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6.7 Das quadratische Reziprozitätsgesetz

Das quadratische Reziprozitätsgesetz ist ein berühmter Satz aus der Zahlentheorie, der eine verblüffende Gesetzmäßigkeit über die Frage aussagt, welche quadratischen Gleichungen über endlichen Körpern der Form \(\mathbb F_p\), \(p\) eine Primzahl, lösbar sind, oder genauer: Welche Elemente von \(\mathbb F_p\) »Quadratzahlen«, also von der Form \(a^2\) für ein \(a\in \mathbb F_p\) sind.

6.7.1 Das Legendre-Symbol und das quadratische Reziprozitätsgesetz

Um zu untersuchen, welche Elemente eines endlichen Körpers Quadrate sind, bemerken wir zunächst, dass das für das Element \(0=0^2\) offenbar stets der Fall ist, so dass wir nur Elemente von \(\mathbb F_p^\times \) betrachten müssen. Der Fall \(p=2\) ist auch klar (sowohl \(0\) als auch \(1\) sind Quadrate) und unterscheidet sich ein bisschen von den anderen Fällen, so dass wir nun \(p {\gt} 2\) voraussetzen. Die Abbildung

\[ \mathbb F_p^\times \to \mathbb F_p^\times ,\quad x\mapsto x^2, \]

ist ein Gruppenhomomorphismus mit Kern \(\{ 1, -1\} \), und wir sehen, dass genau die Hälfte der Elemente von \(\mathbb F_p^\times \) im Bild \((\mathbb F_p^\times )^2\) dieser Abbildung liegt, also das Quadrat eines Elements ist. Da \(x^{p-1}=1\) für alle \(x\in \mathbb F_p^\times \) gilt, folgt für \(x\in (\mathbb F_p^\times )^2\), etwa \(x=a^2\), dass

\[ x^{\frac{p-1}{2}} = a^{p-1} = 1. \]

Das Polynom \(X^{\frac{p-1}{2}}-1\) hat aber höchstens \(\frac{p-1}{2}\) Nullstellen, daher haben nur die Quadrate \(x\) in \(\mathbb F_p^\times \) die Eigenschaft \(x^{\frac{p-1}{2}} = 1\), ist \(x\in \mathbb F_p^\times \setminus \mathbb F_p^{\times 2}\), so muss \(x^{\frac{p-1}{2}} = -1\) gelten (denn das Quadrat von \(x^{\frac{p-1}{2}}\) ist ja \(=1\)). Damit haben wir bewiesen:

Lemma 6.24

Sei \(p\) eine ungerade Primzahl. Ein Element \(x\in \mathbb F_p^\times \) ist genau dann ein Quadrat in \(\mathbb F_p^\times \), wenn \(x^{\frac{p-1}{2}} = 1\) gilt.

Dieses Lemma motiviert die folgende Definition.

Definition 6.25

Sei \(p\) eine ungerade Primzahl und \(x\in \mathbb F_p^\times \). Wir definieren das Legendre-Symbol durch

\[ \left( \frac xp \right) = \begin{cases} 1 & \text{wenn}\ x\in (\mathbb F_p^\times )^2,\\ -1 & \text{wenn}\ x\in \mathbb F_p^\times \setminus (\mathbb F_p^\times )^2.\\ \end{cases} \]

(Der Wert des Legendre-Symbols soll per Definition in \(\mathbb Z\) liegen, d.h. \(1\) und \(-1\) werden hier als ganze Zahlen, nicht als Elemente eines endlichen Körpers, betrachtet.)

Für ganze Zahlen \(x\), die zu \(p\) teilerfremd sind, definieren wir das Legendre-Symbol, indem wir die obigen Definition auf die Restklasse von \(x\) in \(\mathbb F_p\) anwenden.

Hier ist also das Symbol \(\left( \frac xp \right)\) als Gesamtpaket zu lesen – zwischen den Klammern steht keine Bruchzahl! Und deswegen kann man die Klammern natürlich auch nicht weglassen, weil sonst Verwirrung vorprogrammiert wäre. Außerdem ist zu beachten, dass der Wert des Legendre-Symbol als ganze Zahl zu betrachten ist, diese \(1\) bzw. \(-1\) sollen also in \(\mathbb Z\) liegen. Andererseits ist für \(x\in \mathbb F_p^\times \) der Ausdruck \(x^{\frac{p-1}{2}}\) natürlich ein Element in \(\mathbb F_p\). Er ist also nicht gleich dem Legendre-Symbol. Andererseits sind die beiden Ausdrücke natürlich eindeutig durcheinander bestimmt (weil \(p\) ungerade ist, gilt ja \(1\ne -1\) in \(\mathbb F_p\)).

