2.1 Ringe und Ideale
Wir beginnen mit der Wiederholung einiger Begriffe, die schon in der Linearen Algebra 2 und Algebra eingeführt wurden (insbesondere Ringe, Ideale, Primideale und maximale Ideale) und die wir in dieser Vorlesung genauer studieren werden.
2.1.1 Definitionen
Eine Menge \(R\) zusammen mit Verknüpfungen \(+ \colon R\times R \to R\) (Addition) und \(\cdot \colon R\times R\to R\) (Multiplikation) heißt kommutativer Ring mit \(1\), falls gilt:
\((R, +)\) ist eine abelsche Gruppe (Wir bezeichnen das neutrale Element bezüglich \(+\) stets mit \(0\).), und
die Multiplikation \(\cdot \) ist assoziativ, besitzt ein neutrales Element (das wir immer mit \(1\) bezeichnen), verhält sich distributiv bezüglich \(+\) und ist kommutativ.
Sofern nicht ausdrücklich etwas Anderes gesagt wird, verstehen wir in diesem gesamten Skript unter einem Ring immer einen kommutativen Ring mit \(1\).
Wir verwenden die üblichen Bezeichnungen: Der Multiplikationspunkt wird üblicherweise ausgelassen. Das Inverse von \(a\in R\) bezüglich der Addition wird mit \(-a\) bezeichnet, wir schreiben \(a-b\) statt \(a+(-b)\).
Die Menge \(R = \{ 0 \} \) mit \(0+0 = 0\), \(0\cdot 0 = 0\), ist ein Ring, der sogenannte Nullring. Dies ist der einzige Ring, in dem \(1 = 0\) gilt. Wir schreiben einfach \(R=0\).
Die ganzen Zahlen \(\mathbb Z\) bilden mit der üblichen Addition und Multiplikation einen Ring.
Ist \(R\) ein Ring, dann können wir die Polynomringe \(R[X]\) in einer, \(R[X_1,\dots , X_n]\) in endlich vielen und \(R[X_i;\ i\in I]\) in beliebig vielen Unbestimmten bilden. Siehe Abschnitt ALG.3.3 und Abschnitt ALG.A.2.2.
Sind \(R_1\), \(R_2\) Ringe, dann ist das kartesische Produkt \(R_1\times R_2\) mit der komponentenweisen Addition und Multiplikation ein Ring. Allgemeiner kann man für jede Indexmenge \(I\) und Familie von Ringen \(R_i\), \(i\in I\), das Produkt \(\prod _{i\in I} R_i\) mit den komponentenweisen Operationen zu einem Ring machen.
Sei \(R\) ein Ring.
Ein Element \(a\in R\) heißt Einheit, falls ein Element \(b\in R\) existiert mit \(ab=1\). Die Menge \(R^\times \) aller Einheiten in \(R\) bildet eine Gruppe bezüglich der Multiplikation, die sogenannte Einheitengruppe.
Ein Element \(a\in R\) heißt Nullteiler, falls ein Element \(b\in R\), \(b\ne 0\), existiert mit \(ab=0\). Ist \(R\ne 0\) und hat \(R\) keine Nullteiler außer \(0\), so heißt \(R\) Integritätsring.
Ein Element \(a\in R\) heißt nilpotent, wenn \(n\ge 1\) existiert mit \(a^n=0\).
Sind \(u\in R^\times \) und \(a\in R\) nilpotent, so ist \(u-a\in R^\times \). Es ist ausreichend, das für \(u=1\) zu zeigen, weil mit \(a\) auch \(u^{-1}a\) nilpotent ist. Es gilt aber \((1-a)\left(\sum _{i\ge 0} a^i\right) = 1\). Die Summe hier ist nur formal unendlich, weil mit \(a\) offenbar auch \(-a\) nilpotent ist. Vergleiche die geometrische Reihe. Weil mit \(a\) auch \(-a\) nilpotent ist, folgt auch \(u+a\in R^\times \).
Seien \(R\), \(S\) Ringe. Eine Abbildung \(f\colon R\to S\) heißt Ringhomomorphismus, wenn gilt:
\(f(x+y) = f(x) + f(y)\) für alle \(x, y\in R\),
\(f(xy) = f(x)\ \ f(y)\) für alle \(x, y\in R\),
\(f(1) = 1\).
Die Menge aller Ringhomomorphismen von \(R\) nach \(S\) bezeichnen wir mit \(\operatorname{Hom}(R, S)\).
Es ist klar, dass jeder Ringisomorphismus bijektiv ist, und nicht schwer zu zeigen, dass jeder bijektive Ringhomomorphismus ein Isomorphismus ist.
