Inhalt

3 Die Jordansche Normalform

Referenzen: Ich habe keine genaue Vorlage, aber die Bücher [Brieskorn, Lineare Algebra und Analytische Geoetrie II], [Fischer, Lernbuch Lineare Algebra und Analytische Geometrie] sind vermutlich hilfreich. Ebenso kann ich das Buch [Vinberg, A Course in Algebra], Kap. 6.4, empfehlen. Zum konzeptionellen Verständnis ist auch das Buch von Bosch nützlich, es benutzt aber einen anderen (komplizierteren) Zugang.

3.1 Aussage und Eindeutigkeit

Definition 3.1

Für $\lambda \in K$, $r\ge 1$, bezeichne mit $J_{r,\lambda }\in M_{r\times r}(K)$ den Jordan-Block der Größe $r\times r$ mit Diagonaleintrag $\lambda $ (und $1$en direkt oberhalb der Diagonalen, $0$en sonst). Wir sagen, eine Matrix $A\in M_{n\times n}(K)$ habe Jordansche Normalform (JNF), falls $r_1, \dots , r_k\ge 1$ und $\lambda _1,\dots \lambda _k\in K$ existieren, so dass

\[ A = \mathop{\rm diag}(J_{r_1, \lambda _1}, \dots , J_{r_k, \lambda _k}) \quad \text{(Block-Diagonalmatrix)} \]

ist.

Theorem 3.2

Sei $A\in M_{n\times n}(K)$ eine Matrix, deren charakteristisches Polynom vollständig in Linearfaktoren zerfällt. Dann existieren $S\in GL_n(K)$ und $r_1, \dots , r_k\ge 1$, $\lambda _1,\dots \lambda _k\in K$, so dass

\[ S A S^{-1} = \mathop{\rm diag}(J_{r_1, \lambda _1}, \dots , J_{r_k, \lambda _k}) \]

und die Paare $(r_1,\lambda _1), \dots , (r_k, \lambda _k)$ sind eindeutig bestimmt bis auf die Reihenfolge (auch die Vielfachheit, mit der ein Paar auftritt, ist eindeutig bestimmt).

Bemerkung 3.3
  1. Wie oben bemerkt, zerfällt $\mathop{\rm charpol}\nolimits _A$ genau dann vollständig in Linearfaktoren, wenn $A$ trigonalisierbar ist.

  2. Eine entsprechende Aussage gilt für trigonalisierbare Endomorphismen endlich-dimensionaler Vektorräume.

  3. Ist $A = \mathop{\rm diag}(J_{r_1, \lambda _1}, \dots , J_{r_k, \lambda _k})$, so gilt

    \[ \mathop{\rm charpol}\nolimits _A = \prod _{i=1}^k (X-\lambda _i)^{r_i} \]

    und wenn $\mu _1, \dots , \mu _s$ die paarweise verschiedenen Eigenwerte von $A$ und $m_i$ die Größe des größten Jordan-Blocks zu $\mu _i$ bezeichnen:

    \[ \mathop{\rm minpol}\nolimits _A = \prod _{i=1}^s (X-\mu _i)^{m_i}. \]

Korollar 3.4

Sei $A\in M_{n\times n}(K)$ eine Matrix, deren charakteristisches Polynom vollständig in Linearfaktoren zerfällt. Dann sind alle Nullstellen des charakteristischen Polynoms von $A$ auch Nullstellen des Minimalpolynoms von $A$ (und umgekehrt).

9.5.

Korollar 3.5

Sei $A\in M_{n\times n}(K)$ eine Matrix, deren charakteristisches Polynom vollständig in Linearfaktoren zerfällt. Die Matrix $A$ ist genau dann diagonalisierbar, wenn das Minimalpolynom nur einfache Nullstellen hat.

Bemerkung 3.6

Mit etwas mehr Anstrengung kann man zeigen: $A\in M_{n\times n}(K)$ ist genau dann diagonalisierbar, wenn $\mathop{\rm minpol}\nolimits _A$ vollständig in Linearfaktoren zerfällt und nur einfache Nullstellen hat, siehe Korollar 3.19.

$\bullet $ Erstelle weitere Aufgaben vom Typ der Präsenzaufgabe auf Blatt 7.