Lemma 6.26 Eigenschaften des Legendre-Symbols
  1. multiplikativ

  2. 1

  3. \(-1\).

Theorem 6.27 Quadratisches Reziprozitätsgesetz

Seien \(p\ne q\) ungerade Primzahlen. Dann gilt

\[ \left( \frac pq \right) = (-1)^{\frac{p-1}{2}\frac{q-1}{2}} \left( \frac qp \right) \]

Theorem 6.28 Ergänzungssätze zum quadratischen Reziprozitätsgesetz
  1. \(-1\)

  2. \(2\)

Korollar 6.29

Ob eine fixierte quadratische Gleichung mit Koeffizienten in \(\mathbb Z\) lösbar ist in \(\mathbb F_p\) ist (für \(p\gg 0\)) »periodisch in \(p\)« (die Periode hängt ab von der Diskriminante …).

6.7.2 Der quadratische Zwischenkörper von \(\left.\mathbb Q(\zeta _p)\middle /\mathbb Q\right.\)

Satz 6.30

Sei \(p {\gt} 2\) eine Primzahl und sei \(\zeta _p\in \overline{\mathbb Q}\) eine primitive \(p\)-te Einheitswurzel. Die Körpererweiterung \(\left.\mathbb Q(\zeta _p)\middle /\mathbb Q\right.\) besitzt einen eindeutig bestimmten Zwischenkörper \(E\) mit \([E:\mathbb Q]=2\), und zwar ist dies der Körper \(\mathbb Q(\sqrt{p^\ast })\) mit

\[ p^\ast = \begin{cases} p & \text{wenn}\ p\equiv 1\mod 4,\\ -p & \text{wenn}\ p\equiv 3\mod 4. \end{cases} \]

siehe auch Soergel, http://home.mathematik.uni-freiburg.de/soergel/Skripten/XXALMG.pdf 8.5.12

Beweis

Sei \(\zeta \) eine primitive \(p\)-te Einheitswurzel über \(\mathbb Q\). Es gilt \(\operatorname{minpol}_{\zeta ,\mathbb Q} = X^{p-1} + \cdots + 1\) (siehe ??). Wir haben gesehen, dass \(G:=\operatorname{Gal}(\left.\mathbb Q(\zeta )\middle /\mathbb Q\right.)\cong \left.\mathbb Z\middle /p\right.^\times \) gilt (??), und dies ist eine zyklische Gruppe (??). Insbesondere gibt es in \(G\) genau eine Untergruppe vom Index \(2\). Dies übersetzt sich mit dem Hauptsatz der Galois-Theorie in die Tatsache, dass die Erweiterung \(\left.\mathbb Q(\zeta )\middle /\mathbb Q\right.\) einen eindeutig bestimmten Zwischenkörper \(E\) mit \([E:\mathbb Q]=2\) besitzt.

Um \(E\) zu bestimmen, versuchen wir, ein Element \(\gamma \in E\) »explizit« anzugeben, das nicht in \(\mathbb Q\) liegt, aber so dass das Quadrat \(\gamma ^2\) eine rationale Zahl ist. Offenbar gilt dann \(E=\mathbb Q(\gamma )\). Statt das Ergebnis »vom Himmel fallen zu lassen«, wollen wir uns an dieser Stelle etwas mehr Zeit nehmen und illustrieren, wie man (mit genügend Ausdauer und den richtige Ideen …) darauf kommen könnte.

Jedenfalls bildet \(1, \zeta ,\dots , \zeta ^{p-2}\) eine Vektorraumbasis von \(\mathbb Q(\zeta )\) als \(\mathbb Q\)-Vektorraum. Da die Multiplikation mit \(\zeta \) ein \(\mathbb Q\)-Vektorraum-Isomorphismus \(\mathbb Q(\zeta )\stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}\mathbb Q(\zeta )\) ist, ist auch \(\zeta ,\zeta ^2,\dots , \zeta ^{p-1}\) eine Basis von \(\mathbb Q(\zeta )\), und diese ist für unsere Zwecke noch etwas besser geeignet. Jedes Element von \(\mathbb Q(\zeta )\) lässt sich also eindeutig in der Form

\[ \sum _{a=1}^{p-1} c_a\zeta ^a,\qquad c_1,\dots , c_{p-1}\in \mathbb Q, \]

schreiben, und wir wollen untersuchen, unter welchen Bedingungen an die \(c_a\) wir ein Element erhalten, dessen Quadrat in \(\mathbb Q\) liegt.

