2.8 Tensorprodukte
Sei \(R\) ein Ring.
Gegeben seien \(R\)-Moduln \(M\) und \(N\). Ein \(R\)-Modul \(T\) zusammen mit einer bilinearen Abbildung \(\beta \colon M\times N \to T\) heißt Tensorprodukt von \(M\) und \(N\) über \(R\), falls für jeden \(R\)-Modul \(P\) und jede bilineare Abbildung \(b \colon M\times N\to P\) genau ein \(R\)-Modulhomomorphismus \(\psi \colon T \to P\) existiert, so dass \(\psi \circ \beta = b\).
Seien \(M\), \(N\) Moduln über \(R\). Dann existiert ein Tensorprodukt von \(M\) und \(N\) über \(R\), und es ist eindeutig bestimmt bis auf eindeutigen Isomorphismus.
Die Eindeutigkeit folgt in der üblichen Weise aus der universellen Eigenschaft. Für die Konstruktion betrachten wir den »riesigen« freien \(R\)-Modul \(R^{(M\times N)}\), dessen Standardbasis durch die Elemente \(e_{(m,n)}\), \((m,n)\in M\times N\), gegeben ist.
Die Idee der folgenden Konstruktion ist die folgende: Sei \(M\times N\to R^{(M\times N)}\) die Abbildung \((m,n)\mapsto e_{(m,n)}\). (Diese Abbildung ist weder linear noch bilinear.) Wir werden zu einem Quotienten von \(R^{(M\times N)}\) übergehen, so dass die Abbildung, die wir durch Verkettung mit der kanonischen Projektion erhalten, bilinear ist, und zwar so, dass wir einen möglichst kleinen Untermodul herausteilen. Es folgt dann leicht, dass dieser Quotient und diese bilineare Abbildung die universelle Eigenschaft des Tensorprodukts erfüllen.
Sei \(W\subseteq R^{(M\times N)}\) der Untermodul, der von allen Elementen der folgenden Form erzeugt wird:
\begin{align*} & e_{(m+m^\prime , n)} - (e_{(m,n)} + e_{(m^\prime , n)}),\\ & e_{(am, n)} - ae_{(m,n)},\\ & e_{(m, n+n^\prime )} - (e_{(m,n)} + e_{(m,n^\prime )}),\\ & e_{(m,an)} - ae_{(m,n)}, \end{align*}wobei \(m\), \(n\) bzw. \(a\) alle Elemente von \(M\), \(N\) bzw. \(R\) durchlaufen. Sei \(T\) der Quotient \((R^{(M\times N)})/W\). Dann ist die Abbildung \(\beta \colon M\times N\to T\), die \((m,n)\) auf die Restklasse von \(e_{(m,n)}\) abbildet, bilinear.
Sei nun \(b\colon M\times N\to P\) irgendeine bilineare Abbildung. Dann faktorisiert die eindeutig bestimmte Abbildung \(R^{(M\times N)}\to P\) mit \(e_{(m,n)}\mapsto b(m,n)\) über einen Homomorphismus \(\psi \colon T\to P\). Dieser bildet \(\beta (m,n)\) ab auf \(b(m,n)\), es gilt also \(\psi \circ \beta = b\). Weil \(T\) von den \(\beta (m,n)\) erzeugt wird, ist klar, dass \(\psi \) durch diese Eigenschaft eindeutig bestimmt ist. Also ist \(T\) zusammen mit \(\beta \) ein Tensorprodukt von \(M\) und \(N\) über \(R\).
Wir bezeichnen das Tensorprodukt von \(M\) und \(N\) über \(R\) mit \(M\otimes _R N\), und das Bild von \((x,y)\in M\times N\) in \(M\otimes _R N\) mit \(x\otimes y\). Elemente der Form \(x\otimes y\) nennen wir Elementartensoren. In der Regel ist nicht jedes Element von \(M\otimes _RN\) ein Elementartensor! Nach Definition (d.h., weil \(\beta \) bilinear ist) gelten für Elementartensoren die folgenden Rechenregeln:
\begin{align} & (ax+a^\prime x^\prime )\otimes y = a(x\otimes y) + a^\prime (x^\prime \otimes y),\\ & x\otimes (ay+ay^\prime ) = a(x\otimes y) + a^\prime (x\otimes y^\prime ), \end{align}für \(x,x^\prime \in M\), \(y,y^\prime \in N\), \(a,a^\prime \in R\).
