2.5 Lokale Ringe, Lokalisierung
Wir besprechen nun eine wichtige Konstruktion, um aus einem Ring weitere Ringe zu konstruieren, die sogenannte Lokalisierung. Es handelt sich dabei um eine Verallgemeinerung der Konstruktion des Quotientenkörpers eines Integritätsrings. Einerseits wollen wir Ringe von Brüchen betrachten, wo nicht alle Elemente \(\ne 0\) als Nenner zugelassen sind. Zum Beispiel ist die Teilmenge
ein Unterring von \(\mathbb Q\). Andererseits wollen wir die Konstruktion auf Ringe verallgemeinern, die keine Integritätsringe sind.
Sei \(R\) ein Ring und \(S\subseteq R\) eine multiplikative Teilmenge. Die auf der Menge \(R\times S\) durch
definierte Relation ist eine Äquivalenzrelation. Wir bezeichnen die Äquivalenzklasse von \((r,s)\) mit \(\frac rs\), und die Menge der Äquivalenzklassen mit \(S^{-1}R\).
Es ist leicht nachzurechnen, dass es sich hier tatsächlich um eine Äquivalenzrelation handelt (der nicht-triviale Teil ist die Transitivität), allerdings benötigt man die Flexibilität, ein beliebiges Element \(t\in S\) wählen zu dürfen. Wenn die Menge \(S\) keine Nullteiler enthält, dann spielt das Element \(t\) oben natürlich keine Rolle und man kann die Äquivalenzrelation in diesem Spezialfall auch durch \((r, s) \sim (r', s') \Leftrightarrow rs'=r' s\) definieren. Das ist natürlich insbesondere dann der Fall, wenn \(R\) ein Integritätsring ist und \(0\) nicht in \(S\) liegt.
Mit den (wohldefinierten!) Verknüpfungen
wird \(S^{-1}R\) zu einem kommutativen Ring mit Nullelement \(\frac01\) und Einselement \(\frac11\). Die Abbildung \(\tau \colon R\to S^{-1}R\), \(r\mapsto \frac r1\) ist ein Ringhomomorphismus, und es gilt \(\tau (S) \subseteq (S^{-1}R)^\times \). Achtung: Im allgemeinen ist die Abbildung \(\tau \) nicht injektiv!
Der Ring \(S^{-1}R\) zusammen mit dem Homomorphismus \(\tau \) heißt die Lokalisierung von \(R\) nach \(S\). (Für eine Begründung des Terms Lokalisierung siehe Bemerkung 2.48.
Mit den obigen Notationen gilt: Ist \(\varphi \colon R \to R'\) ein Ringhomomorphismus, so faktorisiert \(\varphi \) über \(\tau \colon R\to S^{-1}R\) genau dann, wenn \(\varphi (S)\subseteq (R')^\times \). In diesem Fall ist die Abbildung \(\psi \colon S^{-1}R\to R'\) mit \(\varphi = \psi \circ \tau \) eindeutig bestimmt.
Unter jedem Ringhomomorphismus werden Einheiten auf Einheiten abgebildet. Weil \(\tau (S)\subseteq (S^{-1}R)^\times \) gilt, kann \(\varphi \) wie im Satz also höchstens dann über \(\tau \) faktorisieren, wenn \(\varphi (S)\subseteq (R')^\times \) gilt. Ist das andererseits der Fall, dann können wir \(\psi \) definieren durch \(\psi (\frac as) = \varphi (s)^{-1}\varphi (a)\) (für \(a\in R\), \(s\in S\)) und es ist leicht zu überprüfen, dass dann \(\psi \) wohldefiniert und ein Homomorphismus ist und \(\varphi = \psi \circ \tau \) gilt sowie dass \(\psi \) der eindeutig bestimmte Homomorphismus mit dieser Eigenschaft ist.
