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Inhalt

15.5 Der Quotientenkörper eines Integritätsrings

Wir wollen in diesem Abschnitt zu einem Integritätsring R einen Körper K konstruieren, der R als Unterring enthält. Unser Modell dafür ist der Fall der ganzen Zahlen Z, die als Unterring im Körper Q der rationalen Zahlen enthalten sind. Im allgemeinen Fall imitieren wir die Konstruktion der Bruchzahlen aus ganzen Zahlen.

Ein unmittelbarer Nutzen dieser Konstruktion wird für uns sein, dass wir den Begriff der Determinante auch für Matrizen über (Integritäts-)Ringen einführen können (Abschnitt 15.6) und einige der Ergebnisse der Theorie über Körpern auf den Fall von Ringen übertragen können. Im weiteren Verlauf der Vorlesung werden wir dann Determinanten von Matrizen benutzen, deren Einträge in einem Polynomring liegen, um das »charakteristische Polynom« einer Matrix zu definieren (Kapitel 16).

Wir beginnen damit, den Begriff der Äquivalenzrelation einzuführen, der in dieser Vorlesung noch an mehreren Stellen eine Rolle spielen wird. Siehe auch Abschnitt LA1.3.14.2, Definition LA1.3.67, wo dieser Begriff schon im Rahmen der Ergänzungen vorgestellt wurde.

Definition 15.64

Sei M eine Menge.

  1. Eine Relation auf M ist eine Teilmenge RM×M. (Elemente x,yM »stehen in der gegebenen Relation zueinander«, wenn (x,y)R gilt.)

  2. Eine Relation R auf M heißt Äquivalenzrelation, wenn gilt

    1. (Reflexivität) Für alle xM ist (x,x)R.

    2. (Symmetrie) Für alle x,yM ist (x,y)R genau dann, wenn (y,x)R.

    3. (Transitivität) Für alle x,y,zM mit (x,y)R, (y,z)R gilt (x,z)R.

Äquivalenzrelationen bezeichnet man oft mit dem Symbol , d.h. man schreibt dann xy statt (x,y)R. Aber auch die Symbole =, , , <, , | bezeichnen Relationen. Welche davon sind Äquivalenzrelationen?

Definition 15.65

Sei eine Äquivalenzrelation auf M. Die Teilmengen von M der Form [m]:={mM; mm} für ein mM heißen die Äquivalenzklassen bezüglich R.

Die Menge aller Äquivalenzklassen bezeichnen wir mit M/.

Zwei Äquivalenzklassen in M sind entweder disjunkt oder gleich. (Warum?)

Beispiel 15.66

Beispiele für Äquivalenzrelationen.

  1. Sei X eine Menge. Die Gleichheit von Elementen auf X definiert eine Äquivalenzrelation. Jede Äquivalenzklasse besteht aus genau einem Element von X.

  2. Sei R ein Integritätsring. Die Relation, dass zwei Elemente aus R zueinander assoziiert sind (Definition 15.33), ist eine Äquivalenzrelation. Siehe auch Bemerkung 15.54. Dort wird – mit der nun neu eingeführten Terminologie – aus jeder der Äquivalenzklassen bezüglich dieser Äquivalenzrelation genau ein Element ausgewählt. Man spricht auch von einem Vertretersystem der Äquivalenzklassen.

  3. Sei n>0 eine natürliche Zahl. Kongruenz modulo n ist eine Äquivalenzrelation. Die Menge der Äquivalenzklassen ist die zugrundeliegende Menge des Restklassenrings Z/n. Siehe Beispiel LA1.3.70 und Beispiel LA1.3.73.

Überlegen Sie sich auch Beispiele für Relationen auf einer Menge X (also Teilmengen von X×X), die keine Äquivalenzrelationen sind. Können Sie jeweils ein Beispiel finden, das genau eine der drei Bedingungen reflexiv, symmetrisch, transitiv nicht erfüllt?

Sei R ein Integritätsring, und M=R×(R{0}). Wenn Sie Schwierigkeiten haben, der folgenden Diskussion zu folgen, dann sollten Sie zuerst alles im speziellen Fall R=Z durchgehen und dabei im Hinterkopf behalten, dass das Ziel ist, den Körper Q zu konstruieren.

Wir betrachten die folgende Äquivalenzrelation auf M:

(a,b)(c,d)ad=bc.

Siehe auch Beispiel LA1.3.72.

Es ist nicht schwer zu überprüfen, dass es sich hier tatsächlich um eine Äquivalenzrelation handelt. Reflexivität und Symmetrie sind offensichtlich. Für die Transitivität seien Paare mit (a,b)(c,d) und (c,d)(e,f) gegeben. Es folgt

adf=bcf=bde,also d(afbe)=0

und weil d0 und R ein R ein Integritätsring ist, dass afbe=0. Das bedeutet genau, dass (a,b)(e,f) gilt.

Satz 15.67

Sei K:=M/ die Menge der Äquivalenzklassen. Wir schreiben ab für die Äquivalenzklasse eines Elementes (a,b)M. Es gilt dann also

ab=cdad=bc.

Dann ist K mit der Addition

ab+cd=ad+bcbd

und der Multiplikation

abcd=acbd

ein Körper, der sogenannte Quotientenkörper von R, den wir auch mit Quot(R) bezeichnen.

