2.7 Die Sylow-Sätze
Wir beginnen diesen Abschnitt mit der Beobachtung (Satz 2.76), dass jede Gruppe, deren Ordnung die Potenz einer Primzahl ist, auflösbar ist.
(Wir lassen hier den Fall \(p^0\), also den Fall der trivialen Gruppe auch zu, weil es im folgenden einige Formulierungen vereinfacht.)
Jede \(p\)-Gruppe ist auflösbar.
Wir führen Induktion nach der Gruppenordnung. Der Fall der trivialen Gruppe ist klar, sei also nun \(\# G {\gt} 1\). Wir haben schon als Folgerung aus der Klassengleichung gezeigt (Lemma 2.36), dass dann das Zentrum \(Z_G\) nicht-trivial ist. Nun ist \(Z_G\subseteq G\) ein Normalteiler und der Quotient \(G/Z_G\) ist ebenfalls eine \(p\)-Gruppe und damit nach Induktionsvoraussetzung auflösbar. Mit Lemma 2.63 folgt die Behauptung.
Wir wollen nun untersuchen, was wir über Untergruppen \(H\) einer endlichen Gruppe \(G\) sagen können, für die \(\# H\) eine Primzahlpotenz ist. Diejenigen dieser Untergruppen, für die die Potenz maximal ist, nennt man Sylow-Gruppen nach dem norwegischen Mathematiker Ludwig Sylow (1832–1918), der 1872 die Sylow-Sätze, Satz 2.78, bewies.
Mit anderen Worten ist eine \(p\)-Sylow-Untergruppe von \(G\) eine Untergruppe \(H\) von \(G\), die eine \(p\)-Gruppe ist und so dass \(\# G/H\) nicht durch \(p\) teilbar ist.
Sei \(G\) eine endliche Gruppe und sei \(p\) eine Primzahl. Wir schreiben \(\# G = p^m q\) mit \(p\nmid q\).
Für alle natürlichen Zahlen \(k\le m\), existiert eine Untergruppe \(H\subseteq G\) mit \(\# H = p^k\). Insbesondere besitzt \(G\) eine \(p\)-Sylow-Untergruppe.
Ist \(H\subseteq G\) eine Untergruppe, die eine \(p\)-Gruppe ist, und ist \(S\subseteq G\) eine \(p\)-Sylow-Gruppe von \(G\), so existiert \(g\in G\) mit \(H\subseteq gSg^{-1}\). Insbesondere gilt: Je zwei \(p\)-Sylow-Untergruppen von \(G\) sind zueinander konjugiert.
Sei \(s_p\) die Anzahl der \(p\)-Sylow-Untergruppen von \(G\). Dann gilt
\[ s_p\, |\, q\quad \text{und}\quad s_p\equiv 1 \mod p. \]
Man nennt manchmal auch die drei Teile des Satzes den ersten, zweiten bzw. dritten Sylow-Satz.
Für den Fall \(m=0\), also \(p\nmid \# G\) ist nichts zu zeigen, wir nehmen daher von vorneherein \(m {\gt} 0\) an.
zu (1). Wir führen Induktion nach \(\# G\) und betrachten die Klassengleichung (Satz 2.35) für \(G\):
Wie üblich sei hier \(x_1,\dots , x_r\) ein Vertretersystem der Konjugationsklassen von \(G\), die mehr als ein Element enthalten.
1. Fall: \(p\, |\, \# Z_G\). Nach Lemma 2.23 existiert dann ein Element \(g\in Z_G\) mit \(\operatorname{ord}(g) = p\). Weil \(g\) im Zentrum von \(G\) liegt, ist \(\langle g\rangle \subseteq G\) ein Normalteiler, und der Quotient \(G/\langle g\rangle \) hat Ordnung \(p^{m-1}q\). Er besitzt nach Induktionsvoraussetzung eine Untergruppe \(\bar{H}\) mit \(p^{k-1}\) Elementen. Sei \(\pi \colon G\to G/\langle g\rangle \) die kanonische Projektion. Dann ist \(H:=\pi ^{-1}(\bar{H})\) eine Untergruppe von \(G\), die genau \(p^k\) Elemente hat, denn es gilt \(H/\langle g\rangle \cong \bar{H}\), wie man leicht nachprüft.
