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C.1 Mathematische Sprechweisen, Code words

C.1.1 Begriffe

In der mathematischen Fachsprache gibt es eine ganze Menge von Wörtern, die man kennen muss, um einen mathematischen Text zu lesen, die aber nicht ein mathematisches Objekt im engeren Sinne bezeichnen und daher nicht Bestandteil einer Definition sind. Einige davon werden in diesem Abschnitt erklärt. Wenn Sie andere Wörter sehen, deren Bedeutung Sie nicht verstehen, fragen Sie nach! Einige der Wörter in der folgenden Liste haben eine mathematische Bedeutung (und werden also an geeigneter Stelle definiert). Sie befinden sich hier, weil sie auch Bestandteil der Alltagssprache sind, so dass man die präzise mathematische Bedeutung womöglich leicht vergisst (zum Beispiel: es ist ein wichtiger Unterschied, ob ein Element das kleinste Element einer partiell geordneten Menge, oder ein minimales Element ist).

Absolutterm, absolutes Glied – In einem polynomiellen Ausdruck \(a_nx^n + a_{n-1}x^{n-1} + \cdots + a_1x + a_0\) heißt \(a_0\) (also der Summand, der nicht mit einer positiven Potenz von \(x\) multipliziert wird) der Absolutterm oder das absolute Glied.

a fortiori – Dies ist Latein und bedeutet erst recht. Wenn man schon eine stärkere Aussage bewiesen hat, aber nur ein schwächeres Ergebnis im weiteren Verlauf verwenden möchte, kann man diese Sprechweise benutzen. (»Wir haben gesehen, dass \(n {\gt} 5\) ist, a fortiori ist \(n\) positiv.«)

a priori – Dies ist Latein und bedeutet von vorneherein. Der Ausdruck wird (auch) in mathematischen Texten benutzt, um etwas zu kennzeichnen, was man erwarten könnte, aber dann doch nicht eintritt. (»A priori könnte \(n\) negativ sein, aber weil … gilt, kann das nicht sein.«)

Annahme, angenommen – Auch wenn das nicht immer so strikt gesehen wird, finde ich es sinnvoll, die Wörter Annahme und angenommen (nur) dann zu verwenden, wenn man in einem Widerspruchsbeweis (siehe Abschnitt 3.7.3) die Annahme angibt, die dann zum Widerspruch geführt werden soll. Die Tatsachen, die in einem Satz vorausgesetzt werden, sollte man auch so nennen: Voraussetzungen.

im allgemeinen/in der Regel – Diese Ergänzung schiebt die Mathematikerin gerne ein, wenn eine Aussage zwar so gut wie immer wahr ist, es aber ein paar wenige Ausnahmefälle gibt: Ist \(n\) eine natürliche Zahl, dann gibt es im allgemeinen mehr als eine Bijektion \(\{ 1,\dots , n\} \to \{ 1, \dots , n\} \). (Aber für die Ausnahmefälle \(n=0\) und \(n=1\) gibt es eben nur eine einzige. Die obige Formulierung ist klarer, als zu sagen, dass es mehr als eine Bijektion \(\{ 1,\dots , n\} \to \{ 1, \dots , n\} \) geben kann; denn das ließe im Dunklen, dass es nur in ganz wenigen Fällen nicht so ist. Manchmal ist es natürlich noch besser, die Ausnahmen genau anzugeben.)

Implikation – Dies ist ein anderes Wort für Folgerung, oder genauer für den Sachverhalt, dass eine Aussage aus einer anderen folgt (»Beweisen Sie die Implikation \(A\Rightarrow B\).«).

Inklusion – Die Eigenschaft, eine Teilmenge zu sein. (»Die Inklusion \(X\subseteq Y\) ist leicht zu zeigen.«)

kleinstes, größtes, minimales, maximales Element bezüglich einer (partiellen) Ordnung – siehe Abschnitt 3.14.3.

kanonisch – Man bezeichnet ein mathematisches Objekt (oft eine Abbildung) als kanonisch, wenn es sich um die »offensichtliche« Wahl handelt. Dieser Begriff hat also keine mathematische Definition. Man könnte ihn auch umschreiben mit »so wie wir es immer machen«. Zum Beispiel nennt man die Standardbasis von \(K^n\) manchmal die kanonische Basis. Ähnlich gelagert ist die Sache mit dem Begriff natürlich, wobei man hiermit je nach Kontext auch eine mathematische Bedeutung verbindet (die Eigenschaft der Funktorialität, die wir hier nicht genauer erläutern).