Die Abbildung RK, aa1 ist ein injektiver Ringhomomorphismus. Man schreibt oft a statt a1 und fasst R als Teilmenge von K auf.

Eine andere gebräuchliche Bezeichnung für den Quotientenkörper eines Integritätsrings R ist Frac(R) (als Abkürzung für die englische Bezeichnung »field of fractions«).

Beweis

Zunächst ist nachzuprüfen, dass die angegebenen Vorschriften überhaupt Abbildungen definieren, dass sie also wohldefiniert sind. Denn wir haben dabei jeweils Repräsentanten der Äquivalenzklassen benutzt, und müssen begründen, dass eine andere Wahl von Repräsentanten derselben Äquivalenzklassen dasselbe Ergebnis liefern.

Seien also ab=ab und cd=cd. Dann gilt ab=ab und cd=cd und daher

\frac{ad + bc}{bd} = \frac{ad b'd'+ bcb'd'}{bdb'd'} = \frac{a' d^' + b^' c^'}{b^' d^'}

und

acbd=acbd

Wir erhalten also tatsächlich Abbildungen + und von K×K nach K.

Die Körperaxiome sind leicht nachzurechnen, die Rechnungen laufen genauso ab, wie man die Körperaxiome für den Körper Q aus den entsprechenden Rechenregeln für ganze Zahlen beweisen würde. Wir behandeln daher nur beispielhaft einige der Axiome.

Für das Assoziativgesetz der Addition rechnen wir

(ab+cd)+ef=ad+bcbd+ef=(ad+bc)f+bdebdf=adf+bcf+bdebdf=ab+(cd+ef).

Das neutrale Element der Addition ist 01, das Negative von ab ist ab, denn

ab+ab=abbab2=01.

Das Assoziativgesetz der Multiplikation ist leicht einzusehen. Das neutrale Element der Multiplikation ist 11. Ein Element ab mit aR, bR{0} ist genau dann gleich dem Nullelement 01, wenn a=0 ist. Für a,bR{0} ist ba das multiplikative Inverse von ab. Das Distributivgesetz zu überprüfen, lassen wir als Übungsaufgabe.

Es bleibt nun noch, die Abbildung ι:RK, aa1 anzuschauen. Weil

ι(a+b)=a+b1=a1+1b1=a1+b1=ι(a)+ι(b)

und

ι(ab)=ab1=ι(a)ι(b)

und offensichtlich ι(1)=11=1K gilt, handelt es sich um einen Ringhomomorphismus. Gilt a1=b1, so folgt a1=1b, also a=b, mithin ist ι injektiv.

Der Satz zeigt, dass für jeden Integritätsring R ein injektiver Ringhomomorphismus von R in einen Körper existiert. Ist R ein Ring, der kein Integritätsring ist, kann es einen injektiven Ringhomomorphismus von R in einen Körper offenbar nicht geben.

Die zu Beginn des Beweises diskutierte Wohldefiniertheit ist eine konzeptionelle Schwierigkeit, die mit dem Begriff der Äquivalenzrelation verbunden ist. Machen Sie sich die Problematik daran bewusst, dass zum Beispiel die Vorschrift (ab,cd)a+c1 für rationale Zahlen ab,cdQ nicht wohldefiniert ist – sie definiert keine Abbildung Q×QQ. Suchen Sie andere Beispiele von wohldefinierten/nicht wohldefinierten Zuordnungsvorschriften.

Die ganzen Zahlen hat Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.

L. Kronecker

Beispiel 15.68

Der Quotientenkörper von Z ist der Körper Q der rationalen Zahlen. Hierzu ist nicht viel zu sagen, denn wir haben ja die allgemeine Konstruktion des Quotientenkörpers genau an die Regeln der üblichen Bruchrechnung angelehnt.

Beispiel 15.69

Sei K ein Körper. Der Polynomring K[X] ist, wie wir in Korollar 15.31 gesehen haben, ein Integritätsring. Sein Quotientenkörper wird mit K(X) bezeichnet und heißt der Körper der rationalen Funktionen über K (in einer Unbestimmten).

Seine Elemente sind Brüche der Form fg, wobei f und g Polynome in K[X] sind, und g0 gilt. Auch wenn g nicht das Nullpolynom sein darf, kann g natürlich Nullstellen in K haben. Ein Element von K(X) definiert daher im allgemeinen nicht durch Einsetzen von Elementen aus K eine Abbildung KK. Die Nullstellen von g sind sozusagen Polstellen, die man aus K herausnehmen müsste, um den Definitionsbereich einer solchen Abbildung zu erhalten.

Bemerkung 15.70

Sei R ein faktorieller Ring und K der Quotientenkörper von R. In Bemerkung 15.54 hatten wir die Primfaktorzerlegung eines Elements aR{0} in der Form

a=upPpvp(a)

geschrieben, wobei wir ein Vertretersystem P der Primelemente in R bis auf Assoziiertheit gewählt hatten, und die vp(a) natürliche Zahlen sind, von denen für gegebenes a höchstens endlich viele von Null verschieden sind, und wo uR× eine Einheit von R ist.

Das können wir nun auf Elemente von K× ausdehnen. Für aK× erhalten wir eine (eindeutig bestimmte) Zerlegung

a=upPpvp(a)

wo nun die vp(a)Z ganze Zahlen sind (von denen wieder alle bis auf endlich viele verschwinden) und wieder uR× ist.