2. Fall: \(p\nmid \# Z_G\). In diesem Fall folgt aus der Klassengleichung, dass wenigstens einer der Summanden \(\# (G/Z_{x_i})\) ebenfalls nicht durch \(p\) teilbar ist. Dann gilt aber \(p^k\, |\, \# Z_{x_i}\), und nach Induktionsvoraussetzung hat \(Z_{x_i}\) und damit auch \(G\) eine Untergruppe mit \(p^k\) Elementen.
zu (2). Wir betrachten die Operation von \(H\) durch Linksmultiplikation auf der Menge \(G/S\) der Nebenklassen von \(G\) nach \(S\) (wir setzen nicht voraus, dass \(S\) ein Normalteiler in \(G\) ist!), d.h. \(h\in H\) bildet \(gS\) auf \(hgS\) ab. Da \(\# (G/S) = \frac{\# G}{\# S} = q\) nicht durch \(p\) teilbar ist, aber \(H\) eine \(p\)-Gruppe ist, folgt aus Lemma 2.34, dass \(g\in G\) existiert, so dass \(hgS = gS\) für alle \(h\in H\) gilt. Das bedeutet aber gerade \(g^{-1}hg\in S\) für alle \(h\in H\) oder mit anderen Worten, dass \(H\subseteq gSg^{-1}\) ist.
zu (3). Sei nun \(X\) die Menge aller \(p\)-Sylow-Gruppen von \(G\). Nach Teil (1) wissen wir, dass \(X\ne \emptyset \) ist. Es ist klar, dass für \(g\in G\) und \(S\in X\) auch \(gSg^{-1}\) eine \(p\)-Sylow-Gruppe in \(G\) ist, denn \(\# (gSg^{-1}) = \# S\). Also operiert \(G\) durch Konjugation auf \(X\). Aus Teil (2) folgt, dass diese Operation transitiv ist, das bedeutet, dass zu \(S, S' \in X\) stets ein Element \(g\in G\) mit \(S' = gSg^{-1}\) existiert. Es gibt also nur eine einzige Bahn unter der \(G\)-Wirkung auf \(X\), und das liefert uns, wenn wir ein Element \(S\in X\) fixieren, eine Bijektion \(G/N_G(S) \to X\), die durch \(g\mapsto gSg^{-1}\) induziert wird. Hier ist \(N_G(S)\) der Stabilisator von \(S\) unter der Operation durch Konjugation – es handelt sich gerade um den Normalisator von \(S\) in \(G\),
eine Untergruppe von \(G\), die \(S\) enthält und in der \(S\) Normalteiler ist.
Weil \(S\) in \(N_G(S)\) als Untergruppe enthalten ist, folgt
Um den Beweis abzuschließen, ist noch die Aussage \(\# X \equiv 1\mod p\) zu zeigen. Wir betrachten nun die Operation von \(S\) auf \(X\) durch Konjugation; also dieselbe Wirkung wie vorher, aber eingeschränkt auf die Untergruppe \(S\). Weil \(S\) eine \(p\)-Gruppe ist, folgt aus Lemma 2.34, dass \(\# X \equiv \# (X^S) \mod p\) gilt, wobei \(X^S\) die Menge der Fixpunkte unter \(S\) ist, also die Menge derjenigen \(p\)-Sylow-Gruppen \(S'\), für die \(gS' g^{-1} = S'\) für alle \(g\in S\) gilt, mit anderen Worten, für die \(S\subseteq N_G(S')\) gilt.
Es genügt dann zu zeigen, dass \(X^S\) als einziges Element \(S\) selbst enthält. Aber wenn \(S'\in X\) mit \(S \subseteq N_G(S')\) ist, dann sind \(S\) und \(S'\) auch \(p\)-Sylow-Gruppen in \(N_G(S')\), folglich nach Teil (2) in \(N_G(S')\) zueinander konjugiert. Weil aber jedes Element des Normalisators \(N_G(S')\) die Gruppe \(S'\) in sich selbst konjugiert, folgt \(S=S'\).
Sei \(G\) eine endliche Gruppe und sei \(p\) eine Primzahl.
Jede Untergruppe von \(G\), die eine \(p\)-Gruppe ist, ist in einer \(p\)-Sylow-Untergruppe enthalten.
Eine Untergruppe \(H\) ist genau dann eine \(p\)-Sylow-Untergruppe von \(G\), wenn \(H\) eine \(p\)-Gruppe ist und es keine Untergruppe von \(G\) gibt, die eine \(p\)-Gruppe ist und \(H\) als echte Untergruppe enthält.
