A.4 Galois-Theorie
A.4.1 Normale Körpererweiterungen
Sei \(K\) ein Körper und sei \((f_i)_{i\in I}\) eine Familie von Polynomen in \(K[X]\).
Ein Erweiterungskörper \(L\) von \(K\) heißt Zerfällungskörper der Familie \((f_i)_i\), wenn die folgenden beiden Bedingungen erfüllt sind:
Jedes \(f_i\) zerfällt über \(L\) vollständig in Linearfaktoren und
die Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) wird von den Nullstellen der Polynome \(f_i\) erzeugt.
Sei \(K\) ein Körper und sei \((f_i)_{i\in I}\) eine Familie von Polynomen in \(K[X]\).
Es existiert ein Zerfällungskörper der gegebenen Familie von Polynomen.
Sind \(L\) und \(L'\) Zerfällungskörper der Familie \((f_i)_i\), so existiert ein \(K\)-Isomorphismus \(L\stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}L'\).
Man beachte, dass der Isomorphismus in Teil (2) des Satzes in aller Regel nicht eindeutig bestimmt ist.
Eine Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) heißt normal, wenn die folgenden äquivalenten Bedingungen erfüllt sind. Hier bezeichne \(\overline{L}\) einen fixierten algebraischen Abschluss von \(L\).
Es gibt eine Familie von Polynomen in \(K[X]\), derart dass \(L\) ein Zerfällungskörper dieser Familie ist.
Für jeden \(K\)-Homomorphismus \(\varphi \colon L\to \overline{L}\) gilt \(\operatorname{Im}(\varphi )\subseteq L\).
Ist \(f\in K[X]\) ein irreduzibles Polynom, das in \(L\) eine Nullstelle besitzt, so zerfällt \(f\) über \(L\) vollständig in Linearfaktoren.
Quadratische Erweiterungen (also Erweiterungen vom Grad \(2\)) sind normal.
Die Erweiterung \(\left.\mathbb Q(\sqrt[3]{2})\middle /\mathbb Q\right.\) ist nicht normal.
Ist \(\overline{K}\) ein algebraischer Abschluss von \(K\), so ist die Erweiterung \(\left.\overline{K}\middle /K\right.\) normal.
Seien \(\left.E\middle /K\right.\) und \(\left.L\middle /E\right.\) Körpererweiterungen. Ist die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) normal, so ist auch die Erweiterung \(\left.L\middle /E\right.\) normal.
Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine algebraische Körpererweiterung.
Dann existiert ein Erweiterungskörper \(L'\) von \(L\), so dass die Erweiterung \(\left.L'\middle /K\right.\) normal ist, und so dass kein echter Teilkörper von \(L'\), der \(K\) enthält, normal über \(K\) ist. Der Körper \(L'\) ist bis auf \(K\)-Isomorphismus eindeutig bestimmt.
Ist die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) endlich, so ist auch \(\left.L'\middle /K\right.\) endlich.
Ist \(\left.M\middle /K\right.\) eine normale Erweiterung, so dass \(L\) in \(M\) enthalten ist, so ist der von allen \(\sigma (L)\), \(\sigma \in \operatorname{Hom}_K(L, M)\), über \(K\) erzeugte Teilkörper von \(M\) der eindeutig bestimmte Zwischenkörper von \(\left.M\middle /K\right.\), der die Eigenschaft in Teil (1) hat.
Wir nennen \(L'\) eine normale Hülle der Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) (bzw. in der Situation von Teil (3) die normale Hülle von \(\left.L\middle /K\right.\) in \(M\).
A.4.2 Separable Körpererweiterungen
Sei \(K\) ein Körper und \(\overline{K}\) ein algebraischer Abschluss von \(K\). Ein Polynom \(f\in K[X]\) heißt separabel, wenn \(f\) in \(\overline{K}\) nur einfache Nullstellen hat.
Die Eigenschaft, separabel zu sein, ist unabhängig von der Wahl eines algebraischen Abschlusses von \(K\).
