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E.4 Quotienten und Universalkonstruktionen

In der Zusammenfassung behandeln wir die Quotientenkonstruktionen in einer etwas anderen Reihenfolge als in der Vorlesung und beginnen mit dem grundlegenden Fall der Gruppe.

E.4.1 Der Quotient einer Gruppe nach einem Normalteiler

Seien \(G\) eine Gruppe und \(H\) eine Untergruppe.

Definition E.52
  1. Für \(g\in G\) heißt \(gH = \{ gh;\ h\in H\} \) die Linksnebenklasse von \(g\) bezüglich \(H\), und \(Hg: = \{ hg;\ h\in H\} \) die Rechtsnebenklasse von \(g\) bezüglich \(H\).

  2. Die Menge der Linksnebenklassen von \(H\) in \(G\) wird mit \(\left.G\middle /H\right.\) bezeichnet. Die Menge der Rechtsnebenklassen bezeichnen wir mit \(H\backslash G\).

Die Linksnebenklassen von \(H\) in \(G\) sind genau die Äquivalenzklassen bezüglich der Äquivalenzrelation

\[ g\sim g^\prime \quad \Longleftrightarrow \quad g^{-1}g^\prime \in H. \]

Insbesondere gilt für \(g,g^\prime \in G\) entweder \(gH = g^\prime H\) oder \(gH\cap g^\prime H=\emptyset \). Sind \(gH\), \(g^\prime H\) Linksnebenklassen, so ist die Abbildung \(x\mapsto g^\prime g^{-1} x\) eine Bijektion \(gH\to g^\prime H\). Entsprechende Aussagen gelten für Rechtsnebenklassen. Als Folgerung erhalten wir:

Satz E.53 Lagrange

Sei \(G\) eine endliche Gruppe und \(H\subseteq G\) eine Untergruppe. Dann gilt

\[ \# G = \# H\, \cdot \, \# (\left.G\middle /H\right.). \]

Insbesondere ist \(\# H\) ein Teiler von \(\# G\).

Definition E.54

Sei \(G\) eine Gruppe. Eine Untergruppe \(H\subseteq G\) heißt Normalteiler, wenn für alle \(g\in H\) gilt, dass \(gH=Hg\).

Ist \(f\colon G\to G^\prime \) ein Gruppenhomomorphismus, dann ist \(\operatorname{Ker}(f)\) ein Normalteiler von \(G\). Umgekehrt ist auch jeder Normalteiler \(H\subseteq \) der Kern eines geeigneten Gruppenhomomorphismus, wie die Konstruktion des Quotienten \(\left.G\middle /H\right.\) zeigt.

Definition E.55 Quotient einer Gruppe nach einem Normalteiler

Seien \(G\) eine Gruppe und \(H\subseteq G\) ein Normalteiler. Dann ist die Abbildung

\[ \left.G\middle /H\right.\times \left.G\middle /H\right.\to \left.G\middle /H\right.,\quad (gH, g^\prime H)\mapsto gg^\prime H \]

wohldefiniert und definiert auf \(\left.G\middle /H\right.\) die Struktur einer Gruppe, die man als den Quotienten von \(G\) nach \(H\) bezeichnet.

Für Gruppen \(G, G^\prime \) bezeichnen wir mit \(\operatorname{Hom}(G, G^\prime )\) die Menge der Gruppenhomomorphismen \(G\to G^\prime \).

Die beiden Teile des folgenden Satz formulieren in leicht unterschiedlicher, aber im wesentlichen äquivalenter Weise die Charakterisierung des Quotienten durch seine »universelle Eigenschaft«, eine Charakterisierung, die oft nützlicher ist als die explizite Konstruktion.

Satz E.56 Homomorphiesatz für Gruppen

Sei \(G\) eine Gruppe und \(H\subseteq G\) ein Normalteiler. Sei \(\pi \colon G\to \left.G\middle /H\right.\) die kanonische Projektion auf den Quotienten. Sei \(T\) eine Gruppe und \(f\colon G\to T\) ein Gruppenhomomorphismus.

