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E.1 Ringe

E.1.1 Definition, Ideale, Polynomring

Definition E.1
  1. Ein Ring ist eine Menge \(R\) zusammen mit Verknüpfungen \(+\colon R\times R\to R\) (Addition) und \(\cdot \colon R\times R\to R\) (Multiplikation), so dass gilt:

    1. \((R, +)\) ist eine kommutative Gruppe,

    2. die Multiplikation \(\cdot \) ist assoziativ,

    3. es gelten die Distributivgesetze \(a(b+c) = a\cdot b + a\cdot c\) und \((a+b)c = a\cdot c + b\cdot c\) für alle \(a,b,c\in R\).

  2. Ist die Multiplikation von \(R\) kommutativ, so nennt man \(R\) einen kommutativen Ring.

  3. Wenn die Multiplikation von \(R\) ein neutrales Element besitzt, so wird dieses mit \(1\) bezeichnet, und man nennt \(R\) einen Ring mit Eins.

Wenn nichts anderes gesagt wird, dann verstehen wir in diesem Skript unter einem Ring immer einen Ring mit Eins.

Definition E.2

Sei \(R\) ein Ring. Ein Element \(a\in R\) heißt eine Einheit, wenn \(a\) ein multiplikatives Inverses besitzt, d.h., wenn \(b\in R\) existiert mit \(ab=ba=1\). Die Menge aller Einheiten von \(R\) bildet bezüglich der Multiplikation eine Gruppe, die wir die Einheitengruppe oder multiplikative Gruppe von \(R\) nennen und mit \(R^\times \) bezeichnen.

Definition E.3

Seien \(R\), \(S\) Ringe. Ein Ringhomomorphismus von \(R\) nach \(S\) ist eine Abbildung \(f\colon R\to S\), so dass gilt:

  1. für alle \(x,y\in R\) ist \(f(x+y) = f(x) + f(y)\),

  2. für alle \(x,y\in R\) ist \(f(xy) = f(x) f(y)\),

  3. es gilt \(f(1)=1\).

Ein Ringisomorphismus ist ein Ringhomomorphismus, der einen Umkehrhomomorphismus besitzt, äquivalent: ein bijektiver Ringhomomorphismus. Ein Unterring eines Rings \(R\) ist eine Teilmenge \(S\), die eine Untergruppe bezüglich der Addition ist, abgeschlossen ist unter der Multiplikation und die \(1\) auf \(R\) enthält. Die Inklusion \(S\to R\) ist dann ein injektiver Ringhomomorphismus.

Definition E.4

Sei \(\varphi \colon R \rightarrow R^\prime \) ein Ringhomomorphismus. Dann heißen \(\operatorname{Im}f := f(R)\) das Bild, und \(\operatorname{Ker}f := f^{-1}(\{ 0\} )\) der Kern des Ringhomomorphismus \(f\).

Definition E.5

Sei \(R\) ein Ring. Eine Teilmenge \(\mathfrak a\subseteq R\) heißt Ideal von \(R\), falls \(\mathfrak a\) eine Untergruppe von \((R, +)\) ist und falls für alle \(a\in \mathfrak a\) und \(x\in R\) gilt: \(xa\in \mathfrak a\) und \(ax \in \mathfrak a\).

Ist \(f\colon R\to S\) ein Ringhomomorphismus, so ist \(\operatorname{Ker}(f)\) ein Ideal von \(R\). Der Durchschnitt von Idealen eines Rings \(R\) ist ein Ideal. Ist \(M\subseteq R\) eine Teilmenge, so nennen wir den Durchschnitt aller Ideale, die \(M\) enthalten, das von \(M\) erzeugte Ideal und bezeichnen dieses mit \((M)\). Ist \(R\) kommutativ, so gilt \((x_1, \dots , x_n):=(\{ x_1, \dots , x_n\} ) = \left\{ \sum _{i=1}^n a_ix_i; a_i\in R\right\} \)

Definition E.6

Sei \(R\) ein Ring. Der Polynomring \(R[X]\) über \(R\) in der Unbestimmten \(X\) ist der Ring aller Folgen \((a_i)_{i\in \mathbb N}\) mit nur endlich vielen Einträgen \(\ne 0\), mit elementweiser Addition und der Multiplikation \((a_i)_i \cdot (b_i)_i = \left( \sum _{j+k=i} a_jb_k \right)_i\). Dies ist ein kommutativer Ring mit \(1 = (1,0,0,\dots )\) (und \(0 = (0,0,\dots )\)). Die Elemente von \(R[X]\) heißen Polynome.

