} m. \]

(Die erste Bedingung ist im Sinne von Abschnitt 4.3.1; sie bedeutet einfach, dass \(f(x) = q(x)g(x)+r(x)\) für alle \(x\in K\). Es wird nicht behauptet, dass \(c_{n-m}\ne 0\) sein muss.)

Beweis des Lemmas

Wir führen Induktion nach \(n\). Ist \(n {\lt} m\), so können wir einfach \(r(x):=f(x) = \sum _{i=0}^na_ix^i\) und \(q =0\) setzen.

Ist \(n\ge m\), so sei \(q_1(x) = \frac{a_n}{b_m} x^{n-m}\) und \(f_1 = f-q_1g\), also gilt für alle \(x\in K\):

\[ f_1(x) = f(x) - q_1(x) g(x) = \sum _{i=0}^na_ix^i - \frac{a_n}{b_m} x^{n-m} \sum _{i=0}^m b_ix^i = \sum _{i=0}^{n-1} \left(a_i - \frac{a_n b_{i-n+m} }{b_m} \right)x^i, \]

wobei wir für \(j {\lt} 0\) den Wert von \(b_j\) als \(0\) ansehen wollen. Wir können daher auf diese Darstellung von \(f_1\) die Induktionsvoraussetzung anwenden und \(f_1 = q_2 g + r\) schreiben, wobei die höchste Potenz von \(x\), die in \(r\) auftritt, kleiner als \(m\) ist. Wir erhalten dann

\[ f = f_1 + q_1 g = (q_1+q_2) g + r, \]

und setzen \(q:=q_1+q_2\), um die gewünschte Darstellung von \(f\) zu erhalten.

Nun zum Beweis des Satzes. Wir führen Induktion nach \(n\). Ist \(n=0\), also \(f=a_0\), so hat \(f\) gar keine Nullstellen, weil nach Voraussetzung nicht alle \(a_i\) (und das ist hier nur \(a_0\)) Null sein dürfen.

Sei nun \(n{\gt}0\). Wir können annehmen, dass \(a_n\ne 0\) ist, denn sonst könnten wir den Term \(a_nx^n\) einfach weglassen und ein noch besseres Ergebnis beweisen. Sei \(a\) eine Nullstelle von \(f\). (Sollte \(f\) gar keine Nullstellen haben, ist die Aussage sowieso klar.) Wir wenden das Lemma über die Polynomdivision an auf das gegebene \(f\) und \(g(x) = x-a\). Das bedeutet \(m=1\), also können wir \(f\) schreiben als \(f=qg+r\) mit \(r(x) = d_0\) (denn die Zahl \(l\) im Lemma muss \({\lt}1\) sein).

Wir haben also \(f(x) = q(x)(x-a) + d_0\) für alle \(x\in K\). Wenn wir \(x=a\) setzen, dann bekommen wir

\[ 0= f(a) = q(a) (a-a) + d_0 = d_0, \]

also gilt \(d_0=0\) und damit \(f(x) = q(x) (x-a)\). Nun gibt uns das Lemma auch, dass \(q(x) = \sum _{i=0}^{n-1} c_ix^i\). Nach Induktionsvoraussetzung hat \(q\) höchstens \(n-1\) Nullstellen in \(K\). Ist \(b\) irgendeine Nullstelle von \(f\), so gilt \(q(b) (b-a) = f(b)=0\), also ist \(b=a\) oder \(q(b)=0\). Insgesamt folgt die Behauptung.

Natürlich kann \(f\) wie im Satz auch weniger als \(n\) Nullstellen haben, betrachten Sie zum Beispiel die Funktion \(f\colon \mathbb R\to \mathbb R\), \(f(x) = x^2+1\), oder allgemein die Funktion \(f\colon K\to K\), \(f(x) = x^n\), die \(0\) als einzige Nullstelle hat.