  1. (Universelle Eigenschaft des Quotienten) Wenn \(H\subseteq \operatorname{Ker}f\) gilt, dann existiert ein eindeutig bestimmter Homomorphismus \(\varphi \colon \left.G\middle /H\right.\rightarrow T\) mit \(\varphi \circ \pi = f\).

  2. Existiert \(\varphi \) mit \(\varphi \circ \pi = f\), so folgt \(H\subseteq \operatorname{Ker}f\). Sind \(f\) mit \(H\subseteq \operatorname{Ker}f\) und \(\varphi \) wie in (1), so gilt: \(\operatorname{Im}\varphi = \operatorname{Im}f\). Die Abbildung \(\varphi \) ist genau dann injektiv wenn \(H=\operatorname{Ker}f\) gilt, genauer gilt stets \(\operatorname{Ker}\varphi = \left.\operatorname{Ker}(f)\middle /H\right.\).

E.4.2 Der Quotient eines Vektorraums nach einem Untervektorraum

Seien \(K\) ein Körper und \(V\) ein Vektorraum.

Definition E.57

Sei \(U\subseteq V\) ein Untervektorraum. Die abelsche Gruppe \(\left.V\middle /U\right.\) (bezüglich der Addition) wird mit der Abbildung

\[ K\times \left.V\middle /U\right.\to \left.V\middle /U\right.,\quad (a, v+U)\mapsto av+U, \]

als Skalarmultiplikation zu einem \(K\)-Vektorraum, dem sogenannten Quotienten des Vektorraums \(V\) nach dem Untervektorraum \(U\).

Die Aussagen von Satz E.56 gelten genau analog auch in der Vektorraumsituation. Es folgt, dass für endlichdimensionale Vektorräume \(V\) gilt, dass \(\dim (U) + \dim (\left.V\middle /U\right.) = \dim (V)\). Genauer gilt (auch im allgemeinen Fall): Ist \(W \subseteq V\) ein Komplement von \(U\), so ist die Einschränkung \(W \to \left.V\middle /U\right.\) der kanonischen Projektion auf \(W\) ein Isomorphismus.

E.4.3 Der Quotient eines Rings nach einem Ideal

Definition E.58

Seien \(R\) ein kommutativer Ring und \(\mathfrak a\subset R\) ein Ideal. Die abelsche Gruppe \(\left.R\middle /\mathfrak a\right.\) (bezüglich der Addition) wird mit der Abbildung

\[ \left.R\middle /\mathfrak a\right.\times \left.R\middle /\mathfrak a\right.\to \left.R\middle /\mathfrak a\right.,\quad (x + \mathfrak a, y+\mathfrak a)\mapsto xy+\mathfrak a, \]

als Multiplikation zu einem kommutativen Ring, dem sogenannten Quotienten des Rings \(R\) nach dem Ideal \(\mathfrak a\).

Die Aussagen von Satz E.56 gelten genau analog auch in der Situation von Ringen.

Wichtige Beispiele sind die Restklassenringe \(\left.\mathbb Z\middle /n\right.\). Den Ring \(K[f]\) für einen Endomorphismus \(f\) können wir mit dem Quotienten \(\left.K[X]\middle /(\operatorname{minpol}_f)\right.\) identifizieren.

Satz E.59 Chinesischer Restsatz

Seien \(R\) ein Ring und \(a_1, \dots , a_r\in R\) Elemente, so dass \((a_i, a_j)=R\) für alle \(i\ne j\). Sei \(a = a_1\cdot \cdots \cdot a_r\). Dann ist der von den kanonischen Projektionen \(R\to \left.R\middle /(a_i)\right.\) induzierte Homomorphismus

\[ \left.R\middle /(a)\right.\longrightarrow \left.R\middle /(a_1)\right.\times \cdots \left.R\middle /(a_r)\right. \]

ein Isomorphismus.

E.4.4 Tensorprodukte von Vektorräumen

Sei \(K\) ein Körper.