Es ist

\[ \left( \sum _{a=1}^{p-1} c_a\zeta ^a \right)^2 = \sum _{a,b=1}^{p-1} c_a c_b \zeta ^{a+b}. \]

Dieses Element liegt genau dann in \(\mathbb Q\), wenn es von allen Galois-Automorphismen \(\mathbb Q(\zeta )\stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}\mathbb Q(\zeta )\) fixiert wird. Wie oben bemerkt, haben diese Automorphismen die Form \(\sigma _i\) für \(\sigma _i(\zeta )= \zeta ^i\) für ein \(i\in \{ 1, \dots , p-1\} \). Das Bild des obigen Elements unter \(\sigma _i\) ist

\[ \sum _{a,b=1}^{p-1} c_a c_b \zeta ^{i(a+b)}. \]

Wir sehen also, dass die beiden Summen jedenfalls dann gleich sind, wenn

\[ c_a c_b = c_{ia} c_{ib}\qquad \text{für alle}\ a, b, i\in \{ 0,\dots , p-1\} \]

gilt.

Nach Skalierung nehmen wir an, dass \(c_1=1\) gelte. …Sehen dann, dass \(a\mapsto c_a\) ein Gruppenhomomorphismus \(\mathbb F_p^\times \to \{ \pm 1\} \) ist, dessen Kern die Untergruppe \(\mathbb F_p^{\times 2}\) aller Quadrate in \(\mathbb F_p^\times \) enthält.

Die Möglichkeit, \(c_a = 1\) für alle \(a\) zu setzen, scheidet für unsere Zwecke aus, weil das Element \(\sum _{a=1}^{p-1} \zeta _a = -1\) in \(\mathbb Q\) liegt (und wir ein Element finden möchten, das den Erweiterungskörper \(E\) über \(\mathbb Q\) erzeugt). Wir definieren daher

\[ c_a = \begin{cases} 1 & \text{wenn}\ a\in \mathbb F_p^{\times 2},\\ -1 & \text{wenn}\ a\in \mathbb F_p^\times \setminus \mathbb F_p^{\times 2}\\ \end{cases} \]

(wobei wir hier \(\{ 1, \dots , p-1\} \) mit \(\mathbb F_p^\times \) identifizieren). UMSCHREIBEN MIT LEGENDRE-SYMBOL?!

Wir wollen nun zeigen, dass \(\gamma ^2 = p^\ast \) gilt. Damit ist dann der Satz vollständig bewiesen. Nach dem obigen wissen wir bereits, dass \(\gamma ^2\in \mathbb Q\) ist. In dem Ausdruck

\[ \left( \sum _{a=1}^{p-1} c_a\zeta ^a \right)^2 = \sum _{a,b=1}^{p-1} c_a c_b \zeta ^{a+b} \]

(den wir nun mit der obigen speziellen Wahl der \(c_a\) betrachten) müssen sich also viele Terme wegheben. Genauer gilt: Wenn wir den Ausdruck umschreiben als Linearkombination der Basisvektoren \(1,\zeta , \dots , \zeta ^{p-2}\), dann wissen wir bereits, dass die Koeffizienten von \(\zeta ^i\) für alle \(i {\gt} 0\) verschwinden, und wir müssen nur den Koeffizienten des Basisvektors \(1\) berechnen. In der obigen Summe tritt allerdings auch noch die Potenz \(\zeta ^{p-1}\) auf, die wir »Loswerden« müssen, um diesen Plan auszuführen. Jedenfalls sehen wir

\[ \gamma ^2 = \sum _{a,b=1}^{p-1} c_a c_b \zeta ^{a+b} = \sum _{a=1}^{p-1} c_a c_{-a} + \sum _{a=1}^{p-2} c_a c_{-1-a} \zeta ^{p-1} + \xi \]

