2.2 Einschub: Topologische Räume
Ein grundlegender Bestandteil unserer Vorstellung von »geometrischen Objekten« ist es, Aussagen darüber treffen zu können, ob zwei Punkte nahe beieinander liegen, oder nicht. Besonders direkt spiegelt sich das in einem metrischen Raum wider, d.h., einer Menge \(X\) zusammen mit einer Metrik, oder Abstandsfunktion, \(d\colon X\times X\to \mathbb R_{\ge 0}\), die symmetrisch ist (\(d(x, y)=d(y, x)\)), für die \(d(x, y)=0\) genau dann gilt, wenn \(x=y\), und die die Dreiecksungleichung
erfüllt. Ein wichtiges Beispiel sind die Räume \(\mathbb R^n\) mit der Metrik \(d(x, y) := \lVert x-y \rVert \), wobei \(\lVert -\rVert \) die euklidische Norm bezeichnet:
Für unsere Zwecke ist dieser Begriff allerdings nicht geeignet, da auf den Räumen, die wir betrachten werden, eine geeignete Metrik nicht existiert. Ein schwächerer/allgemeinerer Begriff ist der des topologischen Raumes. Die Ausgangsüberlegung für dessen Definition besteht aus den folgenden beiden Punkten:
Die Frage, ob eine Abbildung stetig ist, hängt eng mit der Ausgangsfrage zusammen, wann Punkte nahe beieinander liegen. (Denken Sie an das \(\epsilon \)-\(\delta \)-Kriterium für Stetigkeit von Abbildungen \(\mathbb R^n\to \mathbb R^m\).)
Sei \(f\colon \mathbb R^n\to \mathbb R^m\) eine Abbildung. Dann gilt: \(f\) ist genau dann stetig, wenn für alle offenen 1 Teilmengen \(V\subseteq R^m\) das Urbild \(f^{-1}(V)\) eine offene Teilmenge von \(\mathbb R^n\) ist. Um den Begriff der Stetigkeit zu definieren, müssen wir also nur wissen, welche Teilmengen offen sind. Genauere Informationen über die Metrik sind nicht erforderlich.
Der Begriff des topologischen Raums formalisiert gewisse Mindestanforderungen an ein System von offenen Mengen, die wesentlich allgemeinere »Räume« zulassen als die oben betrachteten metrischen Räume, in denen aber noch eine (wenigstens rudimentäre) geometrische Struktur vorhanden ist und für die man sinnvoll über stetige Abbildungen sprechen kann.
Ein topologischer Raum ist eine Menge \(X\) zusammen mit einer Familie \(\mathcal O\) von Teilmengen von \(X\), so dass gilt:
\(\emptyset \in \mathcal O\), \(X\in \mathcal O\),
Ist \(I\) eine Menge und sind \(U_i\in \mathcal O\), \(i\in I\), so gilt \(\bigcup _{i\in I}U_i\in \mathcal O\).
Ist \(I\) eine endliche Menge und sind \(U_i\in \mathcal O\), \(i\in I\), so gilt \(\bigcap _{i\in I}U_i\in \mathcal O\).
Wir nennen eine Teilmenge \(U\subseteq X\) offen, wenn \(U\in \mathcal O\) ist.
Die Familie \(\mathcal O\) wird auch als eine Topologie auf \(X\) bezeichnet. Ist \(X\) eine Menge und sind \(\mathcal O\), \(\mathcal O'\) Topologien auf \(X\), so nennen wir \(\mathcal O\) feiner als \(\mathcal O'\) (und dementsprechend \(\mathcal O'\) gröber als \(\mathcal O\)), wenn \(\mathcal O'\subseteq \mathcal O\). In der Regel sprechen wir einfach von dem topologischen Raum \(X\) und erwähnen die Familie \(\mathcal O\) nicht eigens.
Äquivalent kann man die Stetigkeit von \(f\colon X\to Y\) dadurch charakterisieren, dass das Urbild jeder abgeschlossenen Teilmenge von \(Y\) eine abgeschlossene Teilmenge von \(X\) ist.