Kommutatives Diagramm – Eine Abbildung zwischen Mengen \(X\) und \(Y\) schreibt man üblicherweise mit einem Pfeil: \(X\to Y\). Hat man mehrere Abbildungen, dann ist es oft übersichtlicher, alle Abbildungen zusammen mit den entsprechenden Pfeilen darzustellen, auch wenn das mehr Platz benötigt:

\begin{tikzcd} [sep=large]
    X \arrow{r}{f} \ar{d}{\varphi} & A \ar{d}{\psi} \\
    Y \ar{r}{g} & B
\end{tikzcd}
\begin{tikzcd} 
    T \arrow[bend left, drr] \arrow[bend right, ddr] \ar[dr] & &  \\
                                             & X \arrow[r] \arrow[d] & A \arrow[d]\\
                                             & Y \arrow[r] & B
\end{tikzcd}

wobei man die Namen der Abbildungen wie im linken Beispiel an die Pfeile schreiben kann. Eine solche Darstellung nennt man ein Diagramm (egal, wie viele Abbildungen darin kombiniert werden). Ein Diagramm heißt kommutativ, wenn alle Möglichkeiten, eine Abbildung von einer Menge zu irgendeiner anderen Menge in dem Diagramm als Verkettung von Abbildungen des Diagramms zu definieren, dieselbe Abbildung liefern. Im linken Beispiel heißt das also einfach, dass \(\psi \circ f = g\circ \varphi \) gelten muss. Im rechten Beispiel sind die beiden Verkettungen \(X\to B\) und die Verkettungen \(T\to A\) und \(T\to Y\) zu vergleichen. Es folgt dann, dass auch die verschiedenen Abbildungen \(T\to B\) alle übereinstimmen.

Diese Sprechweise kann man ebenso für Vektorräume und Homomorphismen von Vektorräumen, oder für Gruppen und Homomorphismen von Gruppen usw. verwenden.

Lemma – Ein Lemma ist eine mathematische Aussage, die untergeordnete Bedeutung hat, aber doch im Text ausdrücklich (und in der Regel mit einer Nummer versehen) festgehalten werden soll, damit man später darauf verweisen kann. Für den großen Überblick braucht man sich die Lemmata (so der Plural dieses griechischstämmigen Worts; Lemmas ist aber auch gebräuchlich) eher nicht zu merken. Statt von einem Lemma spricht man auch manchmal von einem Hilfssatz. Demgegenüber ist ein Satz (oder eine Proposition) und erst recht ein Theorem (manchmal auch: Lehrsatz) ein Ergebnis von großer (oder sogar überragender) Bedeutung. Ein Korollar ist ein Ergebnis, dass sich ohne große zusätzliche Arbeit aus einem bereits bewiesenen Satz (oder Theorem …) ableiten lässt.

loc.cit. – Dies ist die Abkürzung für den lateinischen Ausdruck loco citato, am angegebenen Orte, und bedeutet, dass sich die Literaturangabe auf dieselbe Quelle bezieht, die davor angegeben wurde.

Ohne Einschränkung / ohne Beschränkung der Allgemeinheit – (Abkürzung: OE beziehungsweise OBdA) Diese Floskel benutzt man um zu begründen, dass es (in einem Beweis) erlaubt ist, sich auf einen speziellen Fall zurückzuziehen. Zum Beispiel, weil die ausgeschlossenen Fälle ohnehin leicht zu erledigen sind, oder weil eine symmetrische Situation vorliegt.

paarweise – Wenn man über eine Eigenschaft spricht, die eine Menge (oder eine Familie) haben kann, meint man manchmal, dass die Eigenschaft für je zwei Elemente gelten soll, und ergänzt deshalb das Wort paarweise. Zum Beispiel sind die Zahlen 3, 5, 18 teilerfremd, denn es gibt keine natürliche Zahl \({\gt}1\), die alle drei Zahlen teilt. Aber 3 und 18 sind nicht teilerfremd, und deshalb sind 3, 5, 18 nicht paarweise teilerfremd. In ähnlicher Weise ist es ein Unterschied, ob Teilmengen einer Menge disjunkt (der Durchschnitt ist leer) oder paarweise disjunkt (der Durchschnitt von je zweien ist leer) sind. Oder ob eine Familie von Vektoren linear unabhängig, oder paarweise linear unabhängig ist. (Wenn man sagt, dass Zahlen/Objekte \(x_1\), …, \(x_n\) verschieden sein sollen, dann meint man aber in der Regel, dass sie paarweise verschieden sind, ohne das explizit dazuzusagen.)