Ist \(K\) ein Körper und sind \(V\), \(W\) endlich-dimensionale Vektorräume über \(K\), so haben wir Identifikationen
also ist \(V\otimes _KW = \operatorname{Hom}_K(V, W^\vee )^\vee \).
Speziell können wir \(K^m\otimes _K K^n\) mit \(\operatorname{M}_{m\times n}(K)\) identifizieren.
Seien \(R\) ein Ring und seien \(M\), \(N\) Moduln über \(R\).
Jedes Element von \(M\otimes _RN\) ist eine endliche Summe von Elementen der Form \(x\otimes y\), \(x\in M\), \(y\in N\). (Das folgt unmittelbar aus unserer Konstruktion. Man kann es aber auch aus der universellen Eigenschaft folgern, vergleiche Lemma LA2.18.41.)
Seien \((x_i)_i\) ein Erzeugendensystem von \(M\) und \((y_i)_i\) ein Erzeugendensystem von \(N\). Dann ist \((x_i\otimes y_j)_{i, j}\) ein Erzeugendensystem von \(M\otimes _RN\). Das folgt leicht aus den obigen Rechenregeln für Elementartensoren und dem vorherigen Punkt.
Wir haben kanonische Isomorphismen \(R\otimes _RM \stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}M\), \(r\otimes m\mapsto rm\) und \(M\otimes N\stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}N\otimes M\), \(m\otimes n\mapsto n\otimes m\).
Das Tensorprodukt ist »funktoriell« im folgenden Sinne: Sind \(\varphi \colon M\to M^\prime \) und \(\psi \colon N\to N^\prime \) Modulhomomorphismen, so erhalten wir einen \(R\)-Modul-Homomorphismus
\[ \varphi \otimes \psi \colon M\otimes _RN \to M^\prime \otimes _RN^\prime ,\quad m\otimes n\mapsto m^\prime \otimes n^\prime . \]Diese Konstruktion ist verträglich mit der Verkettung von Abbildungen. Achtung: Selbst wenn \(\varphi \) und \(\psi \) injektiv sind, ist die Abbildung \(\varphi \otimes \psi \) im allgemeinen nicht injektiv! Dieses Phänomen werden wir später (unter dem Stichwort Flachheit) noch ausführlicher untersuchen.
Seien \(M\) und \(N\) Moduln über \(R\). Seien \(x_i\in M\), \(y_i\in N\), \(i=1,\dots , n\), mit
Dann existieren endlich erzeugte Untermoduln \(M_0\subseteq M\), \(N_0\subseteq N\), so dass \(x_i\in M_0\), \(y_i\in N_0\) für alle \(i\) und so dass
Wir benutzen an dieser Stelle noch einmal die Konstruktion des Tensorprodukts. (Man kann den Satz auch aus der universellen Eigenschaft des Tensorprodukts herleiten, ohne die Konstruktion zu benutzen, aber mit unserem jetzigen Kenntnisstand wäre das etwas lästiger. »Später«, aber vielleicht nicht in dieser Vorlesung, folgt die Aussage daraus, dass Tensorprodukte mit Kolimiten vertauschen.)
Wir benutzen die Notation aus dem Beweis von Satz 2.87. Die Voraussetzung besagt, dass \(\sum _{i=1}^n e_{(x_i, y_i)}\) in dem Untermodul \(W\) von \(R^{(M\times N)}\) liegt, also als endliche Linearkombination mit Koeffizienten in \(R\) von Elementen des dort angegebenen Erzeugendensystems von \(W\) ausgedrückt werden kann. In diesen endlich vielen Elementen kommen (in den Indizes) jeweils nur endlich viele Elemente von \(M\) und von \(N\) vor. Wir können dann für \(M_0\) bzw. \(N_0\) den Untermodul von \(M\) bzw. \(N\) wählen, der von den \(x_i\) (bzw. \(y_i\)) und allen in der besagten Linearkombination auftretenden Elementen erzeugt wird. Genau dieselbe Linearkombination liegt dann auch in dem analog gebildeten Untermodul \(W_0 \subseteq R^{(M_0\times N_0)}\), für den \(R^{(M_0\times N_0)}/W_0\) ein Tensorprodukt von \(M_0\) und \(N_0\) bildet. Also liegt \(\sum _{i=1}^n e_{(x_i, y_i)}\) in \(W_0\).
Analog zum obigen Fall kann man für multilineare (anstelle von bilinearen) Abbildungen vorgehen. Man erhält dann Tensorprodukte \(M_1\otimes _RM_2\otimes \cdots \otimes _RM_n\). Man hat natürliche Identifikationen
und entsprechend für mehr als 3 Faktoren.