Wir setzen \(X:= (0,1,0,0,\dots )\) und können dann jedes Element in eindeutiger Weise als \(\sum _{i\ge 0} a_iX^i\) schreiben (fast alle \(a_i = 0\)).

Die Abbildung \(R\rightarrow R[X]\), \(a\mapsto (a, 0, 0, \dots ) = aX^0 = a\cdot 1\) ist ein injektiver Ringhomomorphismus und wir fassen vermöge dieses Homomorphismus Elemente von \(R\) als Elemente von \(R[X]\) auf. Diese Elemente heißen konstante Polynome.

Allgemeiner können wir für \(n\in \mathbb N_{\ge 1}\) den Polynomring \(R[X_1, \dots , X_n]\) in den \(n\) Unbestimmten \(X_1, \dots , X_n\), oder sogar für eine beliebige Indexmenge \(I\) den Polynomring \(R[X_i,\ i\in I]\) betrachten.

Satz E.7 Einsetzungshomomorphismus

Sei \(R\) ein kommutativer Ring, \(\varphi \colon R\rightarrow S\) ein Ringhomomorphismus und \(x\in S\). Dann existiert ein eindeutig bestimmter Ringhomomorphismus \(\Phi \colon R[X] \rightarrow S\) mit \(\Phi (a) = \varphi (a)\) für alle \(a\in R\) und \(\Phi (X) = x\), nämlich

\[ \sum _i a_iX^i \mapsto \sum _i \varphi (a_i)x^i. \]

Definition E.8

Sei \(R\) ein kommutativer Ring, \(f= \sum _{i=0}^N a_iX^i \in R[X]\) mit \(a_N\ne 0\). Dann heißt \(a_N\) der Leitkoeffizient von \(f\) und \(N\) der Grad von \(f\), in Zeichen \(\deg f\). Das Element \(a_0\) heißt der Absolutkoeffizient (oder: das absolute Glied) von \(f\). Ein normiertes Polynom ist ein Polynom, dessen Leitkoeffizient gleich \(1\) ist.

Wir setzen formal \(\deg 0 = -\infty \).

Bemerkung E.9

Sei \(R\) ein Ring. Ist \(f\in R[X]\) ein Polynom, so erhalten wir die Abbildung \(R\to R\), \(x\mapsto f(x)\). Abbildungen dieser Form nennen wir Polynomfunktionen. Die Polynomfunktionen bilden einen Unterring des Rings \(\operatorname{Abb}(R, R)\) (siehe Beispiel 15.3).

Die Abbildung, die \(f\in R[X]\) abbildet auf die zugehörige Polynomfunktion ist ein surjektiver Ringhomomorphismus vom Polynomring \(R[X]\) auf den Ring der Polynomfunktionen \(R\to R\), der aber im allgemeinen nicht injektiv ist. Ist \(R\) ein Körper mit unendlich vielen Elementen, so ist dieser Ringhomomorphismus ein Isomorphismus.

E.1.2 Integritätsringe, euklidische Ringe, Hauptidealringe, faktorielle Ringe

E.1.3 Integritätsringe

Definition E.10

Ein kommutativer Ring \(R\) heißt Integritätsring (oder Integritätsbereich), wenn \(R\ne \{ 0 \} \) und für alle \(x, y\in R\) mit \(xy=0\) gilt: \(x=0\) oder \(y=0\).

Lemma E.11

Sei \(R\) ein kommutativer Ring und seien \(f,g\in R[X]\). Dann gilt:

  1. \(\deg (f+g) \le \max (\deg f, \deg g)\), und

  2. \(\deg (fg) \le \deg f + \deg g\), und falls \(R\) ein Integritätsbereich ist, so gilt sogar die Gleichheit.

Korollar E.12

Sei \(R\) ein Integritätsring. Dann ist auch \(R[X]\) ein Integritätsring. Es gilt \(R[X]^\times = R^\times \).

Definition E.13

Sei \(R\) ein Integritätsring. Seien \(a,b\in R\).

  1. Wir sagen, \(a\) sei ein Teiler von \(b\) (in Zeichen \(a\, |\, b\)), falls \(c\in R\) existiert mit \(ac=b\). Andernfalls schreiben wir \(a\nmid b\).

  2. Wir nennen \(a\), \(b\) zueinander assoziiert, falls \(c\in R^\times \) existiert mit \(ac=b\).

Lemma E.14

Seien \(R\) ein Integritätsring und \(a,b\in R\). Dann gilt

  1. \(a\, |\, b \Leftrightarrow b \in (a) \Leftrightarrow (b) \subseteq (a)\),

  2. \(a\), \(b\) assoziiert \(\Leftrightarrow (a\, |\, b \text{ und } b\, |\, a) \Leftrightarrow (a) = (b)\).