(Funktorialität der Lokalisierung) Insbesondere gilt: Ist \(f\colon R\to R'\) ein Ringhomomorphismus und \(S\subset R\) eine multiplikative Teilmenge, dann ist \(f(S) \subset R'\) eine multiplikative Teilmenge von \(R'\), und \(f\) induziert einen eindeutig bestimmten Ringhomomorphismus \(S^{-1}R \to f(S)^{-1}R'\), so dass das Diagramm
kommutiert, nämlich \(\frac as\mapsto \frac{f(a)}{f(s)}\) für \(a\in R\), \(s\in S\).
Wir schreiben in der Situation des Korollars manchmal auch \(S^{-1}R'\) statt \(f(S)^{-1}R'\), wenn keine Missverständnisse zu befürchten sind.
Ist \(R\) ein Integritätsring, \(S\subseteq R\setminus \{ 0\} \) eine multiplikative Teilmenge, so gilt \(\frac rs = \frac{r'}{s'}\) genau dann, wenn \(rs' = r' s\) ist. Für einen Integritätsring \(R\) erhält man für \(S = R\setminus \{ 0 \} \) als Lokalisierung \(S^{-1}R\) gerade den Quotientenkörper \(\operatorname{Quot}(R)\) von \(R\), siehe Abschnitt LA2.15.5.
Ist \(R\) ein Ring, \(f\in R\), so ist \(S:= \{ 1, f, f^2, \dots \} \) eine multiplikative Teilmenge; in diesem Fall schreibt man \(R_f := S^{-1}R\). Ist \(R\) ein Ring und \(\mathfrak p \subset R\) ein Primideal, so ist \(S:= R\setminus p\) eine multiplikative Teilmenge; in diesem Fall schreibt man \(R_{\mathfrak p}: = S^{-1}R\).
Sei \(R\) ein Ring, \(S\) eine multiplikative Teilmenge. Genau dann gilt \(S^{-1}R=0\), wenn \(0\in S\). Insbesondere ist für \(f\in R\) die Lokalisierung \(R_f\) genau dann der Nullring, wenn \(f\) nilpotent ist.
Als nächstes wollen wir die Menge der Primideale, also das Spektrum einer Lokalisierung untersuchen. Dazu ist das folgende Lemma nützlich.
Seien \(R\) ein Ring und \(S\subset R\) eine multiplikative Teilmenge. Sei \(\mathfrak a\subset R\) ein Ideal und sei \(\mathfrak a S^{-1}R\) das von \(\tau (\mathfrak a)\) in \(S^{-1}R\) erzeugte Ideal. Dann gilt
Es ist klar, dass \(\tau (\mathfrak a)\) in der rechten Seite enthalten ist, und dass die rechte Seite in \(\mathfrak a S^{-1}R\) liegt. Daher genügt es zu zeigen, dass die rechte Seite ein Ideal ist. Das folgt unmittelbar aus den entsprechenden Eigenschaften von \(\mathfrak a\) und den Rechenregeln in der Lokalisierung \(S^{-1}R\).
Sei \(R\) ein Ring, \(S\subseteq R\) eine multiplikative Teilmenge und \(\tau \colon R\to S^{-1}R\) die kanonische Abbildung in die Lokalisierung. Dann induziert die Abbildung \(\tau ^a\) eine Bijektion
Die Umkehrabbildung bildet \(\mathfrak p\) ab auf das von \(\tau (\mathfrak p)\) in \(S^{-1}R\) erzeugte Ideal (das wir mit \(\mathfrak p S^{-1}R\) bezeichnen).
Wir überprüfen zuerst, dass die angegebenen Vorschriften Abbildungen zwischen diesen beiden Mengen liefern. Für ein Primideal \(\mathfrak q\subset S^{-1}R\) ist jedenfalls \(\tau ^{-1}(\mathfrak q)\) ein Primideal von \(R\). Wäre \(s\in \tau ^{-1}(\mathfrak q)\cap S\), dann wäre die Einheit \(s\in S^{-1}R\) in \(\mathfrak q\) und das kann nicht sein.