Hat \(G\) genau eine \(p\)-Sylow-Untergruppe \(H\), dann ist \(H\) ein Normalteiler von \(G\).
Ist \(G\) abelsch, so gibt es für jede Primzahl \(p\) genau eine \(p\)-Sylow-Gruppe in \(G\).
Wir geben einige typische Anwendungen der Sylow-Sätze.
Jede Gruppe \(G\) der Ordnung \(15\) ist zyklisch (also isomorph zu \(\left.\mathbb Z\middle /15\right.\)). Denn ist \(g\in G\), so ist \(\operatorname{ord}(g)\in \{ 1, 3, 5, 15\} \). Wir wollen zeigen, dass der Fall \(\operatorname{ord}(g)=15\) tatsächlich auftreten muss. Hat \(g\) Ordnung \(3\), so ist \(\langle g\rangle \) eine \(3\)-Sylow-Gruppe von \(G\), und ist \(\operatorname{ord}(g)=5\), dann ist \(\langle g\rangle \) eine \(5\)-Sylow-Gruppe.
Weil die Anzahl \(s_3\) der \(3\)-Sylow-Gruppen ein Teiler von \(5\) und kongruent zu \(1\) modulo \(3\) ist, folgt \(s_3=1\). Ebenso sehen wir \(s_5 = 1\). Es gibt also jeweils genau eine \(3\)-Sylow-Gruppe und \(5\)-Sylow-Gruppe, und folglich genau \(2\) Elemente der Ordnung \(3\) und genau \(4\) Elemente der Ordnung \(5\). Zusammen mit dem neutralen Element sind das aber nur \(7\) Elemente, die anderen \(8\ (=\varphi (15))\) Elemente haben also Ordnung \(15\).
Ist \(G\) eine Gruppe mit \(6\) Elementen, so ist \(G\) isomorph zu \(\left.\mathbb Z\middle /6\right.\) oder zu \(S_3\).
Es folgt aus den Sylow-Sätzen, dass \(G\) genau eine \(3\)-Sylow-Untergruppe \(H\) hat. Diese muss die Form \(\{ 1, \sigma , \sigma ^2\} \) für ein Element \(\sigma \in G\) der Ordnung \(3\) haben. Sei \(H' = \{ 1, \tau \} \) eine \(2\)-Sylow-Untergruppe, also \(\tau \in G\) ein Element der Ordnung \(2\).
Wenn \(\sigma \tau = \tau \sigma \) gilt, dann ist die Abbildung \(f\colon H\times H' \to G\), \((h,h')\mapsto hh'\) ein Gruppenhomomorphismus. Der Kern von \(f\) besteht (warum?) aus den Elementen der Form \((h, h^{-1})\) mit \(h\in H\cap H' = \{ 1\} \), ist also trivial. Folglich ist \(f\) ein Isomorphismus. Aus dem chinesischen Restsatz (oder einfach, indem man direkt begründet, dass \(\sigma \tau \) ein Element der Ordnung \(6\) ist) folgt \(G\cong \left.\mathbb Z\middle /6\right.\).
Wir betrachten nun den Fall, dass \(\sigma \tau \ne \tau \sigma \) ist. Weil \(H\) ein Normalteiler ist, muss dann (warum?) \(\sigma \tau = \tau \sigma ^2\) gelten. Es ist
\[ G = H\cup \tau H = \{ 1, \sigma , \sigma ^2, \tau , \tau \sigma , \tau \sigma ^2 \} \]und mit ein wenig Rechnen ergibt sich, dass die Gruppenstruktur auf \(G\) durch die Gleichheiten \(\sigma ^3 = 1\), \(\tau ^2 = 1\), \(\sigma \tau = \tau \sigma ^2\) vollständig festgelegt ist. Mit anderen Worten: Sind \(G\), \(G'\) nicht-zyklische Gruppen mit \(6\) Elementen und \(\sigma , \tau \in G\) und \(\sigma ', \tau '\in G'\) jeweils wie oben beschrieben gewählt, so gibt es genau einen Gruppenisomorphismus \(G\stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}G'\) mit \(\sigma \mapsto \sigma '\), \(\tau \mapsto \tau '\).
Wenden wir das auf die symmetrische Gruppe \(G' := S_3\) an, so sehen wir, dass jede nicht-zyklische Gruppe mit \(6\) Elementen isomorph ist zu \(S_3\).