$\bullet $ Was ist die JNF von $J_{r,\lambda }^t$, wobei $A^t$ die zu $A$ transponierte Matrix bezeichnet?

$\bullet $ Finde Matrizen $A, B\in M_{n\times n}(K)$, die nicht zueinander konjugiert sind, aber so dass $\mathop{\rm charpol}\nolimits _A=\mathop{\rm charpol}\nolimits _B$, $\mathop{\rm minpol}\nolimits _A=\mathop{\rm minpol}\nolimits _B$. Wie groß muss $n$ mindestens sein, damit solche $A$, $B$ existieren?

$\bullet $ Sei $v\in \mathbb R^2$ und sei $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _{\mathbb R}(\mathbb R^2)$ die Spiegelung an der Geraden $\langle v\rangle $. Bestimme die Jordansche Normalform von $f$.

Die duale Partition einer Partition

Ein Tupel $r_1 \ge r_2 \ge r_3 \ge \cdots $ natürlicher Zahlen heißt Partition von $n\in \mathbb N$, falls $n = \sum r_i$. (Insbesondere dürfen nur endlich viele $r_i\ne 0$ sein.)

Definition 3.7

Sei $r_1 \ge r_2 \ge r_3 \ge \cdots $ eine Partition von $n$. Dann ist auch $s_1 \ge s_2 \ge \cdots $ mit

\[ s_i = \# \{ j;\ r_j \ge i \} \]

eine Partition von $n$. Sie wird als die zu $(r_\bullet )_\bullet $ duale Partition bezeichnet.

Lemma 3.8

Sei $r_1 \ge r_2 \ge r_3 \ge \cdots $ eine Partition von $n$, $s_1 \ge s_2 \ge \cdots $ ihre duale Partition. Dann ist $r_1 \ge r_2 \ge r_3 \ge \cdots $ die duale Partition von $(s_\bullet )_\bullet $.

Eindeutigkeit der Jordanschen Normalform

Sei $A$ eine Matrix in Jordanscher Normalform. Das charakteristische Polynom von $A$ bestimmt die Diagonaleinträge zusammen mit ihrer Vielfachheit. Die Größe der Jordan-Blöcke lässt sich wie folgt beschreiben:

Sei $\mu $ einer der Eigenwerte von $A$, und seien $r_1 \ge r_2 \ge \cdots $ die Größen der Jordan-Blöcke mit Diagonaleintrag $\mu $. Sei $s_1 \ge s_2 \ge \cdots $ die zu $(r_\bullet )_\bullet $ duale Partition. Dann gilt

\[ s_i = \dim \mathop{\rm Ker}(A-\mu )^i - \dim \mathop{\rm Ker}(A-\mu )^{i-1}. \]

Die Zahlen $\dim \mathop{\rm Ker}(A-\mu )^i$ ändern sich nicht, wenn man $A$ durch eine zu $A$ konjugierte Matrix ersetzt. Dies beweist, dass die Größen der Jordan-Blöcke in der Jordanschen Normalform einer trigonalisierbaren Matrix eindeutig bestimmt sind.

3.2 Zerlegung in verallgemeinerte Eigenräume, Jordan-Zerlegung

Definition 3.9

Sei $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$, sei $\mu $ ein Eigenwert von $f$, und sei $m$ die Vielfachheit der Nullstelle $\mu $ von $\mathop{\rm minpol}\nolimits _f$. Der Untervektorraum

1

\begin{equation} \label{verallg_er} \tilde V_\mu := \bigcup _{i\ge 0} \mathop{\rm Ker}(f-\mu \mathop{\rm id}\nolimits )^i = \mathop{\rm Ker}(f-\mu \mathop{\rm id}\nolimits )^m \end{equation}

heißt der verallgemeinerte Eigenraum (oder: Hauptraum) von $f$ zum Eigenwert $\mu $.

Bemerkung 3.10

Wir sehen insbesondere: Der Eigenraum von $f$ zum Eigenwert $\mu $ ist im verallgemeinerten Eigenraum enthalten. Jede Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist auch eine Nullstelle des Minimalpolynoms.

