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2.4 Das Primspektrum eines Rings

In diesem Abschnitt definieren wir (eine erste Version) des (Prim-)Spektrums eines Rings. Die grundlegende Idee ist, jedem Ring ein »geometrisches Objekt« \(\operatorname{Spec}(R)\) zuzuordnen, derart dass man die Elemente des Ringes als Funktionen auf \(\operatorname{Spec}(R)\) betrachten kann (auch wenn wir das nur mit Abstrichen werden verwirklichen können, ist es gut, diese Vorstellung als Motivation mitzunehmen). Es ist dann möglich, mit Methoden der (kommutativen) Algebra »geometrische« Eigenschaften von Räumen der Form \(\operatorname{Spec}(R)\) zu beweisen und andersherum mit geometrischen Methoden Eigenschaften von Ringen zu beweisen. In der Vorlesung über kommutative Algebra werden wir das Spektrum als topologischen Raum definieren. In der algebraischen Geometrie wird dann darauf aufbauend das Spektrum mit der Struktur eines »lokal geringten Raums« versehen, was es insbesondere ermöglicht, Spektren von Ringen zu geometrischen Objekten zu »verkleben«, die nur lokal wie das Spektrum eines Rings »aussehen« (dies sollte man vergleichen mit dem Begriff einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit, die lokal aussieht wir eine offene Teilmenge von \(\mathbb R^n\)).

Um die Interpretation der Elemente eines Rings als Funktionen auf einem Raum zu motivieren, betrachten wir die folgenden beiden Beispiele.

Beispiel 2.33

Sei \(X\) ein topologischer Raum und sei \(R\) der Ring der stetigen Funktionen \(X\to \mathbb R\). (Die Ringstruktur ist wie üblich durch Addition und Multiplikation der Abbildungswerte gegeben. Null- und Einselement sind die konstanten Funktionen mit Wert \(0\) beziehungsweise \(1\).)

Sei \(x\in X\). Dann ist die Auswertungsabbildung \(\Phi _x\colon R\to \mathbb R\), \(f\mapsto f(x)\), ein Ringhomomorphismus. Weil konstante Abbildungen stetig sind, ist \(\Phi _x\) surjektiv. Schreiben wir

\[ \mathfrak m_x := \operatorname{Ker}(\Phi _x) = \{ f\in R;\ f(x)=0\} , \]

so erhalten wir einen Isomorphismus \(R/\mathfrak m_x\cong \mathbb R\). Insbesondere ist \(\mathfrak m_x\) ein maximales Ideal in \(R\).

(Analog kann man zum Beispiel den Ring der differenzierbaren Funktionen \(U\to \mathbb R\) für eine offene Teilmenge \(U\subseteq \mathbb R^n\) betrachten.)

Beispiel 2.34

Sei nun \(R\) der Ring der Polynomfunktionen \(\mathbb C\to \mathbb C\). Dann ist \(R\) isomorph zum Polynomring \(\mathbb C[X]\) (indem wir einem Polynom \(f\in \mathbb C[X]\) die Funktion \(x\mapsto f(x)\) zuordnen).

Der Ring \(R=\mathbb C[X]\) ist ein Hauptidealring, die maximalen Ideale in \(R\) sind die Ideale \((f)\) für irreduzible Polynome \(f\). Weil \(\mathbb C\) algebraisch abgeschlossen ist, sind nur lineare Polynome irreduzibel. Die Abbildung

\[ x\mapsto \mathfrak m_x := (X-x) \]

ist also eine Bijektion zwischen \(\mathbb C\) und der Menge der maximalen Ideale in \(\mathbb C[X]\).

Das vorherige Beispiel legt nahe, als »geometrisches Objekt«, das wir einem Ring \(R\) zuordnen, die Menge der maximalen Ideale von \(R\) zu verwenden (die »geometrische Struktur« bliebe noch zu diskutieren). Während das für eine wichtige Klasse von Ringen eine vernünftige Definition wäre, ist das im Allgemeinen nicht der beste Ansatz. Einer der Gründe ist, dass wir eine »funktorielle« Konstruktion suchen sollten. Das bedeutet, dass wir jedem Ringhomomorphismus \(\varphi \colon R\to S\) eine stetige Abbildung \(\operatorname{Spec}(S)\to \operatorname{Spec}(R)\) der zugehörigen topologischen Räume zuordnen wollen. Der einzige vernünftige Kandidat dafür wäre es, einem maximalen Ideal \(\mathfrak m\subset S\) das Urbild \(\varphi ^{-1}(\mathfrak m)\) zuzuordnen. Im allgemeinen ist aber das Urbild eines maximalen Ideals unter einem Ringhomomorphismus (zwar ein Ideal, aber) kein maximales Ideal. (Überlegen Sie sich ein Beispiel!) Dies ist also keine sinnvolle Definition. Andererseits sind Urbilder von Primidealen unter Ringhomomorphismen wieder Primideale (siehe unten).