(Man kann an dieser Stelle die Benutzung der Sylow-Sätze recht leicht vermeiden, indem man direkt zeigt, dass es in \(G\) ein Element der Ordnung \(3\) und ein Element der Ordnung \(2\) geben muss und ausnutzt, dass jede Untergruppe vom Index \(2\) ein Normalteiler ist.)
Sei wieder \(p\) eine Primzahl und \(n\in \mathbb N\). Die Gruppe \(GL_n(\mathbb F_p)\) der invertierbaren \((n\times n)\)-Matrizen über dem endlichen Körper \(\mathbb F_p\) hat
Elemente (denn für die erste Spalte einer invertierbaren Matrix kommt jeder Vektor aus \(\mathbb F_p^n\setminus \{ 0\} \) in Betracht; für die zweite Spalte jeder Vektor auf \(\mathbb F_p^n\), der nicht in der von der ersten Spalte erzeugten Gerade liegt, usw.). Die maximale \(p\)-Potenz, die diese Zahl teilt, ist
Sei nun \(U\subset GL_n(\mathbb F_p)\) die Menge der oberen Dreiecksmatrizen, deren Diagonaleinträge alle \(=1\) sind. Dies ist eine Untergruppe von \(GL_n(\mathbb F_p)\), wie man leicht nachrechnet. Es ist klar, dass
weil die \(\frac{n(n-1)}{2}\) Einträge oberhalb der Diagonale frei wählbar sind, und alle anderen Einträge fest vorgegeben sind. Also ist \(U\) eine \(p\)-Sylow-Untergruppe von \(GL_n(\mathbb F_p)\).
Weil jede endliche Gruppe in eine symmetrische Gruppe \(S_n\) eingebettet werden kann, die wiederum zur Untergruppe der Permutationsmatrizen in \(GL_n(\mathbb F_p)\) isomorph ist, ist auch jede endliche Gruppe isomorph zu einer Untergruppe vom \(GL_n(\mathbb F_p)\) (für geeignetes \(n\)). Das kann man benutzen, um einen anderen Beweis der Sylow-Sätze zu erhalten, siehe [ Lo ] Kapitel 10.
Wie oben bemerkt gibt es in einer abelschen Gruppe \(G\) für jede Primzahl \(p\) genau eine \(p\)-Sylow-Untergruppe \(G_p\subseteq G\). Nur für endlich viele \(p\) (nämlich diejenigen Primzahlen, die \(\# G\) teilen) ist \(G_p\) nicht-trivial, und wir erhalten wegen der Kommutativität von \(G\) aus der Gruppenmultiplikation einen Gruppenhomomorphismus
Es ist nicht schwer zu zeigen, dass dieser injektiv ist, und weil beide Seiten dieselbe Mächtigkeit haben, handelt es sich um einen Isomorphismus.
Diese Aussage kann man als Vorstufe zum Hauptsatz über endliche abelsche Gruppen betrachten. Siehe Beispiel 2.7 und [ JS ] Abschnitt II.5 für einen Beweis des Satzes, der von diesem Punkt ausgeht. (Die Begründung der Injektivität der obigen Abbildung finde ich dort allerdings etwas knapp.)
Sei \(G\) eine endliche Gruppe und \(p\) eine Primzahl, die die Gruppenordnung \(\# G\) teilt. Dann existiert ein Element \(g\in G\) mit \(\operatorname{ord}(g)=p\).
Der Satz folgt leicht aus den Sylow-Sätzen. Denn es existiert in \(G\) eine \(p\)-Sylow-Gruppe \(H\), die nicht die triviale Gruppe ist. Sei \(g\in H\setminus \{ 1\} \). Dann ist \(\operatorname{ord}(h) = p^r\) für ein \(r\ge 1\) und demzufolge hat \(h^{p^{r-1}}\) Ordnung \(p\).
Für einen direkten Beweis mithilfe der Klassengleichung siehe [ JS ] Satz II.1.2. Ein Beweis, der die Struktur der Gruppe \(GL_n(\mathbb F_p)\) ausnutzt, wird in [ Soe ] Übungsaufgabe 4.1.35 skizziert.
Seien \(p\) eine Primzahl und \(G\) eine endliche Gruppe, so dass für alle \(g\in G\) die Ordnung \(\operatorname{ord}(g)\) eine Potenz von \(p\) ist. Dann ist \(G\) eine \(p\)-Gruppe.