Definition E.60

Seien \(V\) und \(W\) Vektorräume über \(K\). Ein Tensorprodukt von \(V\) und \(W\) über \(K\) ist ein \(K\)-Vektorraum \(T\) zusammen mit einer bilinearen Abbildung \(\beta \colon V\times W\to T\), so dass die folgende »universelle Eigenschaft« erfüllt ist:

Für jeden \(K\)-Vektorraum \(U\) und jede bilineare Abbildung \(b\colon V\times W\to U\) gibt es genau eine lineare Abbildung \(\psi \colon U\to T\), so dass \(\psi \circ \beta = b\) gilt.

Sind \(V\) und \(W\) Vektorräume über \(K\), so existiert ein Tensorprodukt von \(V\) und \(W\) über \(K\). Es ist eindeutig bestimmt bis auf eindeutigen Isomorphismus und wird mit \(V\otimes _K W\) bezeichnet. Das Bild von \((v,w)\in V\times W\) in \(V\otimes _KW\) bezeichnen wir mit \(v\otimes w\). Elemente dieser Form erzeugen den Vektorraum \(V\otimes _KW\), aber in aller Regel hat nicht jedes Element von \(V\otimes _KW\) diese Form!

Sind \(f\colon V\to V^\prime \) und \(g\colon W\to W^\prime \) Homomorphismen, so existiert ein eindeutig bestimmter Homomorphismus

\[ f\otimes g\colon V\otimes _KW \to V^\prime \otimes _KW^\prime ,\quad v\otimes w\mapsto f(v)\otimes g(w). \]

Diese Konstruktion ist kompatibel mit der Verkettung von Homomorphismen.

In ähnlicher Weise kann man das Tensorprodukt \(V_1\otimes _K\cdots \otimes _KV_r\) von \(K\)-Vektorräumen \(V_1, \dots , V_r\) definieren (und konstruieren). Es erfüllt eine entsprechende universelle Eigenschaft für multilineare Abbildungen \(V_1\times \cdots \times V_r\to U\).

Satz E.61 Tensorprodukte und direkte Summen

Seien \(K\) ein Körper, \(V\) und \(W_i\), \(i\in I\), Vektorräume über \(K\). Dann hat man einen kanonischen Isomorphismus

\[ V\otimes _K\bigoplus _{i\in I} W_i \cong \bigoplus _{i\in I} V\otimes _KW_i,\quad v\otimes (w_i)_{i\in I}\mapsto (v\otimes w_i)_{i\in I}. \]

Insbesondere folgt: Ist \((b_i)_{i\in I}\) eine Basis von \(V\) und \((c_j)_{j\in J}\) eine Basis von \(W\), so ist \((b_i\otimes c_j)_{(i,j)\in I\times J})\) eine Basis von \(V\otimes _K W\). Im endlichdimensionalen Fall gilt also \(\dim (V\otimes _K W)=\dim (V)\dim (W)\).

Satz E.62

Seien \(K\) ein Körper, \(V\) ein \(K\)-Vektorraum und \(V^\vee = \operatorname{Hom}_K(V, K)\) sein Dualraum. Sei \(W\) ein endlichdimensionaler \(K\)-Vektorraum. Dann ist die Abbildung

\[ V^\vee \times W\to \operatorname{Hom}(V, W), \quad (\lambda , w)\mapsto (v\mapsto \lambda (v) w), \]

bilinear und die durch die universelle Eigenschaft des Tensorprodukts induzierte lineare Abbildung

\[ V^\vee \otimes W\to \operatorname{Hom}_K(V, W),\quad \lambda \otimes w\mapsto (v\mapsto \lambda (v)w), \]

ist ein Isomorphismus \(\Phi \colon V^\vee \otimes _KW\cong \operatorname{Hom}_K(V, W)\).

Ist \(V=W\) endlichdimensional, so wird unter dem Isomorphismus \(V^\vee \otimes _KV\cong \operatorname{End}_K(V)\) des Satzes die Spurabbildung identifiziert mit der Abbildung, die durch \(\lambda \otimes v\mapsto \lambda (v)\) bestimmt ist.