Sei \(K\) ein Körper und \(f\in K[X]\) ein irreduzibles Polynom. Dann sind äquivalent:
\(f\) ist separabel,
\(f' \ne 0\).
Insbesondere gilt: Über einem Körper der Charakteristik \(0\) ist jedes irreduzible Polynom separabel.
Sei \(K\) ein Körper der Charakteristik \(p {\gt} 0\) und sei \(f\in K[X]\) irreduzibel. Sei \(r\in \mathbb N\) maximal mit der Eigenschaft, dass \(f\) die Form \(g(X^{p^r})\) für ein Polynom \(g\in K[X]\) hat. Dann ist \(g\) durch \(f\) eindeutig bestimmt, separabel und irreduzibel.
Jede Nullstelle von \(f\) hat die Vielfachheit \(p^r\), und die Nullstellen von \(f\) (in einem algebraischen Abschluss \(\overline{K}\) von \(K\)) sind gerade die \(p^r\)-ten Wurzeln der Nullstellen von \(g\).
Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine algebraische Körpererweiterung.
Ein Element \(a\in L\) heißt separabel über \(K\), wenn ein separables Polynom \(p\in K[X]\setminus \{ 0\} \) existiert mit \(p(a)=0\). Es ist äquivalent zu fordern, dass das Minimalpolynom von \(a\) über \(K\) separabel sei.
Ein Element \(a\in L\), das nicht algebraisch über \(K\) ist, heißt auch inseparabel.
Die Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) heißt separabel, wenn jedes Element von \(L\) über \(K\) separabel ist.
Ist die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) nicht separabel, so heißt sie inseparabel. Ist sogar jedes Element von \(L\), das nicht in \(K\) liegt, inseparabel über \(K\), dann nennt man die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) rein inseparabel.
Nach dem oben gesagten ist jeder Körper von Charakteristik \(0\) ein perfekter Körper. In positiver Charakteristik haben wir die folgende Charakterisierung.
Sei \(K\) ein Körper der Charakteristik \(p {\gt} 0\). Dann sind äquivalent:
Der Körper \(K\) ist perfekt.
Jede endliche Erweiterung von \(K\) ist separabel.
Der Frobenius-Homomorphismus \(K\to K\), \(x\mapsto x^p\), ist surjektiv (und folglich ein Isomorphismus).
Jeder endliche Körper ist perfekt.
Seien \(\left.E\middle /K\right.\) und \(\left.L\middle /E\right.\) endliche Körpererweiterungen. Dann gilt
Für jede endliche Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) gilt \([L:K]_s\le [L:K]\).
Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine endliche Körpererweiterung. Es sind äquivalent:
Die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) ist separabel.
Es gilt \([L:K]_s = [L:K]\).
Es gibt separable Elemente \(\alpha _1, \dots , \alpha _r\in L\) mit \(L=K(\alpha _1,\dots , \alpha _r)\).
Seien \(\left.E\middle /K\right.\) und \(\left.L\middle /E\right.\) algebraische Körpererweiterungen. Dann ist äquivalent:
Die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) ist separabel.
Die Erweiterungen \(\left.E\middle /K\right.\) und \(\left.L\middle /E\right.\) sind separabel.
Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine endliche separable Körpererweiterung. Dann existiert \(\alpha \in L\) mit \(L=K(\alpha )\). Wir nennen \(\alpha \) ein primitives Element der Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\).
A.4.3 Endliche Körper
Sei \(K\) ein endlicher Körper. Dann hat \(K\) positive Charakteristik \(p\) und die Anzahl der Elemente von \(K\) ist eine Potenz von \(p\).
Sei \(p\) eine Primzahl. Zu jedem \(r\in \mathbb N_{{\gt} 0}\) gibt es einen Körper mit \(q:=p^r\) Elementen. Dieser Körper ist ein Zerfällungskörper des Polynoms \(X^q-X\).
Sind \(K\), \(K'\) endliche Körper mit \(\# K = \# K'\), dann existiert ein Körperisomorphismus \(K\cong K'\).