Definition 2.35

Sei \(R\) ein Ring. Wir bezeichnen mit \(\operatorname{Spec}R\) die Menge der Primideale in \(R\) und nennen \(\operatorname{Spec}R\) das Spektrum oder Primspektrum von \(R\). Wir bezeichnen mit \(\operatorname{Spm}R\) die Menge aller maximalen Ideale von \(R\) und nennen \(\operatorname{Spm}R\) das Maximalspektrum von \(R\). Offenbar ist \(\operatorname{Spm}R \subseteq \operatorname{Spec}R\).

Als nächstes wollen wir die Menge \(\operatorname{Spec}(R)\) mit der Struktur eines topologischen Raums versehen. Die Idee hierfür ist die folgende: Wir hatten als Motivation das Ziel angegeben, Elemente von \(R\) als »stetige Funktionen« auf \(\operatorname{Spec}(R)\) betrachten. Die Nullstellenmenge einer stetigen Funktion sollte sicher abgeschlossen sein. Weil der Durchschnitt von abgeschlossenen Teilmengen wieder abgeschlossen sein muss, muss dann auch die gemeinsame Nullstellenmenge einer Teilmenge von \(R\) (verstanden als Funktionen) abgeschlossen sein. In den obigen Beispielen ist \(f(x) = 0\) äquivalent zu \(f\in \mathfrak m_x\).

Ist \(A\subseteq R\) eine Teilmenge, so setzen wir

\[ V(A) := \{ \mathfrak p\in \operatorname{Spec}R;\ A \subseteq \mathfrak p \} . \]

Wir stellen uns \(V(A)\) als die gemeinsame Nullstellenmenge aller Elemente von \(A\) vor (natürlich ist dies nur eine Motivation, weil wir nicht gesagt haben, wie wir die Elemente von \(R\) als Funktionen betrachten können und was es bedeuten soll, dass eine Funktion einem Punkt von \(\operatorname{Spec}(R)\) den Wert \(0\) habe). Ist \(\mathfrak a\) das von \(A\) erzeugte Ideal, dann gilt offenbar \(V(\mathfrak a) = V(A)\). Wir werden daher die Konstruktion \(V(-)\) in der Regel nur auf Ideale anwenden.

Lemma 2.36

Sei \(R\) ein Ring.

  1. \(V((0)) = \operatorname{Spec}R\), \(V((1)) = \emptyset \).

  2. Sind \(\mathfrak a_i\), \(i\in I\), Ideale von \(R\), so gilt

    \[ \bigcap _i V(\mathfrak a_i) = V\left(\sum _i \mathfrak a_i\right). \]
  3. Sind \(\mathfrak a\), \(\mathfrak b\) Ideale von \(R\), so gilt

    \[ V(\mathfrak a) \cup V(\mathfrak b) = V(\mathfrak a\cap \mathfrak b). \]

Beweis

Die Teile (1) und (2) sind einfach zu zeigen. Weil die Zuordnung \(\mathfrak a\mapsto V(\mathfrak a)\) offensichtlich inklusionsumkehrend ist, ist auch \(\subseteq \) in Teil (3) klar. Für die andere Inklusion dort betrachten wir ein Primideal \(\mathfrak p\) mit \(\mathfrak a\cap \mathfrak b\subseteq \mathfrak p\). Wenn \(\mathfrak p\) nicht in \(V(\mathfrak a)\) liegt, dann existiert \(s\in \mathfrak a\setminus \mathfrak p\). Ist dann \(b\in \mathfrak b\), so folgt \(sb\in \mathfrak a\cap \mathfrak b\subseteq \mathfrak p\), also \(b\in \mathfrak p\). Folglich gilt in diesem Fall \(\mathfrak p\in V(\mathfrak b)\).

Satz 2.37

Die Mengen \(V(\mathfrak a)\) für alle Ideale \(\mathfrak a\subseteq R\) bilden die abgeschlossenen Mengen einer Topologie auf \(\operatorname{Spec}R\), der sogenannten Zariski-Topologie.

Beweis

Das folgt unmittelbar aus dem Lemma.

Analog versehen wir das Maximalspektrum \(\operatorname{Spm}(R)\) mit der induzierten Topologie (Definition 2.24) bezüglich der Inklusion \(\operatorname{Spm}(R)\subseteq \operatorname{Spec}(R)\), und sprechen auch hier von der Zariski-Topologie. Benannt ist diese nach Oscar Zariski (1899 – 1986).

Beispiel 2.38
  1. Sei \(R=K\) ein Körper. Dann besteht \(\operatorname{Spec}K\) aus nur einem Punkt. Alle Teilmengen sind offen und abgeschlossen.

  2. Das Spektrum des Nullrings ist die leere Menge (genauer: der leere topologische Raum), und der Nullring ist der einzige Ring, dessen Spektrum leer ist, denn jeder Ring \(\ne 0\) besitzt ein maximales Ideal, also insbesondere ein Primideal.

  3. Sei \(R\) ein Hauptidealring. Übung. Beschreiben Sie den topologischen Raum \(\operatorname{Spec}(R)\). Betrachten Sie speziell auch die Fälle \(\operatorname{Spec}\mathbb Z\) und (für einen Körper \(K\)) \(\operatorname{Spec}K[X]\).