Schubfachprinzip – Unter dem Schubfachprinzip (das manchmal noch pompöser als das Dirichletsche Schubfachprinzip bezeichnet wird) versteht man die folgende banale (aber manchmal sehr nützliche) Feststellung: Wenn man \(n\) Dinge in weniger als \(n\) Fächer legt, dann sind in mindestens einem Fach mindestens zwei Dinge. (Oder mathematischer ausgedrückt: Ist \(f\colon X\to Y\) eine Abbildung zwischen endlichen Mengen und ist \(\# X {\gt} \# Y\), dann ist \(f\) nicht injektiv. Siehe Lemma 3.63.)

trivial – Das Wort trivial wird in zwei Kontexten verwendet. Einerseits sagt man gelegentlich, ein Beweis (oder ein Ergebnis) sei trivial, wenn der Beweis sehr einfach ist. (Man sollte sich allerdings zwingen, mindestens ein zweites Mal nachzudenken, bevor man das schreibt, denn viele Fehler in mathematischen Texten verstecken sich gerade an den Stellen, wo etwas als trivial oder offensichtlich bezeichnet wird. Dann war es eben nicht als Das ist einfach. zu verstehen, sondern eher als Das sollte kein Problem sein, aber ich bin zu faul, es mir genau zu überlegen und erst recht es aufzuschreiben, und da kommt es dann leicht zu Fehlern.)

Zweitens spricht man manchmal von trivialen Objekten oder Abbildungen, meist solche, die besonders uninteressant sind: Die Gruppe \(\{ 1\} \) mit einem einzigen Element wird als die triviale Gruppe bezeichnet. Andere Beispiele: Die triviale Lösung eines homogenen linearen Gleichungssystems, die triviale Linearkombination einer Familie von Vektoren.

wohldefiniert – Man sagt, ein Begriff (oder ein mathematisches Objekt; sehr oft eine Abbildung) sei wohldefiniert, wenn die Definition zwar a priori von gewissen zusätzlichen Wahlen abhängt, diese aber letztlich keine Rolle spielen. Zum Beispiel: Wir definieren die Summe von zwei Bruchzahlen \(\frac ab\) und \(\frac cd\) als \(\frac{ad+cb}{bd}\). Um zu überprüfen, dass dies eine wohldefinierte Abbildung \(+\colon \mathbb Q\times \mathbb Q\to \mathbb Q\) liefert, müssen wir sicherstellen, dass das Ergebnis nicht davon abhängt, wie wir den Bruch \(\frac ab\) (und entsprechend \(\frac cd\)) schreiben. Da man Brüche kürzen und erweitern kann, gilt ja \(\frac ab = \frac{a^\prime }{b^\prime }\) für viele \(a^\prime \), \(b^\prime \), und die obige Vorschrift ergibt nur dann Sinn, wenn dann auch \(\frac{ad+cb}{bd} = \frac{a^\prime d+cb^\prime }{b^\prime d}\) gilt (was in der Tat der Fall ist). Die Vorschrift \(\left(\frac ab, \frac cd\right) \mapsto \frac{a+c}{b+d}\) ist dahingegen nicht wohldefiniert – wenn man einen der Brüche \(\frac ab\), \(\frac cd\) erweitert, erhält man in der Regel ein ganz anderes Ergebnis. Die Frage nach Wohldefiniertheit tritt immer dann auf, wenn sich eine Definition auf eine Äquivalenzklasse (Abschnitt 3.14.2) bezieht, aber für die Definition ein Repräsentant der Äquivalenzklasse herangezogen wird. Ein anderers Beispiel ist Definition 3.58, in der wir die Mächtigkeit einer endlichen Menge \(X\) definiert haben; dort wählt man eine Bijektion \(X\to \{ 1, \dots , n\} \) und muss wissen, dass die Zahl \(n\), die dabei auftritt, eindeutig bestimmt ist (auch wenn es natürlich in der Regel viele solche Bijektionen gibt). Sie sollten den Begriff wohldefiniert nicht verwenden, um auf andere Punkte hinzuweisen, die für die Korrektheit einer Definition erforderlich sind. (Beispiel: Wollen Sie eine Abbildung \(f\colon X\to Y\) durch eine Formel für \(f(x)\) angeben, so ist es erforderlich, dass \(f(x)\) für alle \(x\) ein Element von \(Y\) ist; dass das so ist, beschreibt man aber nicht mit dem Wort wohldefiniert.)

C.1.2 Abkürzungen.

Vor allem an der Tafel benutzt man manchmal die folgenden Abkürzungen, um etwas Zeit und Platz zu sparen:

  • gdw. – genau dann, wenn (auf Englisch: iff, if and only if)

  • IA, IS, IV – Induktionsanfang, Induktionsschritt, Induktionsvoraussetzung.

  • Kp. – Körper

  • l. u., l. a. – linear unabhängig, linear abhängig

  • OE, OBdA (s.o.), auf Englisch: WLOG – without loss of generality

  • TFAE (Englisch) – the following are equivalent, die folgenden Aussagen sind äquivalent

  • VR – Vektorraum

  • zz, gzz – zu zeigen, genügt zu zeigen (auf Englisch: ETS – enough to show)