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3.4 Abelsche Kategorien *

Der Formalismus der exakten Funktoren kann noch in einem allgemeineren Rahmen studiert werden, den wir hier kurz anreißen wollen.

Definition 3.33

Sei \(\mathscr C\) eine Kategorie.

  1. Ein initiales Objekt in \(\mathscr C\) ist ein Objekt \(I\), so dass für alle Objekte \(X\) in \(\mathscr C\) genau ein Morphismus \(I\to X\) existiert.

  2. Ein terminales Objekt in \(\mathscr C\) ist ein Objekt \(T\), so dass für alle Objekte \(X\) in \(\mathscr C\) genau ein Morphismus \(X\to T\) existiert.

  3. Ein Nullobjekt in \(\mathscr C\) ist ein Objekt, das sowohl initial als auch terminal ist.

Alle obigen Eigenschaften lassen sich als universelle Eigenschaften auffassen, so dass initiale, terminale und Null-Objekte jeweils eindeutig bestimmt sind bis auf eindeutigen Isomorphismus, sofern sie existieren. Äquivalent können wir ein initiales Objekt auch als ein »leeres Produkt« (ein Objekt, das die universelle Eigenschaft des Produkts für die leere Menge als Indexmenge hat) und ein terminales Objekt als »leeres Koprodukt« definieren.

Beispiel 3.34

In der Kategorie der Mengen ist \(\emptyset \) initial und jede Menge mit einem einzigen Element terminal. In der Kategorie der Ringe ist \(\mathbb Z\) initial und der Nullring terminal. In beiden Fällen existiert kein Nullobjekt. In der Kategorie der Gruppen und in der Kategorie der abelschen Gruppen ist jeweils die triviale Gruppe ein Nullobjekt. Ist \(R\) ein Ring, so ist der Nullmodul ein Nullobjekt in der Kategorie der \(R\)-Moduln. Die Kategorie der Körper besitzt weder ein initiales noch ein terminales Objekt.

Definition 3.35

Eine additive Kategorie ist eine Kategorie \(\mathscr C\), in der alle Mengen \(\operatorname{Hom}_{\mathscr C}(X, Y)\) mit der Struktur einer abelschen Gruppe (die wir additiv schreiben) ausgestattet sind, so dass die Komposition von Morphismen bilinear ist, und in der alle endlichen Produkte existieren.

Bemerkung 3.36

Sei \(\mathscr C\) eine additive Kategorie

  1. Sind \(X\), \(Y\) Objekte in \(\mathscr C\) und \(X\times Y\) deren Produkt, so ist \(X\times Y\) zusammen mit den Abbildungen \(X\to X\times Y\) (induziert von \(\operatorname{id}\colon X\to X\), \(0\colon X\to Y\)) und \(Y\to X\times Y\) (analog) ein Koprodukt von \(X\) und \(Y\). Allgemeiner zeigt man, dass jedes endliche Produkt (mit den offensichtlichen Abbildungen) gleich dem Koprodukt der entsprechenden Objekte ist. Insbesondere ist das leere Produkt in \(\mathscr C\), das nach Voraussetzung existiert, ein Nullobjekt.

  2. Man kann zeigen, dass die Gruppenstrukturen auf den \(\operatorname{Hom}_{\mathscr C}(X, Y)\) eindeutig bestimmt sind, sofern sie existieren.

Definition 3.37

Sei \(\mathscr C\) eine additive Kategorie und \(f\colon X\to Y\) ein Morphismus in \(\mathscr C\).

  1. Ein Kern von \(f\) ist ein Morphismus \(a\colon K\to X\), der die folgende universelle Eigenschaft hat: Für alle Objekte \(T\) in \(\mathscr C\) ist die Abbildung

    \[ \operatorname{Hom}_{\mathscr C}(T, K) \to \{ g\colon T\to X;\ f\circ g = 0\} ,\quad h\mapsto a\circ h, \]

    bijektiv.

  2. Ein Kokern von \(f\) ist ein Morphismus \(b\colon Y\to C\), der die folgende universelle Eigenschaft hat: Für alle Objekte \(T\) in \(\mathscr C\) ist die Abbildung

    \[ \operatorname{Hom}_{\mathscr C}(C, T) \to \{ g\colon Y\to C;\ g\circ f = 0\} ,\quad h\mapsto h\circ b, \]

    bijektiv.

Kerne und Kokerne sind eindeutig bestimmt bis auf eindeutigen Isomorphismus. Jeder Kern ist ein Monomorphismus und jeder Kokern ist ein Epimorphismus. Den Kern von \(f\) bezeichnen wir mit \(\operatorname{Ker}(f)\), den Kokern mit \(\operatorname{Coker}(f)\) (wobei wir hier streng genommen natürlich einen Kern und Kokern auswählen müssen, aber die Wahl keine Rolle spielt, weil zu jedem anderen Kern (bzw. Kokern) ein eindeutig bestimmter Isomorphismus existiert).

Ist \(\mathscr C\) die Kategorie der Moduln über einem Ring \(R\), und \(f\colon X\to Y\) ein \(R\)-Modul-Homomorphismus, so ist die Inklusion \(\operatorname{Ker}(f)\to X\) ein Kern im Sinne der obigen Definition (und allgemeiner ist jeder injektive \(R\)-Modul-Homomorphismus \(K\to X\) mit Bild \(\operatorname{Ker}(f)\) ein Kern). Entsprechend ist die kanonische Projektion \(Y\to Y/\operatorname{Im}(f)\) (und allgemeiner jeder surjektive \(R\)-Modul-Homomorphismus \(Y\to C\) mit Kern \(\operatorname{Im}(f)\)) ein Kokern von \(f\).

Definition 3.38

Eine abelsche Kategorie ist eine additive Kategorie \(\mathscr C\), so dass gilt:

  1. Jeder Morphismus in \(\mathscr C\) besitzt einen Kern und einen Kokern.

  2. Jeder Monomorphismus ist ein Kern eines Morphismus, und jeder Epimorphismus ist ein Kokern eines Morphismus.

Die Kategorie der abelschen Gruppen und allgemeiner die Kategorie der \(R\)-Moduln über einem Ring \(R\) sind abelsche Kategorien. Die Kategorie aller freien abelschen Gruppen (d.h. derjenigen abelschen Gruppen, die frei sind als \(\mathbb Z\)-Modul) ist additiv, aber nicht abelsch.

Ist \(\mathscr C\) eine abelsche Kategorie und \(f\colon X\to Y\) ein Morphismus, so können wir das Bild \(\operatorname{Im}(f)\) von \(f\) im kategoriellen Sinne definieren als \(\operatorname{Im}(f):=\operatorname{Ker}(\operatorname{Coker}(f))\) (und es gibt dann einen natürlichen Isomorphismus \(\operatorname{Im}(f)\cong \operatorname{Coker}(\operatorname{Ker}(f))\)).

Da Bilder und Kerne von Morphismen existieren, kann man den Begriff der exakten Sequenz und dann auch den Begriff des exakten Funktors zwischen abelschen Kategorien definieren. Man kann dann zum Beispiel zeigen, dass das Schlangenlemma in jeder abelschen Kategorie richtig ist. In der Homologischen Algebra werden systematisch solche Funktoren untersucht, die links- oder rechtsexakt sind, aber nicht exakt sind, und es werden Methoden entwickelt, um genauer zu beschreiben, »inwiefern« ein solcher Funktor nicht exakt ist.