Sei \(\overline{\mathbb F}_p\) ein algebraischer Abschluss des Körpers \(\mathbb F_p\). Für jedes \(r\in \mathbb N\) enthält \(\overline{\mathbb F}_p\) genau einen Teilkörper \(\mathbb F_{p^r}\) mit \(p^r\) Elementen und es gilt
Für \(r,s\in \mathbb N\) gilt genau dann \(\mathbb F_{p^r}\subseteq \mathbb F_{p^s}\), wenn \(r\, |\, s\) gilt.
Jede Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) endlicher Körper ist normal und separabel.
A.4.4 Galois-Erweiterungen
Ist \(L\) ein Körper, so bezeichnen wir mit \(\operatorname{Aut}(L)\) die Gruppe (bezüglich der Verkettung von Abbildungen) aller Körperautomorphismen \(L\stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}L\). Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine Körpererweiterung. Wir bezeichnen mit \(\operatorname{Aut}_K(L)\) die Gruppe aller \(K\)-Automorphismen von \(L\), also aller Isomorphismen \(L\stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}L\) von \(K\)-Algebren.
Sei \(L\) ein Körper und sei \(G\) eine Gruppe, die auf \(L\) durch Körperautomorphismen operiert. (Es ist also eine Operation \(G\times L\to L\) gegeben, derart dass das Bild des zugehörige Gruppenhomomorphismus \(G\to \operatorname{Bij}(L)\) in \(\operatorname{Aut}(L)\) liegt.)
Dann ist
ein Teilkörper von \(L\), der sogenannte Fixkörper unter der Operation von \(G\).
Ist \(\left.L\middle /K\right.\) eine Körpererweiterung und operiert die Gruppe \(G\) auf \(L\) durch \(K\)-Automorphismen, so ist \(L^G\) ein Zwischenkörper der Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\).
Wir definieren nun den Begriff der Galois-Erweiterung, der für den weiteren Verlauf zentral ist. Man kann die Theorie auch auf den Fall unendlicher Erweiterungen verallgemeinern, wir begnügen und aber in dieser Vorlesung mit dem endlichen Fall und verstehen daher unter einer Galois-Erweiterung stets eine endliche Körpererweiterung (mit den zusätzlichen Eigenschaften, die in der folgenden Definition genannt werden).
Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine endliche Körpererweiterung. Die folgenden Aussagen sind äquivalent.
Es gilt
\[ K = L^{\operatorname{Aut}_K(L)}. \]Es gibt eine Untergruppe \(G\subseteq \operatorname{Aut}(L)\), so dass
\[ K = L^{G} \]gilt.
Die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) ist normal und separabel.
Sind die Bedingungen erfüllt, so heißt die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) galoissch oder eine Galois-Erweiterung. Wir nennen dann \(\operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.):= \operatorname{Aut}_K(L)\) die Galois-Gruppe der Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\).
Es gilt dann \([L:K] = \# \operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\).
Sei \(E\) ein Zwischenkörper der Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\). Ist \(\left.L\middle /K\right.\) galoisch, dann ist auch \(\left.L\middle /E\right.\) galoisch.
Sei \(E\) ein Zwischenkörper der Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\). Sind \(\left.L\middle /K\right.\) und \(\left.E\middle /K\right.\) galoisch, dann ist die Einschränkung von Homomorphismen ein surjektiver Gruppenhomomorphismus \(\operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\to \operatorname{Gal}(\left.E\middle /K\right.)\) mit Kern \(\operatorname{Gal}(\left.L\middle /E\right.)\).
Für eine Gruppe \(G\) bezeichnen wir mit \(\operatorname{UG}(G)\) die Menge aller Untergruppen von \(G\). Für eine Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) bezeichnen wir mit \(\operatorname{ZK}(\left.L\middle /K\right.)\) die Menge aller Zwischenkörper dieser Erweiterung.
Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine Galois-Erweiterung mit Galois-Gruppe \(G\). Dann sind die Abbildungen
zueinander inverse inklusionsumkehrende Bijektionen.
Für einen Zwischenkörper \(E\) der Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) sind äquivalent:
Die Erweiterung \(\left.E\middle /K\right.\) ist normal.