Ist andererseits \(\mathfrak p\subset R\) ein Primideal, das \(S\) nicht schneidet, dann ist das von \(\mathfrak p\) in \(S^{-1}R\) erzeugte Ideal \(\mathfrak p S^{-1}R\) ein Primideal. Jedenfalls hat \(1\in S^{-1}R\) nicht die Form \(\frac xs\) mit \(x\in \mathfrak p\), \(s\in S\), denn sonst gäbe es \(t\in S\) mit \(ts = tx \in S\cap \mathfrak p\). Aus Lemma 2.46 folgt \(1\not\in \mathfrak pS^{-1}R\). Sind \(x,y\in R\) und \(s,t\in S\) mit \(\frac xs\frac yt\in \mathfrak p S^{-1}R\), also etwa (nach demselben Lemma) \(\frac{xy}{st} = \frac zu\) mit \(z\in \mathfrak p\), \(u\in S\), dann existiert \(v\in S\) mit
und weil wegen \(\mathfrak p\cap S = \emptyset \) weder \(v\) noch \(u\) in \(\mathfrak p\) liegen, folgt \(xy\in \mathfrak p\), also \(x\in \mathfrak p\) oder \(y\in \mathfrak p\) und damit \(\frac xs\in \mathfrak p S^{-1}R\) oder \(\frac yt\in \mathfrak pS^{-1}R\).
Es bleibt nun noch zu zeigen, dass die beiden Abbildungen zueinander invers sind. Ist \(\mathfrak q\in \operatorname{Spec}(S^{-1}R)\), dann ist die Gleichheit \(\tau ^{-1}(\mathfrak q)S^{-1}R = \mathfrak q\) leicht zu sehen. Ist \(\mathfrak p\in \operatorname{Spec}(R)\) und gilt \(\mathfrak p\cap S = \emptyset \), dann folgt \(\tau ^{-1}(\mathfrak p S^{-1} R) = \mathfrak p\) leicht aus Lemma 2.46.
Wenn man etwas genauer hinschaut (Übung …) kann man zeigen, dass unter der Bijektion des Satzes die Zariski-Topologie auf \(\operatorname{Spec}(S^{-1}R)\) übereinstimmt mit der Teilraumtopologie auf dem Bild von \(\tau ^a\), die von der Zariski-Topologie auf \(\operatorname{Spec}(R)\) induziert wird.
Sei \(R\) ein Ring. Wir betrachten vermöge der Bijektion in Satz 2.47 die Primspektren von Lokalisierungen von \(R\) als Teilmengen von \(\operatorname{Spec}R\). Im Spezialfall \(S = \{ 1, f, f^2,\dots \} \) für ein Element \(f\in R\) erhalten wir eine Identifikation \(D(f) = \operatorname{Spec}(R_f)\), wobei \(D(f)\) die durch \(f\) gegebene ausgezeichnete offene Teilmenge von \(\operatorname{Spec}R\) bezeichne, siehe Bemerkung 2.40.
Ist \(\mathfrak p\subset R\) ein Primideal, so gilt
Zur ersten Gleichheit ist nur zu beachten, dass die Primideale in \(\operatorname{Spec}R_{\mathfrak p}\) den Primidealen von \(\operatorname{Spec}R\) entsprechen, die in \(\mathfrak p\) enthalten sind, mit anderen Worten denjenigen Primidealen, die keines der Elemente \(f\in R\setminus \mathfrak p\) enthalten, und das sind genau diejenigen \(f\), für die \(\mathfrak p\in D(f)\) gilt. Die zweite Gleichheit in der Kette folgt daraus, dass die \(D(f)\) eine Basis der Topologie auf \(\operatorname{Spec}R\) bilden.
Die Lokalisierungen \(R_f\) und \(R_{\mathfrak p}\) sind also algebraische Konstruktionen, die es ermöglichen, »lokal auf dem topologischen Raum \(\operatorname{Spec}(R)\) zu arbeiten«.