Erweiterung der Skalare. Ist \(K\) ein Teilkörper eines Körpers \(L\) und ist \(V\) ein \(K\)-Vektorraum, so kann der \(K\)-Vektorraum \(V\otimes _KL\) mit der Struktur eines \(L\)-Vektorraums versehen werden. Aus einem Homomorphismus \(f\colon V\to W\) von \(K\)-Vektorräumen erhält man einen Homomorphismus \(V\otimes _KL\to W\otimes _KL\) von \(L\)-Vektorräumen, \(v\otimes a\mapsto f(v)\otimes a\).

E.4.5 Die äußere Algebra

Seien \(K\) ein Körper und \(V\) ein \(K\)-Vektorraum.

Definition E.63

Ein Vektorraum \(\Lambda \) zusammen mit einer alternierenden multilinearen Abbildung \(\beta \colon V^r\to \Lambda \) heißt \(r\)-te äußere Potenz von \(V\) über \(K\), wenn die folgende universelle Eigenschaft erfüllt ist:

Für jeden \(K\)-Vektorraum \(U\) und jede alternierende multilineare Abbildung \(b\colon V^r \to U\) gibt es genau eine lineare Abbildung \(\psi \colon U\to \Lambda \), so dass \(\psi \circ \beta = b\) gilt.

Die \(r\)-te äußer Potenz von \(V\) existiert für jeden \(K\)-Vektorraum \(V\) und ist eindeutig bestimmt bis auf eindeutigen Isomorphismus. Wir bezeichnen sie mit \(\bigwedge \nolimits ^r V\). Das Bild von \((v_1, \dots , v_r)\in V^r\) in \(\bigwedge \nolimits ^r V\) wird mit \(v_1\wedge \cdots \wedge v_r\) bezeichnet.

Satz E.64

Seien \(V\) und \(W\) Vektorräume über \(K\), \(r\in \mathbb N\), und sei \(f\colon V\to W\) eine lineare Abbildung. Dann ist

\[ \bigwedge \nolimits ^r f\colon \bigwedge \nolimits ^r V\to \bigwedge \nolimits ^r W,\quad v_1 \wedge \cdots \wedge v_r\mapsto f(v_1)\wedge \cdots \wedge f(v_r), \]

eine lineare Abbildung. Diese Konstruktion ist kompatibel mit der Verkettung von Homomorphismen.

Satz E.65

Ist \(V\) ein endlichdimensionaler \(K\)-Vektorraum und \(b_1, \dots , b_n\) eine Basis von \(V\), dann gilt \(\dim (\bigwedge \nolimits ^r V) = \binom {n}{r}\) (insbesondere \(\bigwedge \nolimits ^r V = 0\) für \(r {\lt} 0\) und für \(r {\gt} n\)) und die Elemente \(b_{i_1}\wedge \cdots \wedge b_{i_r}\) für alle \(1\le i_1 {\lt} \cdots {\lt} i_r \le n\) bilden eine Basis von \(\bigwedge \nolimits ^r V\).

Satz E.66

Sei \(V\) ein endlichdimensionaler \(K\)-Vektorraum, \(n=\dim (V)\). Dann ist \(\dim \bigwedge \nolimits ^n V = 1\). Ist \(f\colon V\to V\) ein Endomorphismus, so ist der Endomorphismus

\[ \bigwedge \nolimits ^n f\colon \bigwedge \nolimits ^n V\to \bigwedge \nolimits ^n V,\quad v_1 \wedge \cdots \wedge v_n\mapsto f(v_1)\wedge \cdots \wedge f(v_n), \]

die Multiplikation mit \(\det (f)\).

Die äußere Algebra. Auf der direkten Summe \(\bigwedge \nolimits V:=\bigoplus _{r\in \mathbb N} \bigwedge \nolimits ^r V\) lässt sich eine Multiplikation definieren durch

\[ (v_1 \wedge \cdots \wedge v_r)\cdot (w_1 \wedge \cdots \wedge w_s) = v_1 \wedge \cdots \wedge v_r\wedge w_1 \wedge \cdots \wedge w_s. \]

Sie wird damit zu einem (nicht kommutativen) Ring, der außerdem eine \(K\)-Vektorraumstruktur trägt. Man nennt diesen Ring/Vektorraum die äußere Algebra des Vektorraums \(V\).