Satz 2.39

Sei \(\varphi \colon R\to S\) ein Ringhomomorphismus. Dann ist

\[ \varphi ^a \colon \operatorname{Spec}S \to \operatorname{Spec}R,\qquad \mathfrak q \mapsto \varphi ^{-1}(\mathfrak q), \]

eine stetige Abbildung.

Beweis

Es genügt zu zeigen, dass Urbilder abgeschlossener Teilmengen wieder abgeschlossen sind. Sei \(\mathfrak a\subseteq R\) ein Ideal. Wir zeigen die folgende genauere Behauptung, aus der insbesondere folgt, dass \((\varphi ^a)^{-1}(V(\mathfrak a))\) eine abgeschlossene Teilmenge von \(\operatorname{Spec}S\) ist.

Behauptung. Es ist \((\varphi ^a)^{-1}(V(\mathfrak a)) = V(\varphi (\mathfrak a)S)\), wobei \(\varphi (\mathfrak a)S\) das von \(\varphi (\mathfrak a)\) in \(S\) erzeugte Ideal bezeichne.

Begründung. Es gilt

\[ \mathfrak q \in (\varphi ^a)^{-1}(V(\mathfrak a)) \Leftrightarrow \varphi ^{-1}(\mathfrak q) \in V(\mathfrak a) \Leftrightarrow \mathfrak a \subseteq \varphi ^{-1}(\mathfrak q) \Leftrightarrow \varphi (\mathfrak a) \subseteq \mathfrak q \Leftrightarrow \mathfrak q\in V(\varphi (\mathfrak a)) = V(\varphi (\mathfrak a)S). \]

Die Konstruktion, einem Ringhomomorphismus \(\varphi \) die Abbildung \(\varphi ^a\) zwischen den Spektren zuzuordnen, ist verträglich mit Verkettung (in dem Sinne, dass \((\psi \circ \varphi )^a = \varphi ^a\circ \psi ^a\) gilt) und ordnet der Identitätsabbildung \(R\to R\) die Identitätsabbildung \(\operatorname{Spec}(R)\to \operatorname{Spec}(R)\) zu. (Mit der Sprechweise aus Kapitel 3 sagen wir: Diese Konstruktion ist »funktoriell«, oder genauer, einem Ring sein Spektrum und einem Ringhomomorphismus die assoziierte Abbildung zwischen den Spektren zuzuordnen, ist ein kontravarianter Funktor (Definition 18.126) von der Kategorie der Ringe in die Kategorie der topologischen Räume. Siehe Abschnitt 3.1.4.)

Bemerkung 2.40

Die offenen Teilmengen der Form \(D(f):=\operatorname{Spec}R \setminus V(f)\) heißen ausgezeichnete offene Teilmengen. Sie bilden eine Basis der Topologie, d.h. dass jede offene Teilmenge von \(\operatorname{Spec}R\) eine Vereinigung von Teilmengen dieser Form ist. Außerdem sind endliche Durchschnitte von ausgezeichneten offenen Teilmengen wieder ausgezeichnete offene Teilmengen. Es gilt nämlich

\[ \operatorname{Spec}R \setminus V(\mathfrak a) = \bigcup _{f\in \mathfrak a} D(f) \qquad \text{und}\quad D(f)\cap D(g) = D(fg). \]

Beispiel 2.41
  1. Die Elemente von \(\operatorname{Spec}(\mathbb C[X])\) sind einerseits das Nullideal \((0)\) und andererseits die maximalen Ideale \((X-\alpha )\), \(\alpha \in \mathbb C\).

  2. Die Elemente von \(\operatorname{Spec}(\mathbb R[X])\) sind einerseits das Nullideal \((0)\) und andererseits die maximalen Ideale. Die maximalen Ideale sind die von irreduziblen Polynomen erzeugten Ideale \((f)\). Es gilt \(\deg (f)\le 2\) und nach Skalierung können wir \(f\) als normiert annehmen. Im Fall \(\deg (f)=1\) hat \(f\) also die Form \(f =(X-\alpha )\), \(\alpha \in \mathbb R\). Im Fall \(\deg (f) = 2\) gilt \(f = (X-\alpha )(X-\overline{\alpha })\) für ein \(\alpha \in \mathbb C\setminus \mathbb R\) (das bis auf Übergang zum komplex Konjugierten eindeutig bestimmt ist).

  3. Die Inklusion \(\mathbb R[X]\subset \mathbb C[X]\) induziert (wenn wir sie als injektiven Ringhomomorphismus betrachten) die folgende Abbildung auf den Spektren: Das Nullideal wird auf das Nullideal abgebildet. Für \(\alpha \in \mathbb R\) wird das maximale Ideal \((X-\alpha )\subset \mathbb C[X]\) abgebildet auf das maximale Ideal \((X-\alpha )\subset \mathbb R[X]\). Für \(\alpha \in \mathbb C\setminus \mathbb R\) wird das maximale Ideal \((X-\alpha )\subset \mathbb C[X]\) abgebildet auf das maximale Ideal \(((X-\alpha )(X-\overline{\alpha }))\subset \mathbb R[X]\).