Sei \(R\) ein Ring. Dann gibt es einen eindeutig bestimmten Ringhomomorphismus \(\mathbb Z\to R\) (siehe Beispiel ALG.3.2). Wenn wir eine ganze Zahl als Element von \(R\) auffassen, ist immer ihr Bild unter diesem Ringhomomorphismus gemeint (insbesondere für \(n \ge 0\) die \(n\)-fache Summe \(1+\cdots + 1\) in \(R\)). Achtung: Dieser Ringhomomorphismus ist im allgemeinen nicht injektiv.
Ist \(\varphi \colon R\to S\) ein Ringhomomorphismus und sind \(x_1,\dots , x_n\in S\), dann existiert ein eindeutig bestimmter Ringhomomorphismus \(\Phi \colon R[X_1,\dots , X_n]\to S\) mit \(\Phi (a)=\varphi (a)\) für alle \(a\in R\) und \(\Phi (X_i)=x_i\) für \(i=1, \dots , n\). Wir nennen \(\Phi \) den (zu \(\varphi \) und \(x_1, \dots , x_n\) gehörigen) Einsetzungshomomorphismus. Insbesondere haben wir den Einsetzungshomomorphismus im Spezialfall \(n=1\). Allgemeiner kann man genauso den Fall beliebieg vieler Unbestimmter betrachten.
In jedem Ring \(R\) sind \(\{ 0 \} \) (das Nullideal) und \(R\) (das Einsideal) Ideale.
Der Durchschnitt von Idealen ist ein Ideal.
Sind \(R\) ein Ring und ist \(X\subseteq R\) eine Teilmenge, so ist
\[ (X) := \bigcap _{\mathfrak a \subseteq R\ \text{Ideal}, X\subseteq \mathfrak a} \mathfrak a \quad = \left\{ \sum _{i=1}^n a_i x_i;\quad n\ge 0,\ a_i \in R,\ x_i\in X \right\} \]das kleinste Ideal von \(R\), das \(X\) enthält. Wir nennen \((X)\) das von \(X\) erzeugte Ideal. Ist \(X = \{ x_1, \dots , x_n \} \), so schreiben wir \((x_1, \dots , x_n) := (X)\). Beispiel: \((0) = \{ 0 \} \), \((1) = R\). Ein Ideal \(\mathfrak a\) heißt endlich erzeugt, wenn endlich viele Elemente \(a_1, \dots , a_n\in \mathfrak a\) existieren mit \(\mathfrak a=(a_1, \dots , a_n)\). Ein Ideal \(\mathfrak a\) heißt Hauptideal, wenn ein Element \(a\in \mathfrak a\) existiert mit \(\mathfrak a=(a)\). Ein Integritätsring, in dem jedes Ideal ein Hauptideal ist, heißt Hauptidealring.
Sei \(R\) ein Ring. Sind \(\mathfrak a_\nu \subseteq R\) Ideale, so heißt das von \(\bigcup _\nu \mathfrak a_\nu \) erzeugte Ideal die Summe der Ideale \(\mathfrak a_\nu \), in Zeichen \(\sum _\nu \mathfrak a_\nu \). Es gilt
\[ \sum _\nu \mathfrak a_\nu = \left\{ \sum _\nu x_\nu ; \ x_\nu \in \mathfrak a_\nu ,\ \text{nur endlich viele}\ x_\nu \ \text{ungleich}\ 0\right\} . \]
Eine \(R\)-Algebra ist ein (Ring \(A\) zusammen mit einem) Ringhomomorphismus \(R\to A\) (dieser Homomorphismus heißt auch der Strukturmorphismus. Ein Homomorphismus zwischen \(R\)-Algebren \(\varphi \colon R\to A\), \(\psi \colon R\to B\) ist ein Ringhomomorphismus \(f\colon A\to B\), so dass \(f\circ \varphi =\psi \). Die Menge aller \(R\)-Algebren-Homomorphismen von \(A\) nach \(B\) bezeichnen wir mit \(\operatorname{Hom}_R(A, B)\).
2.1.2 Der Quotient nach einem Ideal
Definition des Quotientenbegriffs durch die universelle Eigenschaft.
Seien \(R\) ein Ring und \(\mathfrak a\) ein Ideal. Eine \(R\)-Algebra \(\pi \colon R\to \overline{R}\) heißt Quotient von \(R\) nach \(\mathfrak a\), wenn \(\mathfrak a\subseteq \operatorname{Ker}(\pi )\) gilt und für jeden Ring \(S\) die Abbildung
eine Bijektion ist.
Im allgemeinen kann die obige Bedingung wie folgt ausformuliert werden: Sei \(f\colon R\to S\) ein Ringhomomorphismus. Der Homomorphismus \(f\) faktorisiert genau dann über \(\pi \) (d.h., lässt sich schreiben in der Form \(f=\psi \circ \pi \) für ein \(\psi \colon \overline{R}\to S\)), wenn \(\operatorname{Ker}(f)\supseteq \mathfrak a\). In diesem Fall ist \(\psi \) eindeutig bestimmt.