Seien \(A\), \(B\) Ringe, sei \(M\) ein \(A\)-Modul, \(P\) ein \(B\)-Modul, und sei \(N\) ein \((A, B)\)-Bimodul, d.h. es sei \(N\) ein \(A\)-Modul und gleichzeitig ein \(B\)-Modul, so dass \((ax)b = a(xb)\) für alle \(a\in A\), \(b\in B\), \(x\in N\). Wir schreiben hier die Skalarmultiplikation mit Elementen von \(B\) als Multiplikation von rechts.
Dann ist \(M\otimes _AN\) ein \(B\)-Modul (»von rechts«), und \(N\otimes _BP\) ein \(A\)-Modul (»von links«), und
ist ein Isomorphismus von \((A,B)\)-Bimoduln, mit dem wir stets die beiden Seiten identifizieren.
Seien \(M\), \(N\), \(P\) Moduln über dem Ring \(R\). Die natürliche Abbildung
ist ein Isomorphismus von \(R\)-Moduln.
Die Umkehrabbildung ist gegeben durch
wobei wie üblich die Abbildung \(M\otimes _R N\to P\) auf der rechten Seite nur auf den Elementartensoren angegeben ist. Weil der Ausdruck \(\psi (m)(n)\) in \(m\) und \(n\) bilinear ist, erhalten wir eine eindeutig bestimmte solche Abbildung auf ganz \(M\otimes _RN\). Man überprüft dann, dass die beiden Abbildungen invers zueinander sind.
2.8.1 Basiswechsel
Sei \(\varphi \colon A\to B\) ein Ringhomomorphismus und \(M\) ein \(A\)-Modul. Dann wird der \(A\)-Modul \(B\otimes _AM\) durch die (wohldefinierte!) Skalarmultiplikation
zu einem \(B\)-Modul. Wir sagen, der \(B\)-Modul \(B\otimes _AM\) entstehe aus \(M\) durch Basiswechsel mit \(\varphi \).
Der Basiswechsel hat die folgende universelle Eigenschaft: Für alle \(B\)-Moduln \(N\) ist die Abbildung
bijektiv mit Umkehrabbildung \(\psi \mapsto (b\otimes m\mapsto b\psi (m))\). (Hier wird auf der rechten Seite \(N\) als \(A\)-Modul via \(\varphi \) aufgefasst, also \(a\cdot n := \varphi (a)n\), vgl. Bemerkung 2.96.
Sei \(R\) ein Ring, \(S\subseteq R\) eine multiplikative Teilmenge, \(\varphi \colon R\to S^{-1}\) der natürliche Homomorphismus und \(M\) ein \(R\)-Modul. Dann ist
\[ S^{-1}R\otimes _RM \to S^{-1}M,\quad \frac xs \otimes m \mapsto \frac{xm}s \]ein Isomorphismus von \(S^{-1}R\)-Moduln (mit Umkehrabbildung \(\frac ms\mapsto \frac1s\otimes m\)).
Sei \(R\) ein Ring und \(\mathfrak a\) ein Ideal. Sei \(\varphi \colon R\to \left.R\middle /\mathfrak a\right.\) die kanonische Projektion. Dann ist
\[ \left.R\middle /\mathfrak a\right.\otimes _R M \to M/\mathfrak aM,\quad \overline{x} \otimes m \mapsto \overline{xm} \]ein Isomorphismus von \(\left.R\middle /\mathfrak a\right.\)-Moduln (mit Umkehrabbildung \(\overline{m}\mapsto 1\otimes m\)). Dies folgt auch ohne explizite Rechnung daraus, dass der Quotient \(M/\mathfrak a M\) die universelle Eigenschaft des Basiswechsels \(\left.R\middle /\mathfrak a\right.\otimes _RM\) erfüllt.
Sei \(R\) ein Ring und \(\mathfrak p\in \operatorname{Spec}R\) ein Primideal. Sei \(M\) ein \(R\)-Modul. Dann gilt
\[ M(\mathfrak p) = M\otimes _R \kappa (\mathfrak p). \]
Seien \(R\) ein Ring und \(\mathfrak p\in \operatorname{Spec}(R)\). Aus den obigen Rechenregeln folgt insbesondere
und
Ist andererseits \(\varphi \colon A\to B\) ein Ringhomomorphismus und \(N\) ein \(B\)-Modul, so kann man \(M\) als \(A\)-Modul auffassen durch die Skalarmultiplikation \(a\cdot m:= \varphi (a) m\). Wir bezeichnen den so erhaltenen \(A\)-Modul in der Regel wieder mit \(M\).