Genau wie man zwischen Vektorräumen normalerweise nur lineare Abbildungen (mit anderen Worten: Vektorraumhomomorphismen) betrachtet, betrachtet man zwischen topologischen Räumen typischerweise nur stetige Abbildungen. In der Sprache der Kategorien (Abschnitt 3.1) sind stetige Abbildungen die Morphismen in der Kategorie der topologischen Räume. Eine stetige Abbildung \(X\to Y\) zwischen topologischen Räumen, die eine stetige Umkehrabbildung besitzt, nennt man einen Homöomorphismus. Im Sinne von Definition 3.3 können wir also sagen: Ein Homöomorphismus ist ein Isomorphismus in der Kategorie der topologischen Räume. Ein Homöomorphismus ist, weil er eine Umkehrabbildung besitzt, notwendigerweise bijektiv. Aber nicht jede bijektive Abbildung zwischen topologischen Räumen ist ein Homöomorphismus! (Überlegen Sie sich ein Beispiel …, eventuell lohnt es sich, vorher noch Beispiel 2.22 anzuschauen.)
Sei \(X\) ein metrischer Raum, zum Beispiel \(X=\mathbb R\) mit der euklidischen Metrik. Mit der obigen Definition offener Mengen wird \(X\) zu einem topologischen Raum. Die stetigen Abbildungen metrischer Räume im »üblichen« Sinne sind dann genau die stetigen Abbildungen im Sinne der vorherigen Definition.
Sei \(X\) eine Menge. Die diskrete Topologie ist die Topologie, in der alle Teilmengen von \(X\) offen sind.
Sei \(X\) eine Menge. Die chaotische Topologie (oder Klumpentopologie) ist die Topologie, in der \(\emptyset \) und \(X\) die einzigen offenen Teilmengen von \(X\) sind.
Ein topologischer Raum \(X\) heißt quasi-kompakt (oder überdeckungskompakt), wenn für jede Familie \(U_i\), \(i\in I\), von offenen Teilmengen von \(X\) mit \(X=\bigcup _{i\in I} U_i\) gilt: Es gibt eine endliche Teilmenge \(I'\subseteq I\) mit \(X=\bigcup _{i\in I'}U_i\).
Ein topologischer Raum \(X\) heißt Hausdorffsch, wenn für alle \(x, y\in X\) mit \(x\ne y\) offene Teilmengen \(U, V\subseteq X\) existieren mit \(x\in U\), \(y\in V\), \(U\cap V=\emptyset \).
Jeder metrische Raum ist Hausdorffsch. Eine Teilmenge \(Z\subseteq \mathbb R^n\) ist genau dann überdeckungskompakt, wenn sie abgeschlossen und beschränkt ist.
Sei \(X\) ein topologischer Raum und sei \(Z\) eine Teilmenge von \(X\). Genau dann ist \(Z\) eine abgeschlossene Teilmenge von \(X\), wenn \(Z=\overline{Z}\) gilt.
Der Abschluss des offenen Intervalls \((a,b)\) in \(\mathbb R\) (\(a {\lt} b\)) ist das abgeschlossene Intervall \([a, b]\). Der Abschluss von \(\mathbb Q\) in \(\mathbb R\) ist \(\mathbb R\).
Literatur zum Thema topologische Räume: Es gibt viele Bücher über (elementare) Topologie und Sie könnten das erste Kapitel in
K. Jänich, Topologie, Springer, 8. Aufl., 2005.
https://doi.org/10.1007/b138142
anschauen. Aber für die Vorlesung Algebra 2 ist das schon übertrieben – uns reichen erstmal die einfachsten Grundlagen. Wenn Sie zusätzlich zum Skript eine weitere Quelle hinzuziehen möchten, würde ich daher eines der gängigen Analysis-Bücher empfehlen, zum Beispiel
O. Forster, Analysis 2, Vieweg+Teubner, 9. Aufl., 2010.
https://doi.org/10.1007/978-3-8348-8103-8
Kapitel I §1.
H. Heuser, Lehrbuch der Analysis Teil 2, Springer, 14. Aufl., 2008.
Kapitel XIX.