Definition E.15

Ein Integritätsring \(R\) heißt euklidischer Ring, falls eine Abbildung

\[ \delta \colon R\setminus \{ 0\} \rightarrow \mathbb N\qquad \text{(\inquotes{Gradabbildung})} \]

existiert, so dass für alle \(a,b \in R\), \(b\ne 0\), (nicht notwendig eindeutig bestimmte) Elemente \(q, r\in R\) existieren, so dass

\[ a = qb + r \]

und \(r = 0\) oder \(\delta (r) {\lt} \delta (b)\) ist.

Beispiel E.16
  1. Der Ring \(\mathbb Z\) ist euklidisch, als Gradfunktion können wir den Absolutbetrag verwenden: \(\delta (a) = \lvert a\rvert \).

  2. Sei \(K\) ein Körper. Dann ist der Polynomring \(K[X]\) mit der Gradfunktion \(\delta (f) = \deg (f)\) ein euklidischer Ring.

Definition E.17

Ein Ideal \(\mathfrak a\) in einem Ring \(R\) heißt Hauptideal, wenn ein Element \(a\in R\) existiert, so dass \(\mathfrak a = (a) := \{ xa ;\ x\in R\} \).

Ein Integritätsring \(R\) heißt Hauptidealring, wenn jedes Ideal in \(R\) ein Hauptideal ist.

Satz E.18

Jeder euklidische Ring ist ein Hauptidealring. Insbesondere sind \(\mathbb Z\) und der Polynomring \(K[X]\) in einer Unbestimmten über einem Körper \(K\) Hauptidealringe.

Definition E.19

Sei \(R\) ein Integritätsring.

  1. Ein Element \(p\in R\setminus (R^\times \cup \{ 0\} )\) heißt irreduzibel, falls für alle \(a,b\in R\) mit \(p=ab\) gilt: \(a\in R^\times \) oder \(b\in R^\times \).

  2. Ein Element \(p\in R\setminus (R^\times \cup \{ 0\} )\) heißt prim (oder Primelement), falls für alle \(a,b\in R\) mit \(p\, |\, ab\) gilt: \(p\, |\, a\) oder \(p\, |\, b\).

Satz E.20

Sei \(R\) ein Integritätsring. Ist \(p\in R\) prim, so ist \(p\) irreduzibel. Ist \(R\) ein Hauptidealring, so gilt auch die Umkehrung.

Satz E.21

Sei \(R\) ein Hauptidealring. Dann lässt sich jedes Element aus \(R\setminus (R^\times \cup \{ 0\} )\) als Produkt von Primelementen schreiben.

Lemma E.22

Sei \(R\) ein Integritätsring, seien \(p_1,\dots , p_r\in R\) prim und seien \(q_1,\dots , q_s\in R\) irreduzibel. Gilt

\[ p_1 \cdot \cdots \cdot p_r = q_1 \cdot \cdots \cdot q_s, \]

so gilt \(r=s\) und nach einer eventuellen Umnummerierung der \(q_i\) gilt für alle \(i=1, \dots , r\): Es gibt \(\epsilon _i\in R^\times \) mit \(p_i = \epsilon _i q_i\).

Definition E.23

Ein Integritätsring \(R\) heißt faktoriell, wenn sich jedes Element aus \(R\setminus (R^\times \cup \{ 0\} )\) als Produkt von Primelementen schreiben lässt.

Man sagt in der Situation dieser Definition auch, in \(R\) gelte die »eindeutige Zerlegung in Primfaktoren«.

Satz E.24

Sei \(R\) ein Integritätsring. Dann sind äquivalent:

  1. Der Ring \(R\) ist faktoriell.

  2. Jedes Element aus \(R\setminus (R^\times \cup \{ 0\} )\) lässt sich als Produkt von irreduziblen Elementen schreiben, und jedes irreduzible Element von \(R\) ist prim.

Beispiel E.25

Sei \(K\) ein Körper. Nach dem Gezeigten ist der Polynomring \(R=K[X]\) faktoriell. Es gilt \(R^\times = K^\times \) und wir erhalten: Jedes Polynom \(f\in K[X]\), \(f\ne 0\), lässt sich schreiben als Produkt \(f = u f_1\cdot \cdots \cdot f_r\), wobei \(u\in K^\times \), \(f_i\in K[X]\) irreduzibel und normiert.