2.8.2 Tensorprodukt von Algebren
Seien \(R\) ein Ring und \(A\), \(B\) Algebren über \(R\). Dann wird \(A\otimes _R B\) mit der (wohldefinierten!) Multiplikation
zu einem Ring, und vermöge des Ringhomomorphismus \(R\to A\otimes _RB\), \(x\mapsto x\otimes 1 (= 1\otimes x)\) zu einer \(R\)-Algebra. Mit den Ringhomomorphismen \(\alpha :A\to A\otimes _RB\), \(a\mapsto a\otimes 1\) bzw. \(\beta :B\to A\otimes _RB\), \(b\mapsto 1\otimes b\) können wir \(A\otimes _RB\) auch als \(A\)-Algebra bzw. als \(B\)-Algebra auffassen.
Seien \(R\) ein Ring und seien \(A\), \(B\) Algebren über \(R\).
Es existiert ein kommutatives Diagramm
von Ringhomomorphismen, und für jeden Ring \(T\) zusammen mit Ringhomomorphismen \(f: A\to T\), \(g: B\to T\) mit \(f\circ \varphi = g\circ \psi \) existiert ein eindeutig bestimmter Ringhomomorphismus \(h:A\otimes _RB \to T\), so dass \(f = h \circ \alpha \), \(g = h\circ \beta \).
Mit den obigen Notationen ist \(h(a\otimes b) = f(a)\cdot g(b)\).
Jedenfalls muss \(h(a\otimes b) = f(a)\cdot g(b)\) gelten, damit \(f = h \circ \alpha \) und \(g = h\circ \beta \) sein kann. Weil der Ausdruck \(f(a)g(b)\) bilinear in \(a\) und \(b\) ist, existiert jedenfalls ein eindeutig bestimmter \(R\)-Modul-Homomorphismus \(A\otimes _R B\to T\) mit \(h(a\otimes b) = f(a)\cdot g(b)\) für alle \(a\in A\), \(b\in B\). Dass \(f = h \circ \alpha \) und \(g = h\circ \beta \) gilt, ist auf Elementartensoren klar nach Definition, und folgt dann allgemein, weil sich jedes Element als Summe von Elementartensoren schreiben lässt. Schließlich zeigt man, dass \(h\) ein Ringhomomorphismus ist; wieder genügt es (warum?) für die Multiplikativität zu überprüfen, dass sich \(h\) multiplikativ auf Elementartensoren verhält, und das ist offensichtlich.
Seien \(R\)-Algebren \(A\) und \(B\) gegeben. Dann sind die Abbildungen \(\alpha \colon A\to A\otimes _RB\), \(a\mapsto a\otimes 1\), und \(\beta \colon B\to A\otimes _RB\), \(b\mapsto 1\otimes b\), Homomorphismen von \(R\)-Algebren.
Für jede \(R\)-Algebra \(C\) und \(R\)-Algebren-Homomorphismen \(f\colon A\to C\), \(g\colon B\to C\) existiert ein eindeutig bestimmter Homomorphismus \(h\colon A\otimes _RB\to C\) von \(R\)-Algebren, so dass \(h\circ \alpha = f\), \(h\circ \beta = g\).
Mit anderen Worten: Das Tensorprodukt \(A\otimes _RB\) (zusammen mit den Abbildungen \(\alpha \) \(\beta \)) erfüllt die universelle Eigenschaft des Koprodukts in der Kategorie der \(R\)-Algebren, siehe Definition 3.3.
In dieser Bemerkung sind die Gleichheitszeichen so zu verstehen, dass behauptet wird, dass die natürliche Abbildung zwischen den beiden Seiten ein Isomorphismus ist.
Ist \(B\) eine \(A\)-Algebra und ist \(\mathfrak a\subseteq A\) ein Ideal, so gilt \((A/\mathfrak a) \otimes _AB = B/\mathfrak aB\).
Ist \(B\) eine \(A\)-Algebra und ist \(S\subseteq A\) eine multiplikative Teilmenge, so gilt \(S^{-1}A\otimes _AB = S^{-1}B\).
Ist \(B\) eine \(A\)-Algebra, so gilt \(A[X]\otimes _AB = B[X]\).