Ist $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$ und $\tilde V$ der verallgemeinerte Eigenraum von $f$ zum Eigenwert $\mu $, so gilt $f(\tilde V)\subseteq \tilde V$ und der einzige Eigenwert von $f_{|\tilde V}$ ist $\mu $.

11.5.

Satz 3.11

Sei $f\in \mathop{\rm End}\nolimits (V)$, $\chi =\mathop{\rm charpol}\nolimits _f$, und $\chi $ zerfalle vollständig in Linearfaktoren. Seien $\mu _1, \dots , \mu _s$ die Eigenwerte von $f$ ($\mu _i$ paarweise verschieden). Sei $\tilde V_i$ der verallgemeinerte Eigenraum von $f$ zum Eigenwert $\mu _i$.

Dann gilt $V = \bigoplus _{i=1}^s \tilde V_i$ und $\dim \tilde V_i = \mathop{\rm mult}\nolimits _{\mu _i}(\mathop{\rm charpol}\nolimits _f)$.

Beweis

I. Die Summe ist direkt. Sei $m_i = \mathop{\rm mult}\nolimits _{\mu _i}(\mathop{\rm minpol}\nolimits _f)$, d.h.

\[ \mathop{\rm minpol}\nolimits _f = \prod _{i=1}^s (X-\mu _i)^{m_i}. \]

Wir zeigen $\tilde V_1 \cap (\sum _{i> 1} \tilde V_i) = 0$. Aus Symmetriegründen impliziert das die Behauptung. Sei nun $v\in \tilde V_1 \cap (\sum _{i> 1} \tilde V_i)$. Wegen $v\in \tilde V_1$ gilt $(f-\mu _1\mathop{\rm id}\nolimits )^{m_1}(v) = 0$, wegen $v\in \sum _{i> 1} \tilde V_i$ gilt $(\prod _{i> 1}(f-\mu _i\mathop{\rm id}\nolimits )^{m_i})(v) = 0$ (wobei das Produkt als Produkt in $\mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$ zu verstehen ist, d.h. als Verkettung von Abbildungen). Beachte, dass die Abbildungen $(f-\mu _i\mathop{\rm id}\nolimits )^{m_i}$ alle miteinander (und mit $f$) kommutieren.

Weil die Polynome $p_1:=(X-\mu _1)^{m_1}$ und $q_1:=\prod _{i> 1}(X-\mu _i)^{m_i}$ teilerfremd sind, existieren $a,b\in K[X]$ mit $ap_1+bq_1 = 1$. Dann folgt $v = \mathop{\rm id}\nolimits (v) = a(f)(p_1(f)(v))+b(f)(q_1(f)(v))=0$.

II. $V = \sum _{i=1}^s \tilde V_i$. Die Polynome $q_j:=\prod _{i\ne j}(X-\mu _i)^{m_i}$, $j=1, \dots , n$, haben keinen nicht-trivialen gemeinsamen Teiler, das kleinste Ideal in $K[X]$, das alle $q_j$ enthält, ist daher $=(1)=K[X]$. Insbesondere existieren Polynome $a_j$ mit

\[ \sum _{j=1}^n a_j q_j = 1. \]

Ist $v\in V$, so ist offenbar $q_j(f)(v)\in \tilde V_j$. Außerdem gilt $f(\tilde V_j)\subseteq \tilde V_j$ und deshalb auch $a(f)(\tilde V_j)\subseteq \tilde V_j$ für jedes Polynom $a\in K[X]$. Insgesamt erhalten wir

\[ v = \sum _j a_j(f)(q_j(f)(v)) \in \sum _{j=1}^s \tilde V_j. \]

III. $\dim \tilde V_i = \mathop{\rm mult}\nolimits _{\mu _i}(\mathop{\rm charpol}\nolimits _f)$. Es gilt $\mathop{\rm charpol}\nolimits _f = \prod _i \mathop{\rm charpol}\nolimits _{f_{|\tilde V_i}}$. Da $\mu _i$ der einzige Eigenwert von $f_{|\tilde V_i}$ ist, folgt, dass

\[ \mathop{\rm charpol}\nolimits _{f_{|\tilde V_i}} = (X-\mu _i)^{\mathop{\rm mult}\nolimits _{\mu _i}(\mathop{\rm charpol}\nolimits _f)} \]

und wegen $\deg \mathop{\rm charpol}\nolimits _{f_{|\tilde V_i}} = \dim \tilde V_i$ die Behauptung.

Definition 3.12

Ein Endomorphismus $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$ heißt nilpotent, falls die folgenden äquivalenten Bedingungen erfüllt sind:

  1. Es existiert $i$, so dass $f^i=0$.

  2. $f^n = 0$ ($n = \dim V$),

  3. $\mathop{\rm charpol}\nolimits _f = X^n$

  4. $\mathop{\rm minpol}\nolimits _f | X^n$.

  5. Bezüglich einer geeigneten Basis von $V$ wird $f$ durch eine obere Dreiecksmatrix beschrieben, deren Diagonaleinträge alle $=0$ sind.

16.5.

Lemma 3.13

Seien $f_1, f_2\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$ Endomorphismen mit $f_1\circ f_2 = f_2\circ f_1$.

  1. Sind $f_1$ und $f_2$ diagonalisierbar, so ist $f_1+f_2$ diagonalisierbar.

  2. Sind $f_1$ und $f_2$ nilpotent, so ist $f_1+f_2$ nilpotent.

Satz 3.14 Jordan-Zerlegung

Sei $f\in \mathop{\rm End}\nolimits (V)$ ein Endomorphismus, dessen charakteristisches Polynom vollständig in Linearfaktoren zerfällt. Dann existieren eindeutig bestimmte Endomorphismen $D$ und $N$ von $V$ mit den folgenden Eigenschaften: $D$ ist diagonalisierbar, $N$ ist nilpotent,

\[ f = D+N, \qquad \text{und } DN = ND. \]

Ferner existieren Polynome $p_d, p_n \in K[X]$ mit Absolutterm $0$, so dass $D=p_d(f)$, $N=p_n(f)$.

Beweis

Sei $V = \bigoplus _{i=1}^s \tilde V_{\mu _i}$ die Zerlegung in verallgemeinerte Eigenräume und $\mathop{\rm charpol}\nolimits _f = \prod _{i=1}^s (X-\mu _i)^{n_i}$. Mit dem chinesischen Restsatz finden wir ein Polynom $p_d$, so dass

\[ p_d \equiv \mu _i \mod (X-\mu _i)^{n_i},\ i=1,\dots , s,\quad p_d \equiv 0 \mod X. \]

Beachte, dass die letzte Bedingung aus den vorherigen folgt, falls $0$ ein Eigenwert von $f$ ist, und dass ansonsten $X$ mit allen $(X-\mu _i)^{n_i}$ teilerfremd ist.

Dann gilt $p_d(f)_{|\tilde V_{\mu _i}} = \mu _i\mathop{\rm id}\nolimits $ für alle $i$, also ist $D:=p_d(f)$ diagonalisierbar. Andererseits sei $p_n := X-p_d$ und $N:=p_n(f)$. Dann hat $N_{|\tilde V_{\mu _i}}$ nur den Eigenwert $0$, ist daher nilpotent, also ist $N$ nilpotent. Offenbar gilt $DN=ND$, da sich $D$ und $N$ als Polynome in $f$ ausdrücken lassen.

Eindeutigkeit. Sei $f=D+N$ die soeben konstruierte Zerlegung und $f = D’+N’$ eine weitere. Wir zeigen $D=D’$, $N=N’$. Auch wenn wir nicht voraussetzen, dass sich $D’$ und $N’$ als Polynome in $f$ schreiben lassen, gilt das, wie wir gesehen haben, für $D$ und $N$ und es folgt, dass $f$, $D$, $N$, $D’$, $N’$ alle miteinander kommutieren. Insbesondere ist in der Gleichung

\[ D-D’ = N’-N \]

die linke Seite diagonalisierbar und die rechte Seite nilpotent. Es folgt $D-D’=0=N’-N$, wie gewünscht.

Bemerkung 3.15

Um den Satz über die Jordan-Zerlegung ohne die Eindeutigkeitsaussage und ohne die Aussage, dass sich $D$ und $N$ als Polynome in $f$ ausdrücken lassen, zu beweisen, kann man elementarer vorgehen: Man definiere $D$ als die eindeutig bestimmt Abbildung mit $D_{|\tilde V_{\mu _i}} = \mu _i\mathop{\rm id}\nolimits _{\tilde V_{\mu _i}}$ und $N = f-D$. Es lässt sich dann leicht prüfen, dass $D$ diagonalisierbar, $N$ nilpotent und $DN=ND$.

$\bullet $ Wiederhole die äquivalenten Charakterisierungen nilpotenter Endomorphismen aus der Vorlesung und den Übungen. Wiederhole die Definition diagonalisierbarer Endomorphismen aus LA 1. Beispiele? Beispiele nicht nilpotenter Endomorphismen, nicht diagonalisierbarer Endomorphismen?

$\bullet $ Formuliere den Satz über die Jordanzerlegung für Matrizen statt für Endomorphismen. Was ist die Jordanzerlegung einer Matrix in JNF? Beweise die Existenz der Jordanzerlegung als Korollar des Satzes über die JNF.

$\bullet $ Was ist die Jordanzerlegung von

\[ \left(\begin{array}{cc} 0 & 1 \\ -1 & 2 \end{array}\right),\quad \left(\begin{array}{cc} 5 & -2 \\ 4 & -1 \end{array}\right)\quad \in M_{2\times 2}(\mathbb Q)? \]

$\bullet $ Seien $A_1$, …, $A_s$ quadratische obere Dreiecksmatrizen, so dass für alle $i$ alle Diagonaleinträge von $A_i$ gleich sind. Was ist die Jordanzerlegung der Diagonal-Blockmatrix $\mathop{\rm diag}(A_1,\dots , A_s)$?

3.3 Nilpotente Endomorphismen

18.5.

Lemma 3.16

Sei $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$ ein nilpotenter Endomorphismus und sei $U = \langle u,f(u), \dots \rangle $ ein zyklischer Unterraum. Dann ist $\dim U = \min \{ m; f^m(u)=0 \} $. Ist $u’\in U\setminus f(U)$, so gilt

\[ U = \langle u’, f(u’), f^2(u’), \dots \rangle . \]

Satz 3.17 Normalform für nilpotente Endomorphismen/Matrizen

Es sei $f$ ein nilpotenter Endomorphismus von $V$. Dann existieren eine Basis $\mathscr B$ von $V$ und natürliche Zahlen $r_1\ge \cdots \ge r_k\ge 1$, so dass

\[ M_{\mathscr B}^{\mathscr B}(f) = \mathop{\rm diag}(J_{r_1,0}, \dots , J_{r_k,0}). \]

Eine entsprechende Aussage gilt für nilpotente Matrizen in $M_{n\times n}(K)$.

(Dies ist gerade die Existenzaussage des Satzes über die Jordansche Normalform im speziellen Fall nilpotenter Endomorphismen. Wegen der Eindeutigkeitsaussage im Satz über die Jordansche Normalform, die wir bereits bewiesen haben, sind die $r_i$ eindeutig bestimmt. Wir haben auch bereits gesehen, dass die Anzahl der Jordan-Blöcke gleich der Dimension des Eigenraums von $f$ zum Eigenwert $0$, also gleich $\dim \mathop{\rm Ker}f$ sein muss.)

Beweis

(nach [Vinberg, A Course in Algebra]) Offenbar ist die Aussage des Satzes äquivalent dazu, dass $V$ die direkte Summe von $f$-zyklischen Unterräumen ist.

Wir zeigen das durch Induktion nach $n=\dim V$. Für $n=1$ ist nichts zu zeigen, sei also nun $n>1$. Sei $U\subseteq V$ ein Unterraum der Dimension $n-1$ mit $\mathop{\rm Im}f \subseteq U$. Insbesondere gilt $f(U)\subset U$ und nach Induktion zerlegt sich $U=U_1\oplus \cdots U_\ell $ als direkte Summe $f$-zyklischer Unterräume.

Sei $v\in V\setminus U$ und schreibe $f(v) = \sum _{i=1}^\ell u_i\in U$. Indem wir gegebenenfalls von $v$ geeignete Elemente der $U_i$ abziehen, können wir erreichen, dass für alle $i$ gilt: $u_i =0$ oder $u_i \not\in f(U_i)$.

1. Fall: $f(v)=0$. Dann ist

\[ V = \langle v \rangle \oplus U_1 \oplus \cdots \oplus U_\ell \]

eine Zerlegung in zyklische Unterräume.

2. Fall: $f(v)\ne 0$. Sei $m$ minimal mit der Eigenschaft, dass $f^{m+1}(v) = f^m(f(v))=0$. Nach Umnummerieren der $U_i$ (und entsprechend der $u_i$) können wir annehmen, dass $m$ auch minimal ist mit $f^m(u_1)=0$. Wegen $f(v)\ne 0$ ist dann $u_1\ne 0$, nach unserer Vorüberlegung also $u_1\not\in f(U_1)$. Weil $U_1$ ein $f$-zyklischer Unterraum ist, folgt daraus $U_1 = \langle u_1, f(u_1),\dots , f^{m-1}(u_1)\rangle $ und $\dim U_1=m$. Andererseits hat $W:=\langle v, f(v), \dots , f^m(v)\rangle $ die Dimension $m+1$.

Behauptung. $V = W \oplus U_2 \oplus \cdots \oplus U_\ell $.

Begründung. Da $\dim V= \dim W+\dim \sum _{i>1} U_i$, genügt es zu zeigen, dass

\[ W \cap (U_2 \oplus \cdots \oplus U_\ell ) = 0. \]

Nehmen wir also an, dass $a_i\in K$ sind mit

\[ \sum _{i=0}^m a_i f^i(v) \in U_2 \oplus \cdots \oplus U_\ell . \]

Weil $v\not\in U$, muss $a_0=0$ sein. Indem wir wieder $f(v) = \sum u_i$ schreiben und ausnutzen, dass $U_1 \cap (U_2 \oplus \cdots \oplus U_\ell ) = 0$ ist, erhalten wir

\[ \sum _{i=1}^m a_i f^i(u_1) = 0, \]

und das impliziert $a_1=\cdots =a_m=0$.

3.4 Beweis des Satzes über die Jordansche Normalform

Ist $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$ gegeben, so zerlegen wir $V = \bigoplus \tilde V_i$ in die direkte Summe der verallgemeinerten Eigenräume. Wir wählen mit Hilfe von Satz 3.17 Basen der $\tilde V_i$, so dass der nilpotente Endomorphismus $f_{|\tilde V_i}-\mu _i\mathop{\rm id}\nolimits _{\tilde V_i}$ von $\tilde V_i$ durch eine Matrix in Jordanscher Normalform beschrieben wird. Hier bezeichnet $\mu _i$ den Eigenwert von $f$ auf $\tilde V_i$. Insgesamt erhalten wir so eine Basis von $V$, bezüglich derer $f$ durch eine Matrix in Jordanscher Normalform beschrieben wird.

Um die Jordansche Normalform eines Endomorphismus (einer Matrix) zu finden, genügt es die Dimensionen $\dim \mathop{\rm Ker}(f-\lambda \mathop{\rm id}\nolimits )^i$ zu berechnen. Daraus findet man, wie der Eindeutigkeitsbeweis zeigt, die Jordansche Normalform. Oft kann man einen Großteil dieser Berechnungen sparen, wenn man zunächst das charakteristische Polynom und das Minimalpolynom berechnet und in Linearfaktoren zerlegt, weil das gewissen Einschränkungen an die Jordansche Normalform mit sich bringt.

Wesentlich aufwändiger ist es in der Regel, eine Basis von $V$ zu finden, bezüglich derer ein gegebenener Endomorphismus sich durch eine Matrix in Jordanscher Normalform beschreiben lässt. Dazu muss man geeignete Basen der verallgemeinerten Eigenräume bestimmen, die jeweils eine Zerlegung des verallgemeinerten Eigenraums in zyklische Unterräume bezüglich des nilpotenten Anteils beschreiben.

3.5 Die rationale Normalform

Wir beschließen das Kapitel über die Jordansche Normalform mit dem folgenden Satz, der auch ohne die Trigonalisierbarkeitsvoraussetzung gilt und insbesondere zeigt, dass jeder Endomorphismus, dessen Minimalpolynom vollständig in Linearfaktoren zerfällt, trigonalisierbar ist.