Dabei ist \(u\) eindeutig bestimmt (\(u\) ist der Leitkoeffizient von \(f\)), und die \(f_i\) sind eindeutig bestimmt bis auf ihre Reihenfolge. (Da die \(f_i\) irreduzibel sind, gilt \(\deg f_i {\gt} 0\).)

Nullstellen von Polynomen

Sei \(K\) ein Körper.

Definition E.26

Sei \(f\in K[X]\). Ein Element \(\alpha \in K\) heißt Nullstelle von \(f\), falls \(f(\alpha ) = 0\).

Satz E.27

Ein Element \(\alpha \in K\) ist genau dann Nullstelle eines Polynoms \(f\in K[X]\setminus \{ 0\} \), wenn \(X-\alpha \) das Polynom \(f\) teilt. Insbesondere sehen wir, dass ein Polynom vom Grad \(n\) höchstens \(n\) verschiedene Nullstellen haben kann.

Ist \(\alpha \) eine Nullstelle des Polynoms \(f\), und gilt \((X-\alpha )^m|f\), aber \((X-\alpha )^{m+1}|f\), so sagen wir, \(\alpha \) sei eine Nullstelle der Vielfachheit \(m\) und schreiben \(\operatorname{mult}_\alpha (f) := m\). Wir sagen, ein Polynom \(f\in K[X]\setminus \{ 0\} \) zerfalle vollständig in Linearfaktoren, wenn \(f\) Produkt von linearen Polynomen (d.h. von Polynomen vom Grad \(1\)) ist.

Definition E.28

Ein Körper \(K\) heißt algebraisch abgeschlossen, wenn jedes Polynom in \(K[X]\setminus K\) eine Nullstelle besitzt.

Theorem E.29 Fundamentalsatz der Algebra

Der Körper \(\mathbb C\) der komplexen Zahlen ist algebraisch abgeschlossen. (Ohne Beweis)

Der Quotientenkörper eines Integritätsrings

Sei \(R\) ein Integritätsring, und \(M = R \times (R\setminus \{ 0\} )\). Wir betrachten die folgende Äquivalenzrelation \(\sim \) auf \(M\):

\[ (a,b) \sim (c,d) \quad \Leftrightarrow \quad ad = bc. \]

Satz E.30

Sei \(K:= \left.M\middle /\sim \right.\). Wir schreiben \(\frac ab\) für die Äquivalenzklasse eines Elementes \((a,b)\in M\). Es gilt dann also

\[ \frac ab = \frac cd \quad \Leftrightarrow \quad ad = bc. \]

Dann ist \(K\) mit den Verknüpfungen

\[ \frac ab + \frac cd = \frac{ad + bc}{bd}\qquad \text{und}\qquad \frac ab\cdot \frac cd = \frac{ac}{bd} \]

ein Körper, der sogenannte Quotientenkörper von \(R\).

Die Abbildung \(R\rightarrow K\), \(a\mapsto \frac a1\) ist ein injektiver Ringhomomorphismus. Man schreibt oft \(a\) statt \(\frac a1\) und fasst \(R\) als Teilmenge von \(K\) auf.

Determinanten über Ringen

Sei \(R\) ein kommutativer Ring. Wir bezeichnen mit \(M_{n}(R)\) die Menge aller \(n\times n\)-Matrizen mit Einträgen in \(R\). Mit der üblichen Addition und Multiplikation von Matrizen ist dies wieder ein (im allgemeinen nicht-kommutativer) Ring. Mit der Leibnizformel definieren wir die Determinante von quadratischen Matrizen in \(M_n(R)\).

Satz E.31

Sei \(R\) ein kommutativer Ring. Seien \(A,B\in M_{n}(R)\). Dann gilt \(\det (AB) = \det (A)\det (B)\) (in \(R\)).

Satz E.32

Sei \(R\) ein kommutativer Ring. Sei \(A\in M_{n}(R)\). Es existiert genau dann eine Matrix \(B\in M_{n}(R)\) mit \(AB=BA=E_n\) (also ein multiplikatives Inverses von \(A\) in dem Ring \(M_{n}(R)\)), wenn \(\det (A)\in R^\times \) ist.

In der Vorlesung haben wir diese Sätze nur im Fall eines Integritätsrings \(R\) bewiesen. In diesem Fall ist \(M_n(R)\) ein Unterring des Matrizenrings \(M_n(K)\) über dem Quotientenkörper \(K\) von \(R\) und die beiden Sätze folgen leicht aus der Theorie der Determinante über Körpern.