Das bedeutet: Der »wie üblich« konstruierte Quotient \(R/\mathfrak a\) (siehe unten) ist ein Quotient im Sinne der obigen Definition – dies ist gerade der Homomorphiesatz.
Aus der universellen Eigenschaft folgt, dass ein Quotient eindeutig bestimmt ist bis auf eindeutigen Isomorphismus, siehe den Beweis von Satz LA2.18.4.
Alternativ kann man einen Ringhomomorphismus \(R\to S\) (also eine \(R\)-Algebra-Struktur auf \(S\)) von vorneherein fixieren und die Äquivalenz, dass \(f\) genau dann über \(\pi \) faktorisiert, wenn \(\mathfrak a\subseteq \operatorname{Ker}(f)\) gilt, dadurch ausdrücken, dass die Abbildung
\[ \operatorname{Hom}_R(\overline{R}, S) \longrightarrow \{ f\in \operatorname{Hom}_R(R, S);\ \operatorname{Ker}(f) \supseteq \mathfrak a \} ,\quad \psi \mapsto \psi \circ \pi , \]eine Bijektion ist. Hier werden also auf beiden Seiten \(R\)-Algebra-Homomorphismen betrachtet. (Das hat zur Folge, dass beide Seiten höchstens ein Element haben.)
In der Definition kann man die Bedingung \(\mathfrak a\subseteq \operatorname{Ker}(\pi )\) fallenlassen, weil sie aus der zweiten Bedingung folgt (denn für \(S=\overline{R}\) liegt \(\operatorname{id}_{\overline{R}}\) in der linken Seite der Bijektion).
Aus der obigen Definition geht nicht hervor, ob ein Quotient in diesem Sinne überhaupt immer existiert. Man kann mit dieser abstrakteren Definition also nicht darum herumkommen, die Konstruktion des Quotienten durchzuführen.
Konstruktion des Quotienten.
Sei \(R\) ein Ring, \(\mathfrak a\subseteq R\) ein Ideal. Die Relation
definiert eine Äquivalenzrelation auf \(R\), deren Äquivalenzklassen wir als die Nebenklassen von \(\mathfrak a\) in \(R\) bezeichnen. Die Äquivalenzklasse von \(x\in R\) ist
Die Menge \(\left.R\middle /\mathfrak a\right.\) der Äquivalenzklassen wird durch die (wohldefinierten!) Verknüpfungen
zu einem kommutativen Ring, und die Abbildung \(\pi \colon R\to R/\mathfrak a\), \(x\mapsto \overline{x}\), die als die kanonische Projektion bezeichnet wird, ist ein surjektiver Ringhomomorphismus.
Seien \(R\) ein Ring und \(\mathfrak a \subseteq R\) ein Ideal. Sei \(\pi \colon R\to \left.R\middle /\mathfrak a\right.\) die kanonische Projektion.
Ein Ringhomomorphismus \(\varphi \colon R \to R'\) faktorisiert genau dann über \(\pi \) (d.h. es existiert \(\psi \colon \left.R\middle /\mathfrak a\right.\to R'\) mit \(\psi \circ \pi =\varphi \)), wenn \(\mathfrak a \subseteq \operatorname{Ker}\varphi \). Der Homomorphismus \(\psi \) ist dann eindeutig bestimmt. (Wie oben bemerkt, besagt dieser Teil genau, dass \(\pi \colon R\to R/\mathfrak a\) ein Quotient im Sinne der obigen Definition ist.)
In diesem Fall gilt \(\operatorname{Im}\varphi = \operatorname{Im}\psi \), und \(\psi \) ist genau dann injektiv, wenn \(\mathfrak a = \operatorname{Ker}\varphi \).
Seien \(R\) ein Ring und \(\mathfrak a\subseteq R\) ein Ideal. Sei \(\pi \colon R\to \left.R\middle /\mathfrak a\right.\) die kanonische Projektion. Dann sind die Abbildungen
zueinander inverse, inklusionserhaltende Bijektionen zwischen der Menge aller Ideale von \(R\), die \(\mathfrak a\) enthalten, und der Menge aller Ideale von \(\left.R\middle /\mathfrak a\right.\).
Urbilder von Idealen unter Ringhomomorphismen sind Ideale. Bilder von Idealen unter surjektiven Ringhomomorphismen sind Ideale. Mit den Notationen aus dem Satz ist klar, dass \(\pi ^{-1}(\mathfrak c)\) für alle \(\mathfrak c\) das Ideal \(\mathfrak a=\operatorname{Ker}(\pi )\) enthält. Daher liefern die angegebenen Zuordnungen tatsächlich Abbildungen zwischen der Menge der Ideale in \(R\), die \(\mathfrak a\) enthalten und der Menge der Ideale im Quotienten \(\left.R\middle /\mathfrak a\right.\). Es ist auch klar, dass sie inklusionserhaltend sind. Dass die beiden Abbildungen zueinander invers sind, ist leicht nachzuprüfen.