Beispiel 4.27

Sei \(K=\mathbb Q\) und \(f(x) = x^3 - 3x^2 + 3x - 2\). Wir sehen, dass \(f\) bei \(x=2\) eine Nullstelle hat. (Man kann zeigen, dass die Nullstellen in \(\mathbb Q\) eines Polynoms mit Koeffizienten in \(\mathbb Z\) und höchstem Koeffizient \(1\) alle in \(\mathbb Z\) liegen und den Absolutterm teilen; in diesem Fall kommen also nur die Teiler von \(-2\), d.h. \(-2\), \(-1\), \(1\), \(2\), als Nullstellen in \(\mathbb Q\) in Frage. Natürlich kann es weitere Nullstellen in \(\mathbb R\setminus \mathbb Q\), oder auch in \(\mathbb C\setminus \mathbb Q\), geben. Auch in diesem Beispiel gibt es nur eine rationale Nullstelle und zwei reelle Nullstellen, die nicht in \(\mathbb Q\) liegen.)

Wir führen die Polynomdivision von \(f\) durch \(x-2\) durch:

\((x^3\)

\(-3x^2\)

\(+3x\)

\(-2)\)

\(\colon \)

\((x-2)\)

\(=\)

\(x^2 - x + 1\)

\(-x^3\)

\(+2x^2\)

 

\(-x^2\)

\(+3x\)

\(-2\)

 

\(+x^2\)

\(-2x\)

   

\(x\)

\(-2\)

   

\(-x\)

\(+2\)

     

\(0\)

(Das Vorgehen ist hier nicht so leicht zu illustrieren; versuchen Sie, die obige Rechnung schrittweise wie eine schriftliche Division zu lesen. Mit den unteren Zeilen ergeben sich nach und nach die Summanden des Ergebnisses.)

Wie im Beweis des Satzes bleibt in diesem Fall kein Rest. Die weiteren Nullstellen von \(f\) können wir nun ausrechnen, indem wir die quadratische Gleichung \(x^2-x+1 = 0\) lösen.

Korollar 4.28

Sei \(K\) ein unendlicher Körper. Sei \(f\) eine Polynomfunktion auf \(K\), die nicht konstant \(0\) ist. Dann sind die Zahlen \(n\) und \(a_i\) in der Darstellung \(f(x) = \sum _{i=0}^n a_ix^i\) mit \(a_n\ne 0\) eindeutig bestimmt.

Beweis

Seien \(f(x) = \sum _{i=0}^n a_ix^i = \sum _{i=0}^{n^\prime } a^\prime _ix^i\) Darstellungen von \(f\), und sei ohne Einschränkung \(n\ge n^\prime \). Wir setzen \(a_i^\prime = 0\) für \(i = n^\prime + 1, \dots , n\) und betrachten die Differenz

\[ \sum _{i=0}^n (a_i-a^\prime _i)x^i. \]

Dies ist eine Polynomfunktion, die an jedem Element von \(K\) verschwindet, also unendlich viele Nullstellen hat. Ihre Koeffizienten müssen nach Satz 4.25 sämtlich verschwinden. Es folgt \(a_i = a^\prime _i\) für alle \(i\), und wenn wir \(a_n\ne 0\) voraussetzen, auch \(n= n^\prime \), denn im Fall \(n {\gt} n^\prime \) wäre nach unserer Definition \(a^\prime _n = 0\ne a_n\).

Ist \(K\) ein unendlicher Körper, so nennen wir die Zahl \(n\) aus Korollar 4.28 den Grad der Polynomfunktion \(f\). (Der Nullfunktion weisen wir formal den Grad \(-\infty \) zu.)

Bemerkung 4.29

Ist \(K\) ein endlicher Körper, so kann eine Polynomfunktion \(f\) konstant \(=0\) sein, also \(f(x)=0\) für alle \(x\in K\), und dennoch eine Darstellung \(f(x) = \sum _{i=0}^n a_ix^i\) haben, in der nicht alle \(a_i\) verschwinden. Die Aussage von Korollar 4.28 ist in diesem Fall falsch. Zum Beispiel ist für \(K=\mathbb F_p\) die Polynomfunktion \(f(x) = x^p-x\) die Nullfunktion; dies ist gerade die Aussage des Kleinen Fermatschen Satzes (Satz 4.21). Wir kommen in der Linearen Algebra 2 auf diesen Punkt noch einmal zurück.