14.3 Euklidische und unitäre Vektorräume
Ein »euklidischer Vektorraum« ist ein endlichdimensionaler Vektorraum über den reellen Zahlen, in dem wir eine zusätzliche Struktur zur Verfügung haben, die uns erlaubt, Abstände zwischen Punkten und die Länge von Vektoren zu messen, darüber zu sprechen, wann zwei Vektoren zueinander senkrecht sind, und den Winkel zwischen zwei Vektoren zu definieren. In Kapitel LA1.11 wird das für den Standardvektorraum \(\mathbb R^n\) erklärt, aber in der Linearen Algebra 2 wollen wir eine entsprechende Theorie für beliebige (endlichdimensionale) \(\mathbb R\)-Vektorräume definieren.
Sei \(V\) ein endlichdimensionaler Vektorraum über \(\mathbb R\). Wie sich herausstellen wird, kann man alle die oben genannten geometrischen Begriffe (Abstand, Länge, Winkel) definieren, sobald ein sogenanntes Skalarprodukt
gegeben ist, dass ist eine bilineare Abbildung (d.h. \(\beta \) ist linear in jedem der beiden Faktoren, also eine multilineare Abbildung \(V^2\to \mathbb R\)), für die außerdem \(\beta (v,w) = \beta (w,v)\) für alle \(v,w\in V\) und \(\beta (v,v) {\gt} 0\) für alle \(v\in V\setminus \{ 0\} \) gilt. Zum Beispiel kann man dann die Länge eines Vektors \(v\) durch
definieren.
Für \(V=\mathbb R^n\) ist durch \(\beta ((x_i)_i, (y_i)_i) := \sum _{i=1}^n x_i y_i\) ein solches Skalarprodukt gegeben, das sogenannte Standardskalarprodukt.
Es zeigt sich, dass mit einem kleinen Trick auch für Vektorräume über den komplexen Zahlen eine ganz ähnliche Theorie entwickelt werden kann, und es ist zum Beispiel für Anwendungen in der theoretischen Physik sehr nützlich, das zu tun. Würde man auf \(\mathbb C^n\) das Standardskalarprodukt durch dieselbe Formel wie für \(\mathbb R^n\) definieren, dann würde natürlich im allgemeinen nicht gelten, dass das Skalarprodukt eines Vektors \(\ne 0\) mit sich selbst eine positive reelle Zahl ist. Wenn man die Formel stattdessen abändert zu
dann gilt aber \(\beta (x,x) \in \mathbb R_{{\gt} 0}\) für alle \(x\in \mathbb C^n\setminus \{ 0\} \), so dass man dann wieder die Länge von \(x\) durch \(\lVert x\rVert := \sqrt{\beta (x,x)}\) definieren kann. Hier bezeichnet für eine komplexe Zahl \(x = a+ib\), \(a,b\in \mathbb R\), das Symbol \(\overline{x} := a-ib\) die sogenannte komplex konjugierte Zahl. Dann gilt \(x\overline{x} = a^2+b^2\ge 0\) und der Ausdruck ist nur für \(x=0\) gleich Null.
Um diese Idee umzusetzen, betrachtet man statt bilinearer Abbildungen im Fall eines komplexen Vektorraums \(V\) sogenannte Sesquilinearformen, das sind Abbildungen
die im zweiten Eintrag linear, aber im ersten Eintrag »semilinear bezüglich der komplexen Konjugation« sind, d.h. es gilt \(\beta (xv+x^\prime v^\prime , w) = \overline{x}\beta (v,w)+\overline{x^\prime }\beta (v^\prime ,w)\) für alle \(x,x^\prime \in \mathbb C\), \(v,v^\prime , w\in V\). Die Symmetriebedingung ersetzt man entsprechend durch die Bedingung \(\beta (w,v)=\overline{\beta (v,w)}\).
Dann man ganz parallel die Theorie der euklidischen Vektorräume (\(\mathbb R\)-Vektorräume mit einem Skalarprodukt) und der unitären Vektorräume (\(\mathbb C\)-Vektorräume mit einem Skalarprodukt im Sinne einer Sesquilinearform) entwickeln.
Man erhält damit eine Theorie, die nicht nur für geometrische Betrachtungen nützlich ist. Zum Beispiel werden wir als eine Konsequenz des Spektralsatzes für selbstadjungierte Abbildungen (Theorem 19.107) beweisen können, dass jede Matrix \(A\in M_n(\mathbb R)\), die symmetrisch ist (d.h. \(A=A^t\)), diagonalisierbar ist.