wobei wir in der ersten Summe diejenigen Summanden mit \(a+b = 0\) und in der zweiten diejenigen mit \(a+b = p-1\) gesammelt haben, und \(\xi \) ein »Korrekturterm« ist, der in \(\langle \zeta ,\dots , \zeta ^{p-2}\rangle _\mathbb Q\) liegt. Im Ausdruck \(c_{-1-a}\) ist der Index in \(\mathbb F_p\) zu sehen. Da in der Ursprungssumme \(b\) nicht \(0\) sein durfte, darf \(a\) in der zweiten Summe nicht gleich \(-1 = p-1\) sein. Nun gilt \(\zeta ^{p-1} = -1 -\zeta - \cdots - \zeta ^{p-2}\), und damit erhalten wir

\[ \gamma ^2 = \sum _{a,b=1}^{p-1} c_a c_b \zeta ^{a+b} = \sum _{a=1}^{p-1} c_a c_{-a} - \sum _{a=1}^{p-2} c_a c_{-1-a} + \xi ^\prime , \]

wobei \(\xi ^\prime \) auch in \(\langle \zeta ,\dots , \zeta ^{p-2}\rangle _\mathbb Q\) liegt. An dieser Stelle sehen wir mit dem schon genannten Argument, dass \(\xi ^\prime = 0\) ist, denn die ersten beiden Summen liegen in \(\mathbb Q\). Wir haben also erhalten:

\[ \gamma ^2 = (p-1) c_{-1} - c_{-1} \sum _{a=1}^{p-2} c_{a^2+a}. \]

Bleibt: \(c_{-1} = (-1)^{(p-1)/2}\).

Außerdem: \(\sum _{a=1}^{p-2} c_{a^2+a} = -1\), denn \(c_{a^2+a} = c_{1+a^{-1}}\) und mit \(a = 1, \dots , p-2\) durchläuft auch \(a^{-1}\) die Elemente \(1, \dots , p-2\), also \(1+a^{-1}\) die Elemente \(2, \dots , p-1\), und von diesen sind \((p-3)/2\) Quadrate, und \((p-1)/2\) Nicht-Quadrate.

Damit insgesamt: \(\gamma ^2 = p^\ast \).

6.7.3 Beweis des quadratischen Reziprozitätsgesetz

Selbe Notation wie oben …

Nun \(p\ne q\) verschiedene ungerade Primzahlen.

\(H \subset G\) die Galois-Gruppe von \(\left.\mathbb Q(\zeta )\middle /E\right.\).

\(\left(\frac qp\right) = 1\) gdw. \(\sigma _q\in H\)

Nun \(\gamma ^{q-1} = (p^\ast )^{(q-1)/2}\), und das ist »im Prinzip« das, was wir ausrechnen müssen, um das Legendre-Symbol \((\frac pq)\) zu bestimmen – allerdings in \(\mathbb F_q\). Wir betrachten daher eine primitive \(p\)-te Einheitswurzel \(\bar{\zeta }\) über \(\mathbb F_q\) und den Ringhomomorphismus

\[ \psi \colon \mathbb Z[\zeta ]\to \mathbb F_q[\bar{\zeta }],\quad \zeta \mapsto \bar{\zeta }. \]

Dann gilt \(\psi (\gamma ^2) = \psi (\gamma )^2 = \psi (p^\ast ) = p^\ast \), wobei wir rechts \(p^\ast \) als Element von \(\mathbb F_q^\times \) betrachten. Also

\[ \psi (\gamma ^{q-1}) = (p^\ast )^{(q-1)/2}. \]

Andererseits gilt

\[ \psi (\gamma )^q = \sum _a c_a \bar{\zeta }^{aq} = \cdots = (\frac qp)\psi (\gamma ). \]

Es folgt

\[ \left(\frac qp\right) = \left(\frac{p^\ast }{q}\right) = \left(\frac{-1}{q}\right)^{\frac{p-1}{2}}\left(\frac pq\right) = (-1)^{\frac{p-1}{2}\frac{q-1}{2}} \left(\frac pq\right), \]

und das ist das quadratische Reziprozitätsgesetz.

Zitat(e) zum quadratischen Reziprozitätsgesetz, zum Beispiel Langlands,

… that it was only on reading it [Hermann Weyls Buch Algebraic Theory of Numbers] that I began to appreciate the beauty of the law of quadratic reciprocity to which I had earlier attached no importance.