Ein Ring \(R\) heißt lokaler Ring, wenn \(R\) genau ein maximales Ideal \(\mathfrak m\) besitzt. Wir bezeichnen dann den Körper \(R/\mathfrak m\) als den Restklassenkörper von \(R\). Wir schreiben manchmal »Sei \((R, \mathfrak m)\) ein lokaler Ring.« als Kurzform für »Sei \(R\) ein lokaler Ring mit maximalem Ideal \(\mathfrak m\).« Wir schreiben auch »Sei \((R, \mathfrak m, k)\) ein lokaler Ring.« als Kurzform für: »Sei \(R\) ein lokaler Ring mit maximalem Ideal \(\mathfrak m\) und Restklassenkörper \(k\).«
Sei \(R\) ein Ring, \(\mathfrak m\subsetneq R\) ein Ideal. Dann sind äquivalent:
Der Ring \(R\) ist lokal mit maximalem Ideal \(\mathfrak m\).
Es gilt \(R \setminus \mathfrak m \subseteq R^\times \).
Das Ideal \(\mathfrak m\) ist maximal und für alle \(x\in \mathfrak m\) ist \(1+x\in R^\times \).
Übung.
Beispiele für lokale Ringe sind Körper und die Ringe
Allgemeiner gilt der folgende Satz.
Sei \(R\) ein Ring und \(\mathfrak p \subset R\) ein Primideal. Dann ist die Lokalisierung \(R_{\mathfrak p}\) ein lokaler Ring mit maximalem Ideal \(\mathfrak p R_{\mathfrak p}\).
Das Gleichheitszeichen hier ist so zu verstehen, dass die natürlichen Abbildungen zwischen den beiden Seiten zueinander inverse Isomorphismen sind. Die Abbildung \(R\to R/\mathfrak p\to \operatorname{Quot}(R/\mathfrak p)\) hat Kern \(\mathfrak p\). Weil der Wertebereich ein Körper ist, werden alle Elemente aus \(R\setminus \mathfrak p\) auf Einheiten abgebildet, so dass die Abbildung über einen Homomorphismus \(R_{\mathfrak p}\to \operatorname{Quot}(R/\mathfrak p)\) faktorisiert. Dieser hat Kern \(\mathfrak p R_{\mathfrak p}\) und faktorisiert daher über einen (injektiven) Ringhomomorphismus \(R_{\mathfrak p}/\mathfrak p R_{\mathfrak p} = \operatorname{Quot}(R/\mathfrak p)\).
Man kann nun direkt zeigen, dass dieser Homomorphismus auch surjektiv ist. Alternativ betrachte man die Abbildung \(R\to R_{\mathfrak p}\to R_{\mathfrak p}/\mathfrak p R_{\mathfrak p}\). Der Kern dieser Abbildung ist \(\mathfrak p\) (offenbar liegt \(\mathfrak p\) im Kern, und alle Elemente \(\not\in \mathfrak p\) werden auf Einheiten abgebildet). Wir erhalten daher eine Abbildung \(R/\mathfrak p\to R_{\mathfrak p}/\mathfrak p R_{\mathfrak p}\), die auf den Quotientenkörper \(\operatorname{Quot}(R/\mathfrak p)\) fortgesetzt werden kann. Es ist mehr oder weniger klar, dass die beiden Abbildungen zueinander invers sind (soll heißen: Sie sollten sich das jetzt überlegen).
Zu jedem \(f\in R\), \(\mathfrak p\in \operatorname{Spec}R\), bezeichnen wir mit \(f(\mathfrak p)\) das Bild von \(f\) in \(\kappa (\mathfrak p)\). In dieser Weise kann man die Elemente von \(f\) als Funktionen auf \(\operatorname{Spec}R\) auffassen. Zum Beispiel ist \(f(\mathfrak p)=0\) äquivalent zu \(f\in \mathfrak p\). Damit können wir
als die »Nullstellenmenge« oder»Verschwindungsmenge« von \(f\) und allgemeiner
als den Ort, wo alle Elemente von \(\mathfrak a\) gleichzeitig verschwinden betrachten. Entsprechend ist
die (offene) Teilmenge der Punkte, wo \(f\) nicht den Wert \(0\) hat.