Die Erweiterung \(\left.E\middle /K\right.\) ist galoissch.
Die Untergruppe \(H:=\operatorname{Gal}(\left.L\middle /E\right.)\subseteq \operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\) ist ein Normalteiler.
Sind diese äquivalenten Bedingungen erfüllt, so induziert die Abbildung \(\sigma \mapsto \sigma _{|L^H}\) einen Isomorphismus \(G/H \stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}\operatorname{Gal}(\left.L^H\middle /K\right.)\).
Jede endliche separable Körpererweiterung besitzt nur endlich viele Zwischenkörper.
Eine Körpererweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) heißt abelsch (bzw. zyklisch), wenn sie galoissch mit abelscher (bzw. zyklischer) Galois-Gruppe ist.
Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine Körpererweiterung mit Zwischenkörpern \(E\) und \(E'\). Das Kompositum von \(E\) und \(E'\) ist der kleinste Teilkörper von \(L\), der \(E\) und \(E'\) enthält und wird mit \(E\cdot E'\) oder einfach mit \(EE'\) bezeichnet.
Sei \(\left.L\middle /K\right.\) eine Galois-Erweiterung mit Zwischenkörpern \(E\) und \(E'\). Sei \(H = \operatorname{Gal}(\left.L\middle /E\right.)\) und \(H' = \operatorname{Gal}(\left.L\middle /E'\right.)\).
Es gilt \(EE' = L^{H\cap H'}\).
Es gilt \(E\cap E' = L^{\tilde{H}}\), wobei \(\tilde{H}\) die von \(H\) und \(H'\) in \(\operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\) erzeugte Untergruppe bezeichne.
Seien nun die Erweiterungen \(\left.E\middle /K\right.\) und \(\left.E'\middle /K\right.\) galoissch. Dann ist \(\left.EE'\middle /K\right.\) eine Galois-Erweiterung und der Homomorphismus
\[ \operatorname{Gal}(\left.EE'\middle /E\right.) \to \operatorname{Gal}(\left.E'\middle /E\cap E'\right.),\quad \sigma \mapsto \sigma _{|E'}, \]ist bijektiv. Insbesondere ist \([EE' : E]\) ein Teiler von \([E': K]\).
Aus dem Hauptsatz der Galois-Theorie erhalten wir (mit den Sätzen aus der Gruppentheorie, die wir zu Beginn der Vorlesung bewiesen haben) einen Beweis des Fundamentalsatzes der Algebra.
Der Körper \(\mathbb C\) der komplexen Zahlen ist algebraisch abgeschlossen.
A.4.5 Die Galois-Gruppe einer Gleichung
Sei \(K\) ein Körper und \(f\in K[X]\) ein separables Polynom. Sei \(L\) ein Zerfällungskörper von \(f\) über \(K\). Dann ist die Erweiterung \(\left.L\middle /K\right.\) galoissch, ihre Galois-Gruppe hängt nicht von der Wahl von \(L\) ab und heißt auch die Galois-Gruppe der Gleichung \(f(x) = 0\) (oder die Galois-Gruppe von \(f\)).
Sei \(K\) ein Körper, \(\overline{K}\) ein algebraischer Abschluss und \(f\in K[X]\) ein separables Polynom vom Grad \(n\in \mathbb N\) mit Zerfällungskörper \(L\). Sei \(G = \operatorname{Gal}(\left.L\middle /K\right.)\) die Galois-Gruppe der Gleichung \(f(x)=0\). Seien \(\alpha _1,\dots , \alpha _n\in L\) die (nach Voraussetzung paarweise verschiedenen) Nullstellen von \(f\) in \(\overline{K}\).
Jedes Element von \(G\) induziert dann eine Permutation der \(\alpha _i\), und wir erhalten so einen injektiven Gruppenhomomorphismus \(G\to S_n\). Insbesondere gilt \(\# G\, |\, n!\).
Das Polynom ist genau dann irreduzibel in \(K[X]\), wenn \(G\) transitiv auf der Menge \(\{ \alpha _1, \dots , \alpha _n\} \) operiert.