Satz 3.18

Sei $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$, und sei $p\in K[X]$ ein irreduzibles Polynom, das $\mathop{\rm charpol}\nolimits _f$ teilt. Dann ist $p$ ein Teiler von $\mathop{\rm minpol}\nolimits _f$.

Beweis

Weil sich der Beweis mit Hilfe des Begriffs des Quotientenvektorraums übersichtlicher formulieren lässt, benutzen wir diese Konstruktion hier. Vergleiche die Hausaufgaben 2 und 3 auf Blatt 8.

Beweis durch Induktion nach $\dim V$. Ist $\dim V = 1$, so ist notwendigerweise $\mathop{\rm charpol}\nolimits _f = \mathop{\rm minpol}\nolimits _f$. Seien nun $\dim V > 1$, $v\in V\setminus \{ 0\} $, $U=\langle v, f(v), f^2(v), \dots \rangle $, sei $g = f_{|U}\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(U)$ und sei $h\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V/U)$ der von $f$ induzierte Endomorphismus auf $V/U$.

Dann gilt $\mathop{\rm charpol}\nolimits _f = \mathop{\rm charpol}\nolimits _g \mathop{\rm charpol}\nolimits _h$, also gilt $p|\mathop{\rm charpol}\nolimits _g$ oder $p|\mathop{\rm charpol}\nolimits _h$. Im ersten Fall folgt direkt der Satz: Weil $U$ ein $f$-zyklischer Untervektorraum ist, ist nämlich $\mathop{\rm charpol}\nolimits _g=\mathop{\rm minpol}\nolimits _g$, und weil $\mathop{\rm minpol}\nolimits _f(g)=0$, gilt $\mathop{\rm minpol}\nolimits _g|\mathop{\rm minpol}\nolimits _f$.

Wenn $p|\mathop{\rm charpol}\nolimits _h$, so folgt mit Induktionsvoraussetzung, dass $p | \mathop{\rm minpol}\nolimits _h$, und wieder gilt $\mathop{\rm minpol}\nolimits _f(h)=0$, also $\mathop{\rm minpol}\nolimits _h|\mathop{\rm minpol}\nolimits _f$.

Korollar 3.19

Sei $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$. Dann gilt: $f$ ist genau dann trigonalisierbar, wenn $\mathop{\rm minpol}\nolimits _f$ vollständig in Linearfaktoren zerfällt, und $f$ ist genau dann diagonalisierbar, wenn $minpol_f$ vollständig in Linearfaktoren zerfällt und nur einfache Nullstellen besitzt.

Darüberhinaus gilt das folgende Theorem, das eine Normalform für Endomorphismen angibt, ohne dass man die Trigonalisierbarkeit annehmen muss.

Theorem 3.20 Rationale Normalform

Sei $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$, und sei

\[ \mathop{\rm charpol}\nolimits _f = \prod _{i=1}^s p_i^{n_i} \]

die Zerlegung in ein Produkt irreduzibler normierter Polynome ($p_i\in K[X]$ paarweise verschieden). Dann existieren für jedes $i\in \{ 1,\dots , s\} $ natürliche Zahlen $r_{i,1}\ge r_{i,2} \ge \cdots $ mit $\sum _j r_{i,j} = n_i$ und eine Basis $\mathscr B$ von $V$, so dass

\[ M^{\mathscr B}_{\mathscr B}(f) = \mathop{\rm diag}(A_1, \dots , A_s) \]

eine Diagonal-Blockmatrix ist, und für jedes $i$ die Matrix $A_i\in M_{N_i\times N_i}$, $N_i:= n_i\deg p_i$, selbst eine Diagonal-Blockmatrix ist, die zusammengesetzt ist aus den Begleitmatrizen der Polynome $p_i^{r_{i,1}}$, $p_i^{r_{i, 2}}$, …. Dabei sind die $p_i$ als die irreduziblen Teiler von $\mathop{\rm charpol}\nolimits _f$ bis auf ihre Reihenfolge und die Zahlen $r_{i,j}$ eindeutig bestimmt.

Für alle $i$ ist $p_i$ ein Teiler von $\mathop{\rm minpol}\nolimits _f$, und $p_i^{r_{i,1}}$ ist die maximale Potenz von $p_i$, die $\mathop{\rm minpol}\nolimits _f$ teilt.

$\bullet $ Was ist die JNF der Matrix $A = (a_{ij})\in M_{n\times n}(K)$ mit $a_{ij} = 0$ für $i \ge j$, $a_{ij}=1$ für $i

$\bullet $ Prüfe, dass die Matrix

\[ A=\left(\begin{array}{ccc} 4 & -4 & 2 \\ 6 & -6 & 3 \\ 4 & -4 & 2 \end{array}\right) \in M_{3\times 3}(\mathbb Q) \]

nilpotent ist und finde eine Zerlegung von $\mathbb Q^3$ in zyklische Unterräume bezüglich des zugehörigen Endomorphismus. Löse diese Aufgabe auf verschiedene Art und Weise: Einerseits durch “Anwendung” des Beweises von Satz 3.17 in dieser Situation, andererseits durch Betrachtung der Filtrierung

\[ 0 \subseteq \mathop{\rm Ker}A \subseteq \mathop{\rm Ker}A^2 \subseteq \mathbb Q^3. \]

Erstelle weitere Aufgaben dieses Typs, in denen die gegebene Matrix teils denselben Jordantyp wie $A$, teils einen anderen Jordantyp hat.

$\bullet $ Was bedeutet es für einen nilpotenten Endomorphismus $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$, dass alle Jordanblöcke in der JNF von $f$ Größe 1 haben? Versuche ein Kriterium anzugeben, das dazu äquivalent ist, dass alle Jordanblöcke von $f$ dieselbe Größe haben. Versuche ein Kriterium dafür zu geben, das dazu äquivalent ist, dass keine zwei Jordanblöcke derselben Größe existieren. Versuche ein Kriterium dafür zu geben, dass nur ein einzige Jordanblock existiert.

$\bullet $ Sei $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$ ein nilpotenter Endomorphismus, und seien $r_1\ge r_2 \ge \cdots $ die Größen der Jordanblöcke von $f$. Zeige, dass $\mathop{\rm Ker}f^{r_1}=0$. Sei $g_i = f_{|\mathop{\rm Ker}f^{r_i}}$. Welche Größen haben die Jordanblöcke in der JNF von $g_i\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(\mathop{\rm Ker}f^{r_i})$?

Sei $W$ ein Komplementärraum von $\mathop{\rm Ker}f^{r_1-1}$, und sei $w\in W\setminus \{ 0\} $. Zeige, dass der Untervektorraum $\langle w, f(w), f^2(w),\dots \rangle $ Dimension $r_1$ hat.

Sei $\mathscr B=(b_1,\dots , b_n)$ eine Basis bezüglich derer $f$ JNF hat. Zeige, dass genau $r_1$ der Basisvektoren nicht in $\mathop{\rm Ker}f^{r_1-1}$ liegen.

$\bullet $ Sei $f$ ein nilpotenter Endomorphismus von $V$ und $v\in V$ mit $V=\langle v, f(v), f^2(v), \dots \rangle $. Zeige, dass $v\not\in \mathop{\rm Im}f$. Gilt diese Aussage auch, wenn $f$ nicht nilpotent ist?

$\bullet $ Sei $A\in M_{2\times 2}(\mathbb R)$ eine Drehung. Wann ist $A$ konjugiert zu einer Matrix in JNF? Finde die rationale Normalform von $A$. Finde die JNF von $A$, aufgefasst als Element von $M_{2\times 2}(\mathbb C)$.

$\bullet $ Welche Drehungen von $\mathbb R^3$ besitzen eine JNF? Welche JNF kommen vor?

$\bullet $ Sei $f\in \mathop{\rm End}\nolimits _K(V)$ ein Endomorphismus mit $f^2 = 3\mathop{\rm id}\nolimits _V$. Wann besitzt $f$ eine JNF? Falls ja: welche JNF kann $f$ haben? Finde und diskutiere ähnliche